Anklage wegen fahrlässiger Tötung Tödlicher Unfall von Lyon vor Gericht

Hannover (rpo). Am 17. Mai 2003 ereignete sich kurz vor Lyon ein tragischer Unfall, bei dem 28 Menschen starben und 46 zum Teil schwere Verletzungen davontrugen. Patrick M. muss sich nun vor dem Landgericht in Hannover mit dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung auseinandersetzen.

Gleich zu Prozessbeginn am Dienstag drückt der 43-jährige ehemalige Mitarbeiter von Tiger-Bus-Reisen aus dem niedersächsischen Wunstorf sein "Mitgefühl gegenüber Anhörigen und Überlebenden" aus. Aber verantwortlich für den Unfall will M. nicht sein.

Das sieht die Anklage anders. "Bewusst hat der Angeklagte gegen die geltenden Lenk- und Ruhezeiten verstoßen und so das Unglück zu verantworten", sagte Staatsanwalt Kai Stumpe.

Busfahrer war bereits 44 Stunden im Dienst

Die Staatsanwaltschaft wirft M. fahrlässige Tötung in 28 Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 46 Fällen vor. Er soll den völlig übermüdeten Busfahrer für die Todesfahrt in Richtung des spanischen Lloret de Mar eingeteilt haben. Zum Zeitpunkt des Unglücks war der damals 52-jährige Walter F. bereits 44 Stunden als Fahrer, Beifahrer und Servicekraft im Dienst. Unmittelbar vor dem Unglück war er bereits ins italienische Genua gefahren.

In Dardilly kurz vor Lyon fiel F. offenbar während der Fahrt in einen tödlichen Sekundenschlaf. So konnte er nicht mehr rechtzeitig reagieren, als der mit 74 Reisenden besetzte Bus auf nasser Fahrbahn in Schleudern geriet. Das Fahrzeug durchbrach ein Brückengeländer und überschlug sich mehrfach. Angeblich fuhr der Bus zum Zeitpunkt des Unfalls 116 Stundenkilometer, obgleich nur 90 erlaubt waren. Der Busfahrer F. starb bei dem Unfall. Er war laut Staatsanwaltschaft auch Geschäftsführer des Reiseunternehmens Tiger-Bus-Reisen GmbH.

Der Angeklagte M. war damals Mitarbeiter und seit Jahren enger Partner von F.. "Er war wie ein väterlicher Freund von mir", sagte M. am Dienstag. "Ich habe bei ihm auf dem Schoß gesessen und das Busfahren gelernt." Allerdings, betont M., war er zum Zeitpunkt des Unglücks keineswegs "faktischer Geschäftsführer" des Busunternehmens, wie die Staatsanwaltschaft vermutet.

Fahrten ohne Dienstplan?

Er habe zwar jahrelang häufig Büroarbeiten in der Wunstorfer Busfirma verrichtet, aber nicht in der fraglichen Zeit. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Wolfgang Rosenbusch, wer denn im Mai 2003 die Dienstpläne für die Busfahrer der Tiger-Bus-Reisen GmbH geschrieben habe, antwortet M. knapp: "Ich nicht." Angeblich sollen die meisten Fahrten ohne Dienstplan stattgefunden haben. "Bürokram machte er nicht gerne, er fuhr lieber Bus, das war sein Leben", sagte die als Zeugin geladene ehemalige Lebensgefährtin des Fahrers.

Dem Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Vorerst sind bis Mitte Dezember 13 Verhandlungstage angesetzt, insgesamt sollen 45 Zeugen verhört werden. Bis zum Donnerstag will das Gericht klären, ob M. für die Dienstpläne des Busunternehmens verantwortlich war oder nicht.

Rost am Fahrgestell

Dann stehen weitere Fragen an: Die nach dem Unfall von der Staatsanwaltschaft Lyon angeordnete technische Untersuchung des Busses hatte schwere Mängel zu Tage gebracht. Obgleich das Fahrzeug ein erst zwei Monate altes TÜV-Siegel trug, hatten Experten Rost an Fahrgestell und Stoßdämpfern sowie ein nicht richtig eingestelltes Bremssystem entdeckt. Sechs von acht Reifen des Doppeldeckerbusses stammten von verschiedenen Marken. Wenige Stunden vor dem Unfall war den Ermittlungen zufolge die Lichtmaschine bei einem Stopp in Burgund notdürftig per Draht geflickt worden. Angeblich soll auch der Tempomat des Busses manipuliert worden sein.

Auch die Gesundheit des zu Tode gekommenen Fahrers dürfte noch Gegenstand des Prozesses sein. Er war exhumiert worden, weil er angeblich ein Ohrenleiden hatte, das seinen Gleichgewichtssinn beeinträchtigte.

2003 war ein schwarzes Jahr für den Bustourismus gewesen. Bei einer Serie von schweren Unglücken waren in Europa mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen. Binnen weniger Wochen waren bei einem Unfall in Ungarn 33 Menschen tödlich verunglückt, wenige Tage nach der Tragödie von Lyon kamen 20 Insassen eines Busses aus Dänemark bei einem Unglück im schleswig-holsteinischen Preetz um.

Als Konsequenz aus den Busunglücken war im vergangenen Jahr das Manipulieren von Tempomaten gesetzlich unter Strafe gestellt worden. Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) bietet inzwischen für die 5.400 Omnibusunternehmen in Deutschland ein Sicherheitssiegel an. In den vergangenen drei Jahren wurden laut bdo etwa 30.000 Busfahrer im Sicherheitstraining geschult. Inzwischen gebe es auch in über vielen Reisebussen Bordinformationen und Bordvideos für Reisegäste, die Hinweise zum Verhalten in Notfällen zeigen. Auch für das Unternehmen Tiger-Bus-Reisen aus Wunstorf gab es indes eine Konsequenz: Der Firma wurde die Erlaubnis für die Personenbeförderung entzogen.

Laut Zahlen des Omnibus-Verbandes ist das Risiko, bei einem Busunfall ums Leben zu kommen, trotzdem 44 mal geringer als beim motorisierten Individualverkehr, 15 mal geringer als beim Flugzeug und 4 mal geringer als bei der Bahn.

(ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort