Mega-Blackout in Europa Stromausfall: Schwere Vorwürfe gegen Versorger
Köln (RPO). Nach dem schweren Stromausfall in Europa übt die Bundesregierung heftige Kritik an den deutschen Energiekonzernen. Die Unternehmen sollten ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen und Gewinne in die Netze investieren, forderte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Unterdessen dauert die Suche nach der Ursache für den Blackout an.
Der gigantische Stromausfall ließ am Samstagabend rund zehn Millionen Bürger europaweit im Dunklen sitzen. Menschen blieben in Seilbahnen stecken, Brandmelder gingen los, tausende Bahnreisende steckten fest. Die Ursache lag offenbar im deutschen Netz. Die Bundesregierung übte heftige Kritik an den Energiekonzernen.
Ab 22.10 Uhr ging für eine halbe Stunde in Teile des kontinentaleuropäischen Netzes nichts mehr. Auslöser sei womöglich die planmäßige Abschaltung einer Höchstspannungsleitung in Niedersachsen gewesen, teilte der Konzern E.on mit. Betroffen waren Menschen in Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien, Italien und Spanien. Politiker forderten mehr Investitionen in die Stromnetze.
Die Kölner Feuerwehr registrierte binnen einer Stunde weit über 1.000 Anrufe. Meist habe es sich jedoch um falschen Alarm gehandelt. So seien Brandmelder fälschlicherweise ausgelöst worden oder Hausbewohner hätten die Abgase angesprungener Notstromaggregate für einen Brand gehalten. Nach rund anderthalb Stunden sei der "Spuk" vorbei gewesen.
Tausende Bahnreisende mussten aufgrund der Stromausfälle Verspätungen hinnehmen müssen. Die Lage sei "nicht dramatisch, aber schon sehr unangenehm" gewesen, sagte der Sprecher Personenverkehr, Achim Stauß, am Sonntag auf ddp-Anfrage. Zu Behinderungen sei es vor allem im Großraum Berlin-Brandenburg, in Nordrhein-Westfalen und in Hessen gekommen.
Notrufe aus Seilbahn
Die Gondeln der Kölner Rheinseilbahn blieben ebenfalls stehen. Wegen der Langen Nacht der Museen waren sie in Betrieb gewesen und kurz nach 22.00 Uhr über dem Fluss stehen geblieben, sagte der stellvertretende Leiter der Kölner Berufsfeuerwehr, Johannes Feyrer. Aus den Gondeln seien einige Notrufe bei der Leitzentrale eingegangen. Hätte der Stromausfall länger gedauert, wären die Menschen von Höhenrettern aus der Seilbahn befreit worden. Dies sei letztlich aber nicht nötig gewesen. Die Rheinseilbahn ist die nach Angaben der Betreiber einzige einen Fluss überquerende Seilbahn in Deutschland.
Betroffen waren Regionen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien und Italien. Ein Verlust an Kraftwerksleistung in Norddeutschland habe die Stromausfälle verursacht, sagte ein Sprecher des Energiekonzerns RWE am Sonntag dem Nachrichtensender n-tv. Der Auslöser liege damit nicht im Netz seines Unternehmens. Die näheren Umstände des Ausfalls seien noch völlig unklar. Die automatische Stromabschaltung vieler Verbraucher habe einen "völligen Zusammenbruch" des Netzes verhindert.
Berlin nicht betroffen
In Deutschland gab es nach Angaben des Kraftwerkbetreibers RWE zwischen 22.10 Uhr und 22.40 Uhr in Millionen Haushalten keinen Strom. RWE-Sprecher Theo Horstmann sagte der AP, nach seinen Informationen seien lediglich Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern nicht betroffen gewesen. Die übrigen Regionen seien allerdings nicht flächendeckend dunkel gewesen, sondern nur in bestimmten Bereichen. Allein im Bereich von RWE Rhein-Ruhr seien rund eine Million Menschen ohne Strom gewesen.
In Nordrhein-Westfalen, dem Schwerpunkt des Stromausfalls in Deutschland, waren unter anderem Köln, Neuss, Essen, Oberhausen, Mühlhausen, Paderborn und Bielefeld sowie das Rheinland betroffen. In Oberfranken, Rheinland-Pfalz, dem nördlichen Saarland und Teilen Baden-Württembergs saßen die Menschen ebenfalls vorübergehend im Dunkeln. Zu schweren Zwischenfällen kam es dabei offenbar nicht.
Fehler bei der Einspeisung?
Laut E.ON lösten Überlastungen im nordwestdeutschen Netz die europäische Kettenreaktion aus. E.ON Netz habe eine halbe Stunde vor dem Blackout eine Leitung über die Ems abgeschaltet, um die gefahrlose Durchfahrt eines Schiffes der Meyer Werft in Papenburg zu ermöglichen. "Solche Abschaltungen sind in der Vergangenheit bereits mehrfach problemlos erfolgt", hieß es. Bislang sei unklar, wo und wodurch danach die Störung ausgelöst worden sei. Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium erklärte, als eine der möglichen Ursachen seien auch Fehler bei der Einspeisung von Strom aus Windkraft möglich. Um eine einheitliche Frequenz zu halten, müsse bei einer solchen Einspeisung die Grundlast reduziert werden, möglicherweise sei dies nicht geschehen. Es kämen aber mehrere Ursachen in Frage.
