Amoklauf in Lörrach Streit um Sorgerecht vermutlich Auslöser

Lörrach (RPO). Ein Sorgerechtsstreit um den gemeinsamen Sohn brachte das Faß womöglich zum Überlaufen: Die Rechtsanwältin Sabine R. hat bei dem Amoklauf in Lörrach drei Menschen getötet und mehrere schwer verletzt. Die 41-Jährige war offenbar Sportschützin und hatte deswegen Zugang zu Waffen. Der Streit mit dem Ehemann ist ein typisches Motiv von weiblichen Amokläufen, die vergleichsweise selten auftreten.

Amoklauf in Lörrach - der Tag danach
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Lörrach (RPO). Ein Sorgerechtsstreit um den gemeinsamen Sohn brachte das Faß womöglich zum Überlaufen: Die Rechtsanwältin Sabine R. hat bei dem Amoklauf in Lörrach drei Menschen getötet und mehrere schwer verletzt. Die 41-Jährige war offenbar Sportschützin und hatte deswegen Zugang zu Waffen. Der Streit mit dem Ehemann ist ein typisches Motiv von weiblichen Amokläufen, die vergleichsweise selten auftreten.

Einen Tag nach dem Amoklauf von Lörrach verdichten sich die Anzeichen, dass es sich um ein Familiendrama handelt. Sabine R. hatte am Sonntag ihren in Trennung lebenden Ehemann und den gemeinsamen, fünf Jahre alten Sohn getötet. Der Mann hatte die Beziehung acht Wochen zuvor beendet. Nach einem Bericht der "Badischen Zeitung" könnte ein Streit um das Kind letztlich Auslöser des Dramas sein: Die Frau habe erst kürzlich das Sorgerecht verloren, schreibt das Blatt unter Berufung auf eine "entfernte Bekannte". Außerdem habe der Ex-Partner eine neue Beziehung gehabt.

Am Sonntag hatte Sabine R. ihren Sohn, der bei dem Vater lebte, wieder zurückbringen müssen. Nach ihrem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung war das Kind bei dem Mann geblieben. Die Frau hatte in dem gleichen Haus ihre Kanzlei. Bewohner des Hauses berichteten der Online-Ausgabe des "Spiegel", dass es bei der Übergabe des Kindes regelmäßig zu lautstarken Auseinandersetzungen gekommen sei.

Wie es zu der Bluttat kam, ist noch ungeklärt. Der Mann wurde erschossen, die Todesursache des Sohnes ist noch nicht bekannt. Die Wohnung, in der das Kind und der Ehemann der Frau gefunden wurden, sei völlig verwüstet gewesen, teilte die Polizei mit. Nach den beiden Morden muss Sabine R. ein Feuer gelegt haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurde die Explosion in dem Wohnhaus vermutlich durch einen Brandbeschleuniger herbeigeführt. Es wurden Kanister gefunden. Die Detonation war so heftig, dass eine Wand herausgerissen wurde.

Feuerwehr löscht Wohnhaus

Das brennende Wohnhaus wurde von der Feuerwehr gelöscht. Die Feuerwehr brachte aus dem brennenden Gebäude sieben Menschen und zwölf weitere aus dem Nachbarhaus in Sicherheit. Durch die Explosion und den Brand erlitten den Angaben zufolge 17 Menschen leichte Rauchvergiftungen. Etliche Einsatzkräfte und andere Menschen seien durch ein Kriseninterventionsteam betreut worden, teilte die Polizei weiter mit.

Im Anschluss an die Explosion in der Markus-Pflüger-Straße schoss die Frau auf der Straße mit einer kleinkalibrigen Sportpistole zwei Passanten an. Einer sei in den Rücken getroffen worden, der andere habe einen Streifschuss am Kopf erlitten, teilte die Polizei mit. Danach drang die Amokläuferin im rund 150 Meter entfernten Klinikum in die gynäkologische Abteilung ein und erstach dort einen Pfleger, der wahrscheinlich ein zufälliges Opfer war.

