Unterschied zwischen Aktivismus und Terrorismus Worum es beim Unwort „Klimaterroristen“ eigentlich geht
Analyse | Marburg · Die „Unwort“-Jury hat sich für das Klimathema entschieden und verurteilt die Diffamierung von Aktivisten. Warum das richtig ist, aber auch Wasser auf die Mühlen der Kritiker bedeutet.
Ein Plädoyer für die sensible sprachliche Unterscheidung ist die aktuelle Entscheidung, den Begriff „Klimaterroristen“ zum Unwort des Jahres zu küren. Denn durch den Begriff wird sprachlich eine Grenze verwischt, die in der Realität einen großen Unterschied macht: die zwischen Aktivismus und Terrorismus. Wie entscheidend diese Grenze ist, zeigt sich gerade in Lützerath. Dort protestieren Klimaaktivisten dagegen, dass ein Kohlefeld abgebaggert – und damit zusätzlicher klimaschädlicher fossiler Brennstoff verfeuert wird. Für sie ist es ein weiterer Schritt in die falsche Richtung, nämlich weg vom Erreichen des 1,5-Grad-Ziels zum Schutz des Klimas. Dagegen protestieren sie; und ein Geisterdorf bei Erkelenz ist das Symbol.
Unter den Aktivisten sind auch Leute, denen jedes Mittel recht ist, die in Kauf nehmen, dass Menschen verletzt werden, die den Staat und seine Vertreter bekämpfen. Das ist radikal und gefährlich, es gefährdet Polizeikräfte wie die Protestierenden selbst, macht die Durchsetzung einer demokratischen und rechtssicheren Entscheidung schwierig und kostet die Bewegung Sympathien in der Bevölkerung. Terroristen aber versuchen durch willkürliche Attentate, Angst und Schrecken zu verbreiten, Chaos ist ihr Ziel und Furcht ihr Druckmittel.
Zwischen all dem sollte man also genau unterscheiden. Auch sprachlich. Doch in aktuellen Debatten geht es oft nicht um Differenzierung, sondern darum zu markieren, auf welcher Seite man steht. Und wer „die Anderen“ sind, denen man das Schlechteste unterstellt. Das ist Freund-Feind-Denken. Dann werden Begriffe wie „Klima-Terroristen“ geboren – und für jede Form von Protest oder zivilem Ungehorsam verwendet. Für alles, was den einzelnen nervt.
Das hat auch mit der Komplexität moderner Probleme und fragwürdigen Protestformen zu tun. Es ist mühsam, dass sich Debatten inzwischen nicht mehr nur um die Inhalte drehen, sondern auch um die Protestformen selbst. Weil man eben darüber streiten kann, ob es noch ziviler Ungehorsam ist, wenn Personen sich als menschliche Blockade in den Berufsverkehr kleben, oder ob da wenige einer Mehrheit ihre Themen aufzwingen wollen, koste es, was es wolle. Angesichts all dieser Debatten und Meta-Debatten mag es für manche eine Entlastung sein, alle zu Chaoten – oder sogar Terroristen zu erklären, die sich für etwas einsetzen, das einem selbst nicht so wichtig ist. Dann ist man selbst nämlich raus.
Die Jury der sprachkritischen „Unwort“-Aktion hat also recht, wenn sie den Ausdruck bemängelt, weil er Aktivisten und deren Proteste für mehr Klimaschutz kriminalisiere und diffamiere. Gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt, sagt die Jury. Allerdings ist die Frage, ob nicht andere Begriffe in diesem Jahr drängender gewesen wären. Schließlich gehörten zu den von Bürgern eingereichten Vorschlägen auch Kandidaten wie „Spezialoperation“, „Sondervermögen“, „Gratismentalität“ oder „Hygienespaziergang“. Also auch Begriffe, die gedankenloser verwendet werden – und umso nachhaltiger wirken. Schulden einfach Sondervermögen zu nennen oder Menschen, die für das 9-Euro-Ticket bei der Bahn eintraten, eine Gratismentalität zu unterstellen, sind subtilere Formen, ideologische Vorstellungen in Sprache zu gießen. Sie wirken dann wie Tatsachen und werden nicht mehr hinterfragt. Solche „Unwort“-Kandidaten hätten auch Themen in den Fokus gerückt, die bei aller Dringlichkeit des Klimathemas mehr Aufmerksamkeit verdienen: Armut, Umverteilung, die Diffamierung von Menschen, die aufs Geld schauen müssen.

"Unwort des Jahres": Das sind alle Sieger
Doch die Jury hat sich 2022 für plakative Fehlgriffe entschieden, hat auch den „Sozialtourismus“ wieder hervorgeholt und auf Platz 2 ihrer Kür gelistet. Ein alter Bekannter, 2013 war der Begriff bereits als Unwort ausgerufen worden. CDU-Chef Friedrich Merz hatte den Begriff im vergangenen September hervorgeholt und im Zusammenhang mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine verwendet. Doch dieser Versuch ging schief: Das diffamierende Wort fiel auf den Sprecher zurück. Merz wurde von allen Seiten kritisiert und entschuldigte sich. Die sprachliche Sensibilisierung der Öffentlichkeit hat funktioniert. Man darf also fragen, wie sinnvoll die erneute Platzierung ist. Das befeuert nur Kritiker, die der „Unwort“-Jury auch in diesem Jahr wieder vorwerfen, sie verfolge eine eigene politische Agenda – und sich mit der Wahl des Klimathemas bestätigt sehen.
Das ist schade, aber es gehört wohl mit zu dieser Kür. Denn sprachlich verkleidete Angriffe auf Menschenwürde, Demokratie und diskriminierte oder marginalisierte Gruppen bewusst zu machen, ist natürlich politisch. Gewisse Reflexe sind also zu erwarten. Doch ist die öffentliche Auseinandersetzung über Sprachgebrauch notwendig in Zeiten, in denen Diskurse kurzatmiger, plakativer, diffamierender werden. Menschen verbringen immer mehr Zeit in digitalen Netzwerken. Dort sind im Hintergrund oft Algorithmen am Werk, die negative Diskurse befeuern, weil sie Nutzer bei der Stange halten. Sprache spiegelt das mit Begriffen, die täuschen, verletzen, eigene Wirklichkeiten schaffen – und sachliche Debatten in Gesellschaften schwieriger machen. Das Plädoyer für die Differenzierung auch bei hochumstrittenen Themen wie Protesten gegen die Klimapolitik mag also erwartbar gewesen sein. Doch es kommt zur rechten Zeit.