Verfahren berührt existenzielle Fragen Bundesverfassungsgericht entscheidet über umstrittenes Sterbehilfe-Gesetz
Karlsruhe · Im April 2019 verhandelte das Bundesverfassungsgericht darüber, ob das in Deutschland geltende Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe verfassungskonform ist. Am Mittwoch soll das Gericht seine Entscheidung verkünden. Schwer kranke Menschen, Sterbehilfevereine und Ärzte hatten Verfassungsbeschwerden eingereicht.
Grundsätzliche Themen muss das Bundesverfassungsgericht praktisch immer bearbeiten, doch am Mittwoch gibt es nun seine Antwort auf wirklich existenzielle Fragen: Dann verkündet das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe sein mit Spannung erwartetes Urteil zum Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe. Die Verfassungsrichter entscheiden letztlich auch darüber, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt – und wie das aussehen könnte.
Worüber muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden?
Der Zweite Senat des Verfassungsgerichts befasste sich in einer zweitägigen Verhandlung im April mit dem inzwischen vor mehr als vier Jahren eingeführten Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“. Mehr als zehn Monate später steht nun die Entscheidung darüber an, ob der angegriffene Strafrechtsparagraf 217 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Wörtlich heißt es darin: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Die Beihilfe zum Suizid bleibt damit zwar grundsätzlich weiter erlaubt – Strafe droht aber nun, wenn sie „geschäftsmäßig“ betrieben wird. Dies setzt kein kommerzielles Interesse voraus.
Die Ende 2015 nach langen und kontroversen Debatten im Bundestag beschlossene Neuregelung beruhte auf einer parteiübergreifenden Initiative, die vor allem auf Sterbehilfevereine zielte. Die Abgeordneten hätten erreichen wollen, dass „kein suizidfreundliches Umfeld“ geschaffen werde, verteidigte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand bei der mündlichen Verhandlung im April die Regelung.
Wer klagt in Karlsruhe?
Vor das höchste deutsche Gericht zogen schwer kranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfevereine, deren Verfassungsbeschwerden sich unmittelbar gegen den Strafrechtsparagrafen 217 richten. Die Kläger sehen die damit verbundenen Einschränkungen als zu weitgehend an. Der Bevollmächtigte eines klagenden Arztes, der Medizinrechtler Wolfgang Putz, brachte das Anliegen bei der mündlichen Verhandlung auf die Formel: „Das Recht auf Leben begründet keine Pflicht zum Leben.“
Die verschiedenen Kläger begründen ihre Beschwerden jeweils unterschiedlich. Die schwer kranken Menschen, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen, leiten aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Paragraf 217 mache es ihnen „weitgehend unmöglich, ihre Entscheidung in würdiger Art und Weise umzusetzen“, zeigte sich der Bevollmächtigte von zwei Klägern, Christoph Knauer, überzeugt.
Die klagenden Ärzte sehen ihre Gewissens- und Berufsfreiheit verletzt. Aus ihrer Sicht ist nicht eindeutig genug geregelt, ob im Einzelfall eine ärztliche Sterbehilfe straffrei bleibt. Sie bewegten sich durch den Paragrafen 2017 auf „juristisch unsicherem Terrain“, sagte der klagende Arzt Dietmar Beck.
Die Sterbehilfevereine wehren sich dagegen, dass sie für ihre Mitglieder nicht mehr tätig werden können. Der vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete Verein Sterbehilfe Deutschland bietet seit dem Verbot im Jahr 2015 keine Suizidbegleitungen mehr an.
Welche Folgen könnte das Urteil haben?
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle machte in der Verhandlung im April die Grenzen des Verfahrens deutlich. Es gehe „nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung und ihrer Folgen für die Gesellschaft“, sondern „ausschließlich um die Verfassungsmäßigkeit einer konkreten Strafrechtsnorm mit einem beschränkten Anwendungsbereich“, sagte Voßkuhle.
Doch diese Einschränkung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die acht Verfassungsrichter des Senats ein in jedem Fall wegweisendes Urteil fällen werden. Sie müssen entscheiden, ob der Gesetzgeber mit dem Verbot der „geschäftsmäßigen“ Sterbehilfe zu weit gegangen ist, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt und wie Ärzte mit den Wünschen schwer kranker Menschen umgehen können. Die kritischen Fragen der Richter in der mündlichen Verhandlung im April deuteten zumindest darauf hin, dass die jetzige Regelung so womöglich nicht bestehen bleiben kann.
Wie sieht die Bevölkerung das Verbot?
Die Mehrheit der Deutschen ist laut einer Umfrage dafür, dass Ärzte nicht bestraft werden, wenn sie Schwerstkranke dabei unterstützen, sich selbst zu töten. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest-dimap für das ARD-Magazin „Report Mainz“ hervor, das am Dienstagabend ausgestrahlt wird.
Demnach lehnten 67 Prozent der Befragten den Strafrechtsparagrafen 217 ab, der Strafen bis zu drei Jahren vorsieht, wenn Ärzte wiederholt bei der Selbsttötung helfen. 81 Prozent der Befragten erklärten, dass es Ärzten ausdrücklich erlaubt sein sollte, Schwerstkranke beim Suizid zu unterstützen.