Heute vor 70 Jahren Stauffenbergs missglückter Tyrannenmord

Düsseldorf · Vor 70 Jahren unternahmen die "Männer des 20. Juli 1944" einen verzweifelten Umsturzversuch gegen Hitlers Terrorregime.

20. Juli 1944: Chronik eines Scheiterns
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20. Juli 1944: Chronik eines Scheiterns

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20. Juli 1944, zwischen zwölf und ein Uhr mittags. Militärische Lagebesprechung mit Adolf Hitler im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen. Der Diktator beugt sich gemeinsam mit hündisch ergebenen Uniform-Figuren über den schweren Kartentisch aus Eichenholz. Einer in der Runde war anders, ein Widerständiger, entschlossen zum Äußersten, zum Tyrannenmord. Sein Name: Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

20./21. Juli vor 70 Jahren, kurz nach Mitternacht, Berlin, Bendlerblock: Der Tyrannenmord war misslungen. Hitler - wie ein räudiger Kater schien der Unhold sieben Leben zu haben - hatte leicht verletzt auch diesen letzten von vielen Anschlägen seit den zwanziger Jahren überlebt. Stauffenberg jedoch lag erschossen von einem NS-Hinrichtungskommando auf einem Sandhügel. Seine letzten Wörter sollen gewesen sein: "Es lebe das heilige Deutschland." Wenn es so etwas wie ein heiliges Land überhaupt geben kann - dann hatte es Hitler in einer Art besudelt, wie sie abscheulicher nicht denkbar war. Er trieb nach dem misslungenen Attentats- und Umsturzversuch weitere neun Monate und neun Tage lang Millionen von Menschen in den Tod. Sein "totaler Krieg" mündete in den totalen Untergang Deutschlands, dem er eigenen Ausführungen zufolge "keine Träne nachweinen" mochte.

Stauffenberg und seine Mitverschwörer - man nennt sie bis heute "Männer des 20. Juli" - stehen für die Minderheit jener Deutschen, die den NS-Giftbecher nicht bis zur Neige leeren mochten; die den Versuch wagten, der Welt zu zeigen, dass es in diesem entehrten Land Zivilisten und Offiziere von Ehre gab, die ihr Leben und das ihrer Familie riskierten.

Der Publizist Herbert Kremp schrieb vor sechs Jahren über den 20. Juli 1944: "Für das Selbstverständnis der Deutschen ist die sittliche Entschlossenheit des Widerstandes (. . .) das entscheidende Ereignis. Es gab eine führende Schicht, die bereit war, gegen die NS-Verbrechen und für die Chance rechtsgeleiteter Freiheit das Leben in die Schanze zu schlagen." Kremp nennt diese Schicht "dünn wie eine Eierschale, sozial breit, vielfach religiös motiviert".

Keinesfalls alle Widerständler, auch Stauffenberg nicht, waren von Anfang an Gegner des Nationalsozialismus. Carl Friedrich Goerdeler etwa, der laut Umsturzplan "Operation Walküre" als Reichskanzler vorgesehen war, pflegte autoritäre Staatsvorstellungen und wollte einer Volksvertretung lediglich beratende Funktion einräumen. Oberstleutnant Hans Oster trat dafür ein, dass nach dem Untergang Hitlers und seines Regimes die Monarchie wieder eingeführt werden sollte. Sie mögen keine parlamentarischen Demokraten gewesen sein; aber Stauffenberg, Henning von Tresckow, Ludwig Beck und ihre vorwiegend konservativen (auch dünkelhaften) adeligen Mitverschwörer hatten sich bürgerliche Gesittung und Menschlichkeit angesichts des Grauens an und vor allem hinter der Ostfront bewahrt. Die "Männer des 20. Juli 1944" repräsentierten ein Gefühl für Recht sowie die Abscheu vor grassierender Unmenschlichkeit inmitten der Hitler-Raserei. Stauffenberg & Co., deren Tat noch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik bei manchen Landsleuten das Odium des Verrats umwehte, sind, wie Kremp schreibt, "ein trost-reicher Teil unserer Geschichte".

 Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und der Chef der "Kanzlei des Führers", Martin Bormann, begutachten die Zerstörung im Führerhauptquartier Rastenburg nach dem missglückten Anschlag.

Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und der Chef der "Kanzlei des Führers", Martin Bormann, begutachten die Zerstörung im Führerhauptquartier Rastenburg nach dem missglückten Anschlag.

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Heute wird das nicht mehr ernsthaft bestritten. Noch 1951 beurteilten bloß 43 Prozent der Männer und 38 Prozent der Frauen den Aufstand der Anständigen positiv. 1956 lehnte eine Mehrheit der befragten Deutschen es ab, eine Schule nach dem Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg oder dem Kopf der "Operation Walküre", Carl Friedrich Goerdeler, zu benennen.

Johannes Tuchel berichtet in seiner Abhandlung "Der 20. Juli 1944 in der frühen Bundesrepublik" über die Witwe von Generalmajor Helmuth Stieff, der sich als Beteiligter am Umsturzplan nach dessen Scheitern das Leben genommen hatte. Der Witwe sei zunächst eine Rentenzahlung verweigert worden. Erst nach jahrelangem Rechtsstreit habe sie 1960 eine staatliche Hinterbliebenenversorgung zugesprochen bekommen.

Was lief schief vor 70 Jahren, mittags im Besprechungsraum mit Hitler im Führerhauptquartier? Wolfgang Benz berichtet in seinem lesenswerten Buch "Der deutsche Widerstand gegen Hitler" (Verlag C.H. Beck) über den damals 37 Jahre jungen Stabsoffizier Oberst Graf Stauffenberg, den verheirateten Vater von fünf Kindern: Anfangs sympathisierend mit dem Nazi-Regime, dann immer stärker angewidert von dessen monströsen Gräueltaten; Teilnehmer an Feldzügen gegen Polen, Frankreich, in Nordafrika; seit April 1943 schwer verwundet, Verlust eines Auges, der rechten Hand und zweier Finger seiner Linken. Der glühende deutsche Patriot besaß als einziger der aktiven Widerständler des Militärs Zugang zur Lagebesprechung mit dem Diktator. Am Morgen des Attentats-Tages vor 70 Jahren flog Stauffenberg von Berlin nach Rastenburg. Er war für 12.30 Uhr "zum Vortrag beim Führer" bestellt.

Wohl aufgrund seiner schweren Behinderung vermochte er bloß eine von zwei Bomben in einem Vorraum der "Wolfschanze" scharf zu machen. Zurück im Lageraum stellte Stauffenberg seine Aktentasche mit der Sprengladung in Hitlers Nähe unter den Holztisch. Sodann verließ er unter einem Vorwand den Raum. Zehn Minuten später die Explosion. Vier von 24 Anwesenden erlagen ihren Verletzungen, aber eben Hitler nicht.

Stauffenberg, der um 13.15 Uhr sein Flugzeug in Richtung Berlin steuern ließ, war sich bei seiner Ankunft im Berliner Bendlerblock gegen 16.30 Uhr sicher, dass der Tyrann tot sei. Bald kam aus dem Führerhauptquartier die Nachricht: "Hitler lebt."

Der Tyrann nahm grausam Rache. Stauffenberg und einige Mitverschwörer wurden noch in der Nacht erschossen. Die Gestapo-Sonderkommission "20. Juli 1944" setzte die "Aktion Gewitter" in Gang. Hunderte wirkliche oder vermutete Regimegegner wurden zum Tode verurteilt; einige ihm besonders verhasste Männer des Widerstandes ließ Hitler an Fleischerhaken aufhängen; der Henker solle sie "henken wie Schlachtvieh". Die Filmaufnahmen der Torturen ließ sich der Tyrann anschließend vorführen.

(RP)
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