Valentinstag Total romantisch

Düsseldorf · Heute ist Valentinstag, der Festtag aller Hochromantiker. Romantik bedeutet zwar meistens auch Kitsch, aber ein Leben ohne den Glauben an endlose Liebe und große Leidenschaft wäre sinnlos. Ein Lob der rosaroten Brille.

 Die einen lieben den Valentinstag, die anderen halten ihn für einen Tag des Kommerzes.

Die einen lieben den Valentinstag, die anderen halten ihn für einen Tag des Kommerzes.

Foto: Shutterstock.com/ yonibunga

Stubenfliegen gelten nicht gerade als hellste Kerzen im Kronleuchter der Schöpfung. In der Liebe allerdings sind sie bemerkenswert edle Erscheinungen — zumindest jene Stubenfliegen, die das Max-Planck-Institut im bayerischen Seewiesen untersucht. Sie leben an der Decke eines Kuhstalls, und wenn sie sich nicht bewegen, können sie in friedvoller Langeweile überdauern, denn die feindlichen Fledermäuse sehen sie dann nicht.

Wenn eine Stubenfliege aber eine andere Stubenfliege liebt und diese Liebe dahin führt, wo Liebe bei zwei Wesen, die nicht in Klöstern wohnen, nun mal hinführt, schlagen beide Stubenfliegen aufgeregt mit den Flügeln. So geraten sie ins Visier des Feindes, und der tut, was er tun muss: Er frisst sie auf. Bei fünf Prozent aller Kopulationen werden beide Stubenfliegen von Fledermäusen verschlungen, fanden die Forscher heraus. Love hurts. Die Stubenfliegen scheren sich nicht drum. Sie lieben sich wider alle Vernunft, sie sind bedingungslos romantisch.

Heute ist Valentinstag, und das ist neben dem Hochzeitstag und den 31 Tagen des Wonnemonats Mai der größte Feiertag im Kalender der Hochromantiker. Leider kann man das Datum nicht mehr unbeschwert feiern. Denn es gibt eine rationale Gegenbewegung, sie stellt das Romantische unter Verdacht. Valentinstag sei bloß eine Erfindung der Industrie, heißt es, und das Logo der romantischen Bruderschaft, das rote Herz nämlich, sei nichts anderes als Apple-Apfel und Nike-Swoosh — eine Weltmarke.

Allein die Deutschen würden pro Nase an jedem Valentinstag im Namen der Romantik 42 Euro ausgeben und daraus ein Fest des Konsums machen. Der Philosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm nannte die romantische Liebe denn auch "Pseudoliebe": Liebe habe immer ein Verfallsdatum, argumentierte er, endless love und radikale Leidenschaft seien großer Quatsch, und was Hollywood in den 50er Jahren an Amore-Schnulzen produzierte, bezeichnete er als "schlimme Lüge". Die Berliner Sängerin Christiane Rösinger feixt dazu passend: "Ihr denkt, ihr seid im Märchen, doch ihr seid nur blöde Pärchen".

Romantik ist wichtig

Man sollte sich von diesen Leuten, denen offenbar irgendwann einmal ein Himmel voller Geigen auf den Kopf gefallen ist, nicht den Schaum vom Glas mit der Daseinsfreude pusten lassen. Romantik ist wichtig, ohne Romantik zieht es einem die Farbe aus dem Liebesfilm des Lebens. Ohne Romantik schwebt niemand auf Wolke sieben, die Zeit vergeht nicht wie im Flug, und sie steht auch niemals still, jede Stunde dauert dann stets 60 Minuten. Wo der Romantiker in den Mond schaut und seufzen muss, weil es so schön ist, sieht der Rationalist nur einen Scheinwerfer, der ihn blendet. Und die Welt umarmen kann er auch nicht, weil seine Arme sowieso zu kurz sind.

Das mit der Romantik begann im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Die gesamteuropäische Kulturepoche gleichen Namens dauerte rund 50 Jahre, und an ihrem Beginn standen die "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck. 1796 war das, und im Titel des Buches ist schon alles enthalten, was die Romantik kennzeichnet. Das Schwärmerische und Enthusiastische. Die Wertschätzung des Einzelnen mit all seinen Gefühlsregungen. Die Kunstfrömmigkeit und die Neigung zum Spirituellen. In der Romantik wurde vieles vorbereitet, was heute als modern gilt. Novalis etwa experimentierte mit der Gestalt des Romans, das Fragment wurde zur zeitgemäßen Form, das Offene ein Ideal. Im 19. Jahrhundert wurde dann der gesellschaftliche Begriff der Romantik geprägt, den wir heute noch benutzen: Romantisch war eine Liebe, die gegen gesellschaftliche Konventionen stand. Romantik war eine Haltung, mit der man Rationalität und Realismus entgegentrat.