Als die ersten Polizisten am Krankenhaus eintrafen, habe die Täterin einen Beamten ins Knie geschossen, hieß es weiter. Bei dem folgenden Schusswechsel sei die Frau getötet worden. Gesamteinsatzleiter Michael Granzow betonte, der verletzte Polizist sei im Einsatz gewesen. Zuvor hatte ein Sprecher des Landeskriminalamt (LKA) gesagt, der bei der Schießerei verletzte Beamte habe privat in der Klinik aufgehalten und sich eingemischt. Ob die Frau gezielt in diesen Bereich des Krankenhauses gegangen war oder schwer verwirrt war, war am Montag unklar.

Sabine R. war offenbar Sportschützin

Sabine R. hatte bei ihrem Amoklauf eine kleinkalibrige Sportschützenwaffe genutzt. Ob die Täterin einem Schützenverein angehörte, ist noch nicht bestätigt. Nach einem Bericht der "Badischen Zeitung" soll dies aber der Fall gewesen sein. Im Krankenhaus fand die Polizei weitere Patronen.

Sportwaffen können nach dem Gesetz zu Hause aufbewahrt werden, wie der Waffenexperte Wolfgang Dicke erläuterte. Dort seien sie sicherer als in einem Waffenschrank im Schützenverein, meint Dicke.

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) sagte, dass es keine Ausnahmen für Anwälte beim Waffenbesitz gebe. Zur Tatwaffe selbst wollte er sich nicht äußern. Ein Polizeisprecher betonte, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Anwaltstätigkeit und der Waffe gebe.

Frauen selten Amok-Täter

Dass eine Frau zur Amoktäterin wird, ist durchaus ungewöhnlich. Dies sei zwanzig Mal seltener als durch einen Mann, sagt der Thüringer Psychologe Lothar Adler, der weltweit Amokläufe untersucht hat. Einer der Gründe dafür sei, dass Männer deutlich gewaltbereiter seien: So gebe es ähnlich viele weibliche wie männliche Diebe. Bei Morden aber sei der Täter zehnmal häufiger ein Mann als eine Frau. Ein weiterer Grund für den höheren Männeranteil bei Amokläufen sei die bei Männern stärkere Neigung zum Suizid: Hinter dem Amoklauf stecke neben dem Wunsch zu töten auch der Wunsch zu sterben, sagt Adler.

Nach Angaben der Darmstädter Kriminalpsychologin Justine Glaz-Ocik werden Frauen vor allem in ihrem engsten sozialen Umfeld gewalttätig. Überwiegend sei die Beziehungssituation dann der Auslöser einer Gewalttat - auch im Lörracher Fall mit vier Toten sehen die Ermittler einen Zusammenhang zwischen der Trennung der Frau von ihrem Mann und dem Amoklauf. Glaz-Ocik sagt, dass Frauen zwar deutlich später als Männer an den Punkt kommen, wo sie über das soziale Umfeld hinaus gewalttätig werden und einen Amoklauf beginnen. Wenn sie aber eine gewisse Stufe erreicht und sich zum Amoklauf entschlossen haben, "dann sind die Folgen der Gewalttat genauso verheerend wie bei Männern".

Der Auslöser für solch einen Amoklauf durch eine Frau kann nach den Worten von Glaz-Ocik das subjektive Empfinden sein, nichts mehr zu verlieren zu haben. Rache könne dann das Motiv sein oder Vergeltung für erlebtes Unrecht. Die Täter - egal ob Mann oder Frau - würden sich dann im Recht sehen. Die Umstände des Amoklaufs von Lörrach zeigten auch, dass die 41-jährige Rechtsanwältin die Tat geplant haben müsse. Besonders bei Tätern mit einem höheren Ausbildungsstand spiele der planerische Aspekt eine stärkere Rolle.

(dapd/AFP/ndi)
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