Ich quatsch' dich zu! Warum Sprachnachrichten toll sind – aber viele aufregen

Düsseldorf · Als es anfing mit WhatsApp und anderen Messengern, waren es schreibfaule Teenies, die einander Sprachnachrichten schickten. Jetzt greift diese digitale Kommunikationsform um sich. Viele hassen sie. Unsere Autorin liebt Sprachnachrichten. Die Gründe erklärt sie hier.

 Texten statt telefonieren: Eine Frau nimmt eine Sprachnachricht mit dem Smartphone auf.

Texten statt telefonieren: Eine Frau nimmt eine Sprachnachricht mit dem Smartphone auf.

Foto: dpa/Lino Mirgeler

Sprachnachrichten sind so unkompliziert. Smartphone nehmen, Messenger öffnen, Chat wählen, reden. Nebenbei kann man den Kinderwagen schieben (ohne den Blick für den Verkehr zu verlieren), die Wäsche aufhängen, aufräumen oder im Stau stehen (letzteres habe ich nie offiziell gesagt).

Vor allem berufstätige, gestresste Mütter wie ich finden Voicemails praktisch. Dass diese immer beliebter werden, zeigte jüngst eine Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache. Elf Prozent der befragten Messenger-Nutzer gaben an, täglich eine Voicemail zu verschicken, 18 Prozent machen das ein- oder mehrmals die Woche, 16 Prozent mindestens einmal im Monat. Nur rund ein Drittel (31 Prozent) nutzt Sprachnachrichten gar nicht.

Die Stimme des anderen hören

Häufigstes Argument für Sprachnachrichten ist die Zeitersparnis. Denn Voicemails sind schnell erledigt: Für die Infos, die man in zwei Minuten Audiobotschaft unterbringen kann, müsste man lange tippen. Man kann dabei in die Luft starren, ins Grüne, wohin auch immer: Hauptsache nicht noch länger am Tag auf einen Bildschirm! Was ohnehin gemacht werden muss, wird nebenbei erledigt, im besten Fall sind ja beide Hände frei.

Mindestens genauso gerne, wie ich Sprachnachrichten aufnehme, höre ich sie mir an. Denn solche Nachrichten sind authentisch: Man hört die Stimme des anderen, sein Lachen, die Besorgnis, Aufregung oder Freude beim Erzählen. Das ist viel persönlicher und emotionaler als Texte, finde ich.

Sexprobleme in voller Lautstärke

Eben im Büro macht man das nicht, klar. Und es ist auch nicht ratsam, sich eine Sprachnachricht laut in der Bahn anzuhören. Verständlich daher, wenn Leute genervt sind, weil viele das doch tun. Nicht jeder will mithören, welche Sexprobleme eine Fremde hat oder was für ein Depp jemandes Chef ist. Doch das Tolle an Sprachnachrichten ist ja, dass man sie aufnehmen und abhören kann, wann immer es passt - im Gegensatz zu Telefonaten.

Was für mich ein unschlagbarer Vorteil ist, bringt andere auf die Palme. So appelliert etwa Amelie Graen in der „HuffPost“ „An alle, die ständig Sprachnachrichten auf WhatsApp verschicken: Haltet die Schnauze“. Autor Tobias Gillen spricht im Online-Magazin „Basic Thinking“ von einer „Sprachnachrichten-Plage“. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es Hasser. In einem Gruppenchat schrieb neulich ein Freund von mir, er höre Sprachnachrichten gar nicht erst ab, weil ihn das so nerve. Meiner Freundin und mir riet er, wir könnten ja einen anderen Chat eröffnen und uns dann „gegenseitig asynchron zublubbern, statt einfach mal kurz zu telefonieren“. Er selbst mache da nicht mehr mit.

Da musste ich schmunzeln (über seine Wortwahl), ihm ein wenig Recht geben (man hat nicht immer Zeit zum Abhören). Aber ich war auch baff. Offenbar hatte er mein ganzes bewegtes Leben der vergangenen Monate gar nicht mitbekommen!

