Demonstranten legen Verkehr lahm "Stuttgart 21": Abriss der Fassade beginnt

Düsseldorf (RPO). Der Streit um das Bahnprojekt "Stuttgart 21" geht weiter. Die Gegner sind sauer, lassen ihrem Unmut mit Sitzblockaden freien Lauf und blockieren so Verkehr und Bauarbeiten. Prominente Unterstützung erhalten sie nun von einem der Väter des Projekts: Stararchitekt Frei Otto zweifelt die Sicherheit des Projekts an und fordert, die "Notbremse" zu ziehen. Während der Architekt selbst den Baustopp will, rollten am Mittwoch am Stuttgarten Hauptbahnhof die Abrissbagger an.

Bürger protestieren gegen "Stuttgart 21"
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Zunächst begannen die Bagger mit dem Abriss der Fassade des Nordflügels. Von einer Polizeikette um den Bauzaun ließen sich die Gegner des Projekts nicht abschrecken. Innerhalb kurzer Zeit versammelten sie sich am Mittwoch um die Baustelle und demonstrierten lautstark gegen die Arbeiten. Wie viele Beamte vor Ort waren, wollte die Polizei nicht angeben. Der Sprecher des Kommunikationsbüros für das Projekt, Wolfgang Drexler, sagte, nun sei der Zeitpunkt gekommen, die Mauern abzutragen.

Sitzblockaden und Straßensperren

Gegen Mittag hatten die Aktivisten bereits Alarm geschlagen und die Anlieferung von Baugeräten vermeldet. Zahlreiche Demonstranten fanden sich daraufhin vor Ort ein und protestierten mit Sitzblockaden und Straßensperren. Die Poliezi hatte nach eignenen Angaben hunderte Beamte im Einsatz und bestätigte zahlreiche Straßenblockaden, die den Verkehr zum Erliegen brachten.

Matthias von Herrmann, Sprecher der Gegner, warf den Projektpartnern vor, die Menschen über die Art und Weise des Abbruchs belogen zu haben. Die Leute seien ganz besonders darüber erzürnt, dass nicht wie versprochen der Nordflügel von innen zurückgebaut wurde, sondern mit der Abrisszange von außen. Er wertete die Aktion als Provokation und erwartete massive Proteste bis in die Nacht. Sie erwarten mehrere zehntausend Bürger.

"Arbeit nicht erschweren"

Drexler appellierte an die Demonstranten, die Arbeiten nicht zu erschweren. Das Gebäude soll nun stufenweise bis auf Niveau der Kellerdecke zurückgebaut werden. Für den gesamten Rückbau des Gebäudeteils sind etwa zwei bis drei Monate veranschlagt. Der Abriss des Nordflügels ist notwendig, um den Bau des unterirdischen Technikgebäudes am Nordeingang des Bahnhofs zu realisieren.

Seit Anfang August wurde der Nordflügel des Hauptbahnhofs entkernt, vor wenigen Wochen wurde bereits ein Vordach abgerissen. Die Demonstrationen gegen "Stuttgart 21" hatten wegen des sichtbar werdenden Baufortschritts großen Zulauf bekommen, am vergangenen Freitag hatten mehrere Zehntausend Menschen dagegen protestiert.

Architekt fordert Baustopp

Unterdessen haben der Architekt Frei Otto, einer der Schöpfer von "Stuttgart 21", und der Fahrgastverband Pro Bahn forderten einen Stopp des umstrittenen Bahnprojekts gefordert. Otto warnte eindringlich davor, mit dem Bau des neuen Hauptbahnhofs zu beginnen. Man müsse jetzt "die Notbremse ziehen", es gehe "um Leib und Leben". Otto, der vor einem Jahr aus der Projektgruppe wegen wachsender Sicherheitsbedenken ausgeschieden war, sagte, dass der Bahnhof eventuell überschwemmt werden oder auch "wie ein U-Boot aus dem Meer" aufsteigen könne.

Otto geht davon aus, dass im Erdreich von Stuttgart Gipsschichten mit hohem Anhydridanteil aufquellen und Hohlräume oder unkontrollierbare Krater bilden könnten. Die Gefahr sei so groß, dass es dabei "um Leib und Leben" gehe. Laut "Stern" bestätigt ein kaum bekanntes geologisches Gutachten von 2003 Ottos Bedenken. Der Tübinger Geologe Jakob Sierich, ein Spezialist für Anhydrid- und gipsführende Erdschichten, habe für das Magazin das Gutachten nun analysiert.

"Es geht um Menschenleben"

Sein Befund: "Bei Stuttgart 21 geht es nicht um mögliche Risse in Häusern, es geht um mögliche Krater, in denen Häuser verschwinden können. Es geht um Menschenleben." Otto sagte dazu, "mit dem Wissen von heute", könne er dieses Projekt nicht mehr verantworten.

Ein Sprecher des Umwelt- und Verkehrsministeriums wies die Forderung nach einem Baustopp zurück. Es sei unverständlich, dass Otto ein Jahr nach dem Ausstieg aus der Projektgruppe derartige Äußerungen treffe. In der Planungsphase seien diese Fragen diskutiert und beantwortet worden. Der Sprecher des Bahnprojekts, Drexler betonte, die Äußerungen seien "fachlich nicht fundiert" und entbehrten einer soliden Grundlage.

Bei dem Milliardenprojekt "Stuttgart 21" soll der Hauptbahnhof vom Kopf- zum unterirdischen Durchgangsbahnhof umgestaltet und der Flughafen an das Schienennetz angebunden werden. Zudem ist eine Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen nach Ulm geplant.

(ddp/afp/bs)
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