Amoklauf von Winnenden Tim K.: Einzelgänger und Waffennarr

Winnenden (RPO). Tim K. ist am Mittwoch im baden-württembergischen Winnenden Amok gelaufen. Bislang galt der 17-Jährige als "völlig unauffällig", sagte Kultusminister Helmut Rau (CDU). Er habe die Schule im vergangenen Jahr mit Mittlerer Reife abgeschlossen. Bei seiner Tat ging der ehemalige Schüler mit einer großen Brutalität vor.

Winnenden trauert nach dem Amoklauf
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Nach Angaben der Polizei ist Tim K. am Mittwoch schweigend durch die Gänge der Schule gegangen. Die Waffe, eine Pistole der Marke Beretta, hatte er aus dem legalen Waffenarsenal seiner Eltern. Nach SWR-Informationen hat die Polizei bereits das Haus des mutmaßlichen Amokläufers in Leutenbach durchsucht und 14 Waffen gefunden. Der Vater soll Mitglied eines Schützenvereins gewesen sein und diese legal erworben haben.

Bei der Pressekonferenz gab die Polizei zu, noch keine Hinweise auf die Motive des ehemaligen Schülers zu haben. Tim K. stammte aus Weiler zum Stein, das zu Leutenbach bei Winnenden gehört. Sein Elternhaus ist zwölf Kilometer von der Albertville-Realschule entfernt. Der Vater ist laut Polizei Mitglied in einem Schützenverein und besitzt deshalb legal 15 Schusswaffen, eine davon wurde bei einer Hausdurchsuchung des Elternhauses nicht gefunden. Die Eltern wurden am Mittwochnachmittag von Beamten vernommen.

Tim K. hat die Realschule im vergangenen Jahr mit einem mittelmäßigen Abschluss verlassen und ging seitdem auf eine weiterführende Schule für kaufmännische Berufe. Nach den ersten Erkenntnissen der Polizei sei er zurückhaltend gewesen, habe Sport getrieben, seit einem Jahr auch Kraftsport. Ob er einschlägige Computerspiele gespielt habe, dazu hat die Polizei bisher keine Hinweise.

Augenzeugenberichte

Inzwischen sind erste Augenzeugenberichte über den Gewalttäter aufgetaucht. Der 19-jährige Thomas, der seinen richtigen Namen lieber nicht nennen will, wohnt in Leutenbach in der Nachbarschaft von Tim. Als Kind habe er häufig mit ihm gespielt. In den vergangenen Jahren habe er dann wenig mit Tim zu tun gehabt, sagt Thomas. Tim K. sei "ziemlich eigen" geworden. Ein ganzes Arsenal von Luftdruckwaffen habe der in seinem Zimmer gelagert.

Der 19-jährige Michael V., der mit dem Amokläufer Tischtennis spielte, fügt hinzu: "Er hatte Tausende Horrorvideos zu Hause." Er beschreibt den Täter als unauffälligen Typ mit Brille und kleinem Bart, der in letzter Zeit deutlich Gewicht zugenommen hatte. Er sei ein verschlossener Einzelgänger gewesen. Beim gemeinsamen Anschauen von Horrorvideos habe Tim ihn immer auf die besonders brutalen Stellen aufmerksam gemacht, sagt Michael V. Er bezeichnete Tim K. zudem als Angeber, der mit Geldsummen geprahlt habe, die ihm sein Vater gegeben habe.

Softairwaffen und Luftdruckpistolen hätten bei Tim einfach so herumgelegen. Die habe er wohl aus dem Keller seines Vaters gehabt, sagt Thomas. Der Vater, der nach der Schilderung von Nachbarn ein "typischer Patriarch" sei, habe eine ganze Sammlung besessen.

"Schmaler, hübscher, junger Mann"

Die Wirtin des Schützenhauses SSV Leutenbach beschreibt Tim K. als "ganz lieb" und "nicht auffällig". Er sei ein "schmaler, hübscher, junger Mann" gewesen. Die 58-Jährige schätzte den Jugendlichen aber auch als zurückhaltenden Einzelgänger ein. Tim sei alle drei bis vier Monate einmal mit seinem Vater ins Schützenhaus gekommen und habe eine Cola getrunken. Der Junge sei nicht Mitglied im Schützenverein gewesen und habe auch nicht dort trainiert. Der Vater sei im Verein sehr beliebt, sagt die Wirtin.

Der 17-jährige Manuel aus Winnenden und aus dem Umfeld des Täters sagt: "Freunde von mir haben mit dem Tim gepokert. Der war völlig normal, kein bisschen auffällig. Die Familie ist ziemlich wohlhabend und ansonsten völlig normal. Dass die Waffen hatten, war bekannt. Aber es ist unfassbar, dass der Tim so etwas getan hat. Ich habe es noch gar nicht richtig begriffen."

Mario H. war mit Tim in der Abschlussklasse an der Albertville-Realschule. "Er war eher ein Zurückhaltender, er hat wenig Freunde gehabt", sagt er dem Radiosender Antenne Bayern. "Er hat immer mit Geld um sich geworfen, um Freunde zu bekommen."Schon als Achtjähriger habe Tim K. Ego-Shooter- und andere Computerspiele gespielt, die erst ab 16 Jahren zugelassen seien. Ich hatte jedesmal das Gefühl, dass er von seinen Eltern alles erlaubt bekommt."

Andere Amokläufer haben ihre Tat im Internet angekündigt. Ein entsprechendes Dokument konnte die Polizei bisher nicht entdecken.

Auch Leutenbachs Bürgermeister Jürgen Kiesl kennt die Familie nur "oberflächlich", beschreibt sie aber als sehr "freundlich". Sie lebe schon lange in der Gemeinde und sei "integriert ins Vereins- und Gemeindeleben". Den Sohn zeichnete er vor ein paar Jahren bei einer Sportlerehrung aus, auch einen Wettbewerb im Armdrücken gewann er schon.

"Ich hatte nur einen angenehmen Eindruck", sagt Kiesl nun fassungslos über die Tat und schüttelt ungläubig den Kopf. Er hat bereits mit einigen Angehörigen aus der Gemeinde gesprochen. Die hätten ihm berichtet, dass an der Schule alle erst einmal an einen Scherz gedacht hätten, als am Mittwochmorgen Tim im Tarnanzug ein Klassenzimmer betrat. "Der ist reingekommen und da haben die Kinder erstmal gelacht", schildert es Kiesl.

Nun rätseln alle, was den 17-Jährigen zu der Tat getrieben haben könnte. "Er war halt schlecht in der Schule", versucht der 19-jährige Thomas eine Erklärung. Zumindest sei er in den vergangenen Jahren "mehr ein Einzelgänger geworden". Sein wichtigstes Hobby jedoch habe er nie aufgegeben: "Tischtennis war seine Leidenschaft", sagt Thomas. Mit Computern hatte er dagegen nicht viel am Hut. Für das Internet habe er sich auch nicht begeistert. Während er das sagt, presst Thomas plötzlich seine Hand auf den Mund und dreht sich weg. Soeben hat er die Bestätigung erhalten, dass die Schwester seines besten Freundes unter den Todesopfern ist.

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