Es stimmt, Romantik bedeutet heute fast immer auch Kitsch, weil sie alles mit Glanzlack überzieht und weil das Wort inflationär verwendet wird, in Reklametexten für Reisen in den Schwarzwald ebenso wie in TV-Verkaufssendungen, wenn Blusen mit Blümchenmuster feilgeboten werden. Wer regelmäßig die Sendung "Nur die Liebe zählt" mit Kai Pflaume gesehen hat, weiß, dass Romantik auch anstrengend sein kann. Es ist nun mal nicht so leicht, aus einem Helikopter Teelichter in Herzform auf einem Gletscher zu platzieren. Ständig muss man jemanden zum Heulen bringen, es sei denn, man heult selbst, und erst wenn beide heulen, fängt die blaue Blume an zu blühen.

Aber es lohnt sich, denn der Glaube an die große und unendliche Liebe, an den Wert des Schönen und Individuellen spiegelt ein Bedürfnis, das sonst keine Entsprechung findet unter unserem gesteigerten Realitätsdruck. Romantik ist die Illusion, dass es neben unserer Welt noch eine andere gibt, in der es besser zugeht. "Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne", heißt es bei Oscar Wilde. Romantik ist die Alternative, alle Lust will Ewigkeit. Das weiß sogar die Stubenfliege.

Das Fallen ist mindestens so interessant wie die Liebe selbst

Von Ingeborg Bachmann gibt es eine Erzählung, sie heißt "Ihre schönen Augen". Die Frau, von der da berichtet wird, ist sehr kurzsichtig, 7,5 Dioptrien. Sie rennt gegen Glastüren und Laternenpfeiler, und dennoch will sie keine Brille tragen. Sie mag es, dass ein Schleier auf ihrer Welt liegt, so sieht sie das Elend nicht. Das ist ein schönes Bild für den Romantiker; seine Weltfremdheit ist Selbstschutz, ihm ist alles Ouvertüre. "To fall in love", sagen die Engländer, und das Fallen ist dabei mindestens so interessant wie die Liebe selbst. Aufbruch statt Ankunft: Der Romantiker ist ein Rebell, er hält die utopische Hoffnung auf eine edlere Gegenwart am Leben.

Die schönste romantische Erzählung schrieb Ludwig Tieck. In "Des Lebens Überfluss" aus dem Jahr 1839 heiratet die adlige Clara den bürgerlichen Heinrich, und weil ihr Vater das nicht gut findet, ziehen sie sich in ein Zimmer zurück, irgendwo im Obergeschoss eines Hauses. Dann kommt der Winter, er ist verdammt kalt, und weil sie kein Geld haben und überhaupt gar nichts außer ihrer Liebe, verfeuern Clara und Heinrich die Holztreppe und damit die Verbindung zur Außenwelt. Ihr Hauswirt indes ist kein Romantiker, er ruft ganz ungerührt die Polizei, und als es ernst zu werden droht, taucht ein Freund des Paares auf. Der hat in Ostindien sein Glück gemacht, er ist reich geworden und löst die beiden aus.

Wer nun sagt, das sei ja wohl ziemlich unrealistisch und albern, und Romantik sei ohnehin bloß Unsinn, hat recht. Stubenfliegen können ja in Wirklichkeit auch nicht schwärmen, sie sind viel zu doof für die bedingungslose Liebe. Sie sind triebhafte Viecher und erhalten ihre Art, weil das nun mal ihr Instinkt ist. Nur möge man sich mal eine Welt ohne rosarote Brille vorstellen. Es muss die Hölle sein, sich nicht den Himmel auf Erden wünschen zu können, im Herz nur ein Organ zu sehen und es nicht cool zu finden, wenn es irgendwo heiß her geht. Das Radio bliebe stumm, die Leinwände der Kinos schwarz, Buchseiten weiß. Mann und Frau wären lediglich heterosexuelle Zwangsmatrix, Romeo und Julia reiche Gören, und statt Schmetterlingen im Bauch gäbe es bloß Übelkeit und Unwohlsein. Was wäre das für ein Leben?

Die Welt muss romantisiert werden.

(hol)
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