RWE-Sprecher Theo Horstmann sagte, wegen einer Unterfrequenzstörung im europäischen Verbundnetz seien die verschiedene Umspannstationen zum Schutz automatisch vom Netz gefallen. Nach Angaben des französischen Energieunternehmens RTE bestand innerhalb des europäischen Stromverbundnetzes ein "brutales Ungleichgewicht" zwischen Produktion und Verbrauch von Strom. Von den Ausfällen seien europaweit schätzungsweise zehn Millionen Menschen betroffen gewesen.
Kein Schaden für Industrie
Die deutsche Industrie kam offenbar glimpflich davon. "Der Gesamtschaden, der entstanden sein könnte, ist vermutlich gering", sagte der Geschäftsführer des Verbands der industriellen Kraftwirtschaft (VIK), Alfred Richmann, dem "Tagesspiegel".
In Frankreich waren neben insgesamt 15 Regionen auch Teile von Paris kurzzeitig ohne Elektrizität, betroffen waren fünf Millionen Menschen. In Italien traf der Ausfall die Regionen Piemont einschließlich Turins, Ligurien einschließlich Genuas sowie Lecce in Apulien. In Belgien blieb vor allem die Region um Antwerpen dunkel. Auch in Österreich hatte die Panne Auswirkungen.
Bundesregierung fordert Sanierung
Bundesregierung und Opposition forderten von den Energieversorgern mehr Investitionen in die Stromnetze. Der französische Industrieminister Francois Loos sagte, der Ausfall zeige die Notwendigkeit von Investitionen, es bestehe Diskussionsbedarf auf europäischer Ebene. Der italienische Ministerpräsident Romano Prodi sprach sich für die Einrichtung einer europäischen Energie-Aufsichtsbehörde aus. E.ON wies die Vorwürfe als an der Sache vorbeigehend zurück. Der Stromausfall gehe "definitiv nicht auf mangelnde Netzinvestitionen zurück", sagte ein Sprecher.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sagte, der Blackout zeige, "wie dringend notwendig es ist, dass die Energieversorgungsunternehmen ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen und ein leistungsfähiges Stromnetz gewährleisten". Schnellstens müssten alte Hochspannungsleitungen saniert und neue Trassen gebaut werden. Die Unternehmen müssten ihre hohen Gewinne maßgeblich für Investitionen in das Stromnetz einsetzen, forderte der SPD-Politiker.
Er kritisierte, dass die Konzerne bisher so getan hätten, als ob ein Netzausbau nur wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien erforderlich sei. "Die Stromausfälle zeigen aber einmal mehr, dass der Netzausbau auch deshalb notwendig ist, weil wir in einem europäischen Strommarkt leistungsfähige Netze für den rapide zunehmenden Transport über große Entfernungen brauchen."
Die Forderungen gingen an der Sache vorbei, entgegnete ein Sprecher des Energieunternehmens E.ON, in dessen Netz die Störung am Samstagabend aufgetreten war. Der Stromausfall gehe "definitiv nicht auf mangelnde Netzinvestitionen zurück".
Glos fordert Aufklärung
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos forderte E.ON zu einer rückhaltlosen Aufklärung des Stromausfalls auf. "Mein Ministerium wird von E.ON einen Bericht über die Netzstörung erhalten. Wir werden diesen Bericht zügig analysieren, um gemeinsam mit den Unternehmen sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle wenn irgend möglich nicht wiederholen", erklärte Glos.
Der bayerische Wirtschaftsminister Erwin Huber sprach von einem "Alarmsignal, das alle Verantwortlichen dazu bringen muss, die Versorgungssicherheit zu überprüfen und gegebenenfalls Nachbesserungen vorzunehmen". Er werde die Stromversorgungsunternehmen in Bayern einladen, um Ursachen, Auswirkungen und Konsequenzen zu erörtern.
Auch die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, forderte die Konzerne auf, mehr für die Netzsicherheit zu tun. "Die Energieversorgungsunternehmen machen reichlich Profit, aber tun wenig für die Verbraucher", sagte Künast der "Frankfurter Rundschau". Die hohen Netzgebühren und damit auch die Strompreise würden immer mit der hohen Netzsicherheit begründet. Wenn Netzfehler oder mangelhafter Betrieb Ursache des Stromausfalls seien, sei das ein weiteres Indiz dafür, dass die Begründung der Energiekonzerne nicht trage.
Neue Pannen befürchtet
Der Bund der Energieverbraucher warnte unterdessen vor weiteren Pannen: "Die Versorgungssicherheit ist nicht mehr gewährleistet", sagte Verbandschef Aribert Peters derselben Zeitung. An einem normalen Novembertag sei die Belastung nicht so hoch, dass es zu einer solchen Panne kommen dürfe. Das Netz müsse in der Lage sein, ganz anderen Wetterbedingungen stand zu halten. Der Bund der Energieverbraucher weise seit langem darauf hin, dass die Netze marode seien.