Internet-Initiative ruft zu zivilem Ungehorsam auf Ticken die noch richtig? Proteststurm gegen Sommerzeit

Frankfurt/Main (rpo). Wenn in der Nacht von Samstag auf Sonntag die Zeit eine Stunde vorgestellt wird, fragen sich viele Menschen:Ticken die noch ganz richtig? Schlafforscher warnen vor Müdigkeit.

Auch Autos krachen häufiger zusammen und selbst Kühe mühen sich mit der verlorenen Stunde. Die "Initiative Sonnenzeit" ruft daher zum zivilen Ungehorsam gegen die Zeitumstellung auf.

Die Potsdamerin Vera Mong trotzt der Einführung der Sommerzeit am 28. März. Zum sichtbaren Zeichen des Widerstandes trägt die Zeit-Rebellin nicht nur zwei Uhren am Handgelenk, sie hat auch die "Initiative Sonnenzeit" ins Leben gerufen. Im Internet wettert Mong über die Zeitumstellung als "als Wohltat maskiertes Übel" und ruft zum zivilen Widerstand gegen die Sommerzeit auf.

Die Erklärungen der Potsdamer Künstlerin als ausgetickte Einzelmeinung abzutun, würde zu kurz greifen: Denn noch immer erhitzt die 1980 in Deutschland eingeführte Zeitumstellung die Gemüter. Das ursprüngliche Argument für die Einführung der Sommerzeit, der Energiespareffekt, gilt heute jedenfalls als widerlegt, sagt Astrid Fischer von der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW): "Durch das veränderte Freizeitverhalten wird mehr Energie am Abend verbraucht" - was den Effekt, dass im Sommer weniger Strom für Licht gebraucht werde, wieder zunichte mache.

Für ausgemachten Unsinn hält der Regensburger Professor Jürgen Zulley die alljährliche Zeitumstellung. Relativ viele Menschen litten ein bis zwei Tage lang unter den Folgen eines "Jet-Lags unter erschwerten Bedingungen", erklärt der Mediziner und Schlafforscher Zulley. Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit seien die Folgen. Eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Untersuchung zitiert Zahlen, laut denen der Körper ein bis sieben Tage braucht, bis sich die Auswirkungen des "Sommerzeit-Jet-Lags" wieder normalisiert haben.

Die Müdigkeit und Unkonzentriertheit scheint dabei nicht ungefährlich zu sein: Am Montag nach der Zeitumstellung passieren laut Jürgen Zulley rund acht Prozent mehr Unfälle als an einem gewöhnlichen Montag. Der Regensburger Professor fordert die Abschaffung der Sommerzeit, denn "ihre Kosten-Nutzen-Rechnung fällt eher negativ aus".

Durch die Zeitumstellung können sich laut ACE in abgemilderter Form ähnliche Symptome zeigen wie beim so genannten Jetlag nach Langstreckenflügen. Der Autoclub empfahl deshalb, bereits bei den ersten Anzeichen von Müdigkeit Pausen einzulegen. Der eigentümliche Biorhythmus des Menschen führe insbesondere nach dem Mittagsessen in den frühen Nachmittagsstunden zu einem Tiefpunkt der körperlichen und geistigen Verfassung. "Die Augenlider werden schwer, der Blick starr und es kommt zu unwillkürlichen Gähnattacken", beschrieb ein ACE-Verkehrssicherheitsexperte die Vorboten der Schläfrigkeit. Keinesfalls sollten sich Autofahrer mit einem "Schlaf-Defizit im Gepäck" hinters Steuer setzen.

Ferner macht der Autoclub darauf aufmerksam, dass der Genuss koffeinhaltiger Getränke nur kurzfristig die Konzentration fördere, das Leistungstief sich danach aber um so stärker bemerkbar mache. Statt großer und deftiger Mittagsmahlzeiten sollten Autofahrer lieber fettarme Kost zu sich nehmen, also viel Gemüse und Obst essen. Wenn einen die Müdigkeit bereits vor Antritt der Fahrt übermanne, sei es besser, erst später zu starten, empfahl der ACE.

Doch nicht nur der Mensch, auch das liebe Vieh hat seine Müh' mit der Zeitumstellung. "Man kann eine Kuh beim Melken nicht einfach eine Stunde warten lassen", sagt Dr. Manfred Krocker vom Institut für Nutztierwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin. "Die Tiere haben 20 bis 25 Liter Milch im Euter, die sie schon gern loswerden wollen". Die Probleme durch die Zeitumstellung würden in der Praxis dadurch entschärft, dass man die Melkzeit bereits ein paar Tage vor der Sommerzeit schrittweise nach vorne verlege. Größere Nachteile seien allerdings nicht bekannt.

Gemeinsamer Arbeitstakt

Das Bundesinnenministerium, zuständig für die gesetzliche Regelung der Sommerzeit, rechtfertigt deren Einführung mit Vorteilen wie "bessere Ausnutzung der Tageshelligkeit im Sommer" sowie die Angleichung an die Zeitzählung anderer EU-Staaten. Ein weiterer gewichtiger Grund für die Zeitumstellung sei der Arbeitstakt der gemeinsamen europäischen Wirtschaft: Laut dem Innenministerium folgt die deutsche Sommerzeitverordnung dem Zweck "das funktionieren des EU-Binnenmarktes maßgeblich zu unterstützen".

Das im Internet erscheinende Magazin für Netzkultur, Telepolis, hält das für eine falsche Rechnung: Die private Kosten der zweimaligen Zeitumstellung tauchten nirgendwo auf. Gerade private Haushalte verfügten aber noch über viele Uhren, die sich nicht automatisch umstellten, wie Raumheizungsuhren, Armbanduhren, Wecker, sowie die Uhren im Videorecorder oder im Faxgerät. Telepolis zitiert eine Seminararbeit, laut der die Zeitumstellung im Frühjahr eine halbe Stunde und im Herbst sogar noch länger dauere. Das Magazin hat hochgerechnet und kommt bei einem vereinten Europa von 150 Millionen Haushalten - also die gleiche Zahl an Arbeitsstunden für die Umstellung - auf ein Arbeitsvolumen von rund 80.000 Jahresarbeitskräften.

Dass das letzte Wort in Sachen Sommerzeit auch amtlicherseits noch nicht gesprochen ist, dürfte auch vehemente Gegner wie Vera Mong beruhigen: Ab 2007 werden die EU-Mitgliedstaaten erneut über die Auswirkungen der Richtlinie 2000/84/EG zur Regelung der Sommerzeit berichten.

Wenn die Aufklärungsarbeit der "Initiative Sonnenzeit" bei den Politikern nicht fruchtet, will Mong die Politik gar mit zivilem Ungehorsam in die Knie zwingen. "um ein Chaos zu vermeiden, können die Regierungen nur eines tun: Die Zeit laufen lassen, und nicht an den Uhren drehen". Dann, erklärt Mong "hätte das letzte Stündlein der Sommerzeit geschlagen".

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