Hunderte Karlsruher gedenken der Opfer Trauergottesdienst nach Geiseldrama

Karlsruhe · Der Schock lässt Karlsruhe stillstehen. Am Mittwoch um 9.00 Uhr läuten in Karlsruhe die Glocken, danach herrscht für eine Minute Schweigen und Stillstand. Die Straßenbahnen und Busse fahren nicht mehr. Hunderte Menschen strömen in die Evangelische Stadtkirche, wo ein Gedenkgottesdienst für die Opfer der Karlsruher Geiselnahme vom 4. Juli abgehalten wird.

Geiseldrama in Karlsruhe: Die Chronik der Ereignisse
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Foto: dapd, Daniel Kopatsch

Unter ihnen ist Waltraud Dörflinger. Der Karlsruherin ist es ein Anliegen, der Opfer zu gedenken und den Angehörigen ihren Beistand zu zeigen. "Das trifft mich sehr. Man ist so machtlos", sagt Dörflinger. Der Gang in die Kirche fällt ihr schwer. "Ich hoffe, ich halte es durch."

Drinnen leiten Ordner die Besucher und schirmen die Reihen der Angehörigen der Opfer ab. Links sitzen die Vertreter der Politik und des städtischen Lebens, rechts die Angehörigen sowie Polizisten und Rettungskräfte, die am 4. Juli im Karlsruher Norden fünf Tote bergen mussten.

Ein 53-Jähriger hatte bei einer Zwangsräumung einen 47-jährigen Gerichtsvollzieher, einen 33-jährigen Schlosser, den 49-jährigen neuen Wohnungsbesitzer und seine eigene 55-jährige Lebensgefährtin getötet, bevor er sich selbst richtete. Der Mann, der aus dem Elsass stammte, hatte mehrere Waffen in der Wohnung. Die Ermittler gehen davon aus, dass er die Tat geplant hatte. Das Motiv ist unklar.

Zerstörte Lebensplanungen und zerstörtes Lebensglück

Die Frage nach dem Warum schwebt auch am Mittwoch über allem.
Oberbürgermeister Heinz Fenrich sagt: "Wir wissen es nicht und wir ahnen, wir werden es nie erfahren." Er erinnert an die Folgen der Geiselnahme, an zerstörtes Leben, zerstörte Lebensplanungen und zerstörtes Lebensglück.

"Es hätte jeden von uns treffen können - das macht unsere Ohnmacht noch größer", betont der CDU-Politiker. Und er mahnt: "Wir müssen uns wieder neu, wir müssen uns wieder stärker besinnen auf das, was uns zusammenhält." Zusammenhalt solle die Botschaft sein, die von der Gedenkveranstaltung ausgehe. "Karlsruhe steht zusammen.
Wir alle stehen zusammen", beteuert Fenrich.

Vorne sitzen sie zusammen, ganz eng: die Angehörigen der Opfer. Sie beobachten, wie vier weiße Kerzen entzündet werden. Ein Polizist, ein Feuerwehrmann, ein Notfallseelsorger und ein Vertreter des Rettungsdienstes tragen die Kerzen zum Altar.

Kerze für den Täter wird nicht entzündet

Die fünfte Kerze wird nicht entzündet. Sie steht für den Täter, der sich am Ende selbst getötet hat. Der evangelische Dekan Otto Vogel erklärt, warum diese fünfte Kerze nicht entzündet wird. Er spricht von Verachtung und Abscheu und davon, dass die unschuldigen Opfer nicht mit dem Täter in einer Reihe stehen können. Als schließlich die Orgel erklingt, fließen die Tränen.

Die Tat, die sich in Karlsruhe vor einer Woche abgespielt hat, geht offenbar auch an den Politikern nicht spurlos vorbei: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, scheint zu Beginn seiner kurzen Rede um die Festigkeit seiner Stimme zu kämpfen. "Das ganze Land Baden-Württemberg trauert mit Ihnen", sagt er an die Familien der Opfer gerichtet. Es sei eine Tat, die in ihrer Tragik und Brutalität sprachlos mache. Kretschmann mahnt zugleich, sich auf allen Ebenen der Gesellschaft aktiv gegen Gewalt einzusetzen.

Die Karlsruher zeigen Mitgefühl und Solidarität. Das Schicksal der Opfer hat sie berührt. Vor allem das des jungen, türkischstämmigen Schlossers, der mit zur Zwangsräumung gekommen war. Der 33-Jährige hinterlässt eine Frau und mittlerweile drei Kinder. Das dritte Kind sei kurz nach der Geiselnahme zur Welt gekommen, sagt der Generalkonsul der Republik Türkei, Serhat Aksen.

Aksen dankt den Behörden für ihre Hilfsbereitschaft. "Es gab sogar städtische Mitarbeiter, die ihre Privatnummern herausgaben, damit wir sie rund um die Uhr erreichen können", hebt er hervor. Die Gedenkveranstaltung hat auch die Religionen zusammengeführt: Christliche und muslimische Geistliche gestalten gemeinsam die Stunde der Trauer. "Heute hat uns dieser Schmerz, die wir verschiedenen Glaubens und verschiedener Herkunft sind, aber zusammenleben, umso mehr vereint", betont Aksen. Er wünsche sich, "dass anstatt des Schmerzes die Freude uns zusammenführt".

(APD)
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