Ein Beispiel dafür, wie Kommunikation misslingen kann. Andererseits: Wann haben Sie das letzte Mal versucht, drei berufstätige Menschen aus drei Bundesländern mit völlig verschiedenen Lebenssituationen zu einem gemeinsamen Telefonat zu koordinieren?

Man zwingt dem Empfänger die Situation auf

Ärgerlich finden viele auch etwas anderes: Bei Sprachnachrichten erkennt man nicht auf den ersten Blick, worum es geht, ob es wichtig ist und eilt. Man muss sich auf das Abhören einlassen, ohne zu wissen, ob die aufgesprochenen Minuten gehaltvolle Neuigkeiten bringen oder nicht.

Textnachrichten dagegen sind kurz, man kann sie schnell und lautlos überfliegen und weiß Bescheid, auch im Wartezimmer. „Wenn jemand eine Sprachnachricht verschickt, ignoriert er damit möglicherweise die Anforderungen, die sein Gegenüber auf der Empfängerseite hat“, sagt Bastian Roet vom Berufsverband Deutscher Soziologen (BDS). „Dass derjenige zum Beispiel gerade nicht in der Lage ist, die Nachricht abzuhören.“

Dem Empfänger werde die Situation aufgezwungen, es entstehe ein Ungleichgewicht. „Die Nachricht später anzuhören, stößt jedoch in Konflikt mit der gängigen Meinung, dass solche Nachrichten sofort abgehört werden müssen“, sagt Roet. „Kurznachrichtendienste sind ja eigentlich für die unmittelbare Kommunikation gedacht.“

Nehme ich mir die Zeit für ein Telefonat?

Sprachnachrichten müssten von beiden Seiten akzeptiert werden: „Man muss wissen, wie man mit der jeweiligen Person am besten kommunizieren kann“, sagt Roet. Wenn jemand Voicemails hasst und lieber telefonieren würde, ist es kontraproduktiv, ihn mit Audiobotschaften zu nötigen. „Das ist auch eine Frage der Empathie und Sozialkompetenz“, sagt Roet.

Sei es für beide Seiten okay, schadeten Sprachnachrichten nicht. Wenn man aber einseitig damit anfange, könne das als herabsetzend und beleidigend aufgefasst werden. „Denn ich senke damit das Exklusivitätsniveau der Kommunikation“, sagt Roet. „Die Frage ist ja: Nehme ich mir die Zeit für ein Telefonat, oder kündige ich diese Selbstverpflichtung auf und kommuniziere nur noch, wann es mir passt?“

Keine Fragen, keine Antworten

Für den Digitalforscher und Buchautor Gerald Lembke sind Sprachnachrichten nur eine neue Spielart der technisch vermittelten Kommunikation zwischen Menschen. „Es gibt sie schon seit dem Anrufbeantworter. Bloß dass solche Nachrichten auf Smartphones und Tablets viel einfacher sind.“ Ihr Nachteil: „Die Kommunikation ist einseitig, ohne Rückkanal wie beim direkten Gespräch. Man kann keine Fragen stellen, nicht spontan etwas einwenden oder antworten“, sagt Lembke.

Inwieweit das die Qualität der Kommunikation beeinflusst, ist nicht erforscht. „Fakt ist, dass die Menschen heute viel mehr kommunizieren als früher. Nur steigt damit nicht zwangsläufig die Qualität dieser Kommunikation, im Gegenteil“, sagt Lembke. So würden Smartphones und Tablets heute durchschnittlich mehr als 100 Mal am Tag aktiviert - zu 70 Prozent, um auf eine Nachricht zu reagieren. „Unser Alltag ist hochgradig fragmentiert, die Aufmerksamkeit stark verteilt. Dadurch läuft man Gefahr, auch in der privaten Kommunikation oberflächlicher zu werden“, sagt Lembke.

Lieber nicht übertreiben

Klar ist: Einen Beziehungsstreit via Sprachmail auszutragen, ist keine gute Idee. Und man darf es mit dem Quatschen nicht übertreiben. Wer minutenlang Belanglosigkeiten aufnimmt und damit anderen Lebenszeit raubt, macht sich keine Freunde.

Bei mir muss eine Sprachnachricht warten, bis ich die Zeit dafür habe oder sie