Empörungswelle Video über mutmaßliche Polizeigewalt löst Netz-Debatte aus

Berlin · Das Video eines Polizeieinsatzes in Berlin gegen einen Mann sorgt für Diskussionen im Netz. Vielfach wird die mutmaßliche Brutalität des Polizeieinsatzes scharf kritisiert. Die Berliner Polizei kontert mit der Begründung, der Videomitschnitt zeige nur die halbe Wahrheit.

Video dokumentiert mutmaßlich brutalen Einsatz der Polizei
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Video dokumentiert mutmaßlich brutalen Einsatz der Polizei

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Falckensteinstraße, Ecke Görlitzer Straße in Berlin-Kreuzberg am Samstag gegen 18.05 Uhr: Ein Mann wird nach seinem Ausweis gefragt. Als er davonläuft, wird er von drei Beamten niedergerungen und brutal am Boden gehalten. Die Situation eskaliert. Immer mehr Menschen greifen ein. Festgehalten ist alles in einem Video, das mittlerweile mehr als 200.000 Klicks gesammelt hat.

Das Video wird mehrfach durch Schnitte unterbrochen. Der Betrachter sieht in der Version, die derzeit im Netz kursiert, dass immer mehr Einsatzkräfte an der Kreuzung eintreffen. Schließlich stehen dort mehrere Streifenwagen. Einsatzkräfte der Polizei haben Pfefferspray und Schlagstöcke in der Hand, die Hundertschaft ist vor Ort. Am Ende steht die Aufforderung, das Video zu teilen mit dem Hinweis: "Dieses Video wurde von uns vor Ort erstellt und dokumentiert die Körperverletzungen diverser Zivilisten durch die Polizei im Zuge der Maßnahme. Im Sinne demokratischer Medienarbeit halten wir es für unsere Pflicht, diese Material als Beweis weitreichend zu verbreiten und dadurch die Verantwortlichen öffentlich zu machen."

brutaler Polizeiübergriff, 5. Juli 2014, Berlin Kreuzberg (Görlitzer Park) / Ohlauer Straße from optik5000 on Vimeo.

Was aus dem Video nicht hervorgeht ist das, was laut Angaben der Polizei im Vorfeld geschah. Vorausgegangen war dem Einsatz die Demonstration "Bleiberecht für alle Flüchtlinge". 2700 Demonstranten nahmen hieran teil. Zunächst verlief die Kundgebung friedlich. Das twitterte die Berliner Polizei über ihren Account:

Wir sichern zurzeit nur die Kreuzung #Ohlauer / #Reichenberger für die Abschlusskundgebung der heutigen Demo für Bleiberecht. ^yt

Zum Ende der Kundgebung verschärfte sich die Lage vor Ort:

Bitte unterlassen Sie für eine entspanntere Zwischenkundgebung am #Oplatz die Flaschenwürfe auf unsere Einsatzkräfte. #Ohlauer ^yt

Gegen 18.10 Uhr löste sich die Versammlung auf. Die Polizei wertete diese Veranstaltung in einer ersten Mitteilung als "überwiegend störungsfrei". Erst später veröffentlichte die Polizei eine Erklärung, in der auf eine Auseinandersetzung am Rande der Demonstration hingewiesen wird. Demnach kam es schon gegen 17.45 Uhr zu einer Schlägerei im Görlitzer Park, bei der ein Mann (25) am Ohr verletzt wurde.

Nicht alle Details im Video

In einer dritten Mitteilung, die erst nach Verbreitung des Videos im Internet und entsprechenden Diskussionen auf Twitter (Hashtag #ohlauer), veröffentlicht wurde, gibt die Polizei weitere Details zu den Hintergründen bekannt. Demnach ist in dem Video eben jener 22-Jährige zu sehen, der zuvor die Ermittlungen der Polizei mehrfach gestört haben soll. Nach einem Platzverweis wollten die Einsatzkräfte die Personalien des 22-Jährigen aufnehmen. Als er sich weigerte und davongehen wollte, beginnt das vielfach geteilte Video. Doch laut Angaben der Polizei blendet der Zusammenschnitt entscheidende Szenen des Einsatzes aus: Sowohl während der veröffentlichten Videosequenz als auch danach soll es zu gewalttätigen Angriffen gegen die Polizisten gekommen sein.

Zwei Fahrräder sollen gegen die Beamten geschleudert worden sein, wodurch ein Polizist am Kopf verletzt wurde und später im Krankenhaus behandelt werden musste. Was der geschnittene Film ebenfalls ausblendet, ist das Pfefferspray, das jemand auf die Polizisten gesprüht haben soll. Es zeigt auch nicht, dass der Beamte, der den Ausweis des 22-Jährigen sehen wollte, am Schluss von oben bis unten bespuckt war, berichtet die Berliner Zeitung. Einem weiteren Beamten soll in die Hand gebissen worden sein.

Es steht Aussage gegen Aussage

Auf Seiten der Polizei soll es am Ende sechs verletzte Polizisten gegeben haben. Auf Seite der Zivilisten wurden zwei Männer, 32 und 46 Jahre alt, sowie eine 33-jährige Frau festgenommen. Gegen sie wird jetzt ermittelt. Ob das harte Eingreifen der Einsatzkräfte Konsequenzen für die Beamten haben wird, steht nicht fest. Polizeisprecher Stefan Redlich sagte auf Anfrage der Huffington Post, zunächst würde - wie in solchen Fällen üblich - die Stellungnahmen der beteiligten Beamten eingeholt. Eine Anzeige gegen sie liege bislang nicht vor. Zu der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes will sich Redlich nicht äußern.

Was genau sich an diesem Samstag auf der Falckensteinstraße, Ecke Görlitzer in Kreuzberg abgespielt hat, wer Recht und wer Unrecht hat, können weder das zusammengeschnittene Video, noch die Veröffentlichungen der Polizei klären. Um den Fall näher zu beleuchten, sucht der Tagesspiegel deshalb auf Facebook Zeugen des umstrittenene Vorfalls.

Brennpunkt Ohlauer-Straße

Das Gebiet in Kreuzberg steht bundesweit im Blickpunkt, weil sich hier die seit anderthalb Jahren von zahlreichen Flüchtlingen besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule befindet. Im Juni sollte die Polizei die Schule räumen. Nach mehreren Räumungsversuchen wurde die Aktion abgebrochen. Private Sicherheitsdienste kontrollieren das Areal um die ehemalige Schule seitdem.

In dem Schulgebäude leben seit Dezember 2012 rund 200 Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen. Es gibt nur wenige Toiletten und nur eine Dusche. Zuletzt wohnten dort auch Roma-Familien und Obdachlose, aber auch Drogendealer. Unter den Bewohnern kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Polizei musste schon zu mehr als 100 Einsätzen ausrücken. Ende April wurde ein 29-jähriger Marokkaner von einem Mitbewohner erstochen.

(apd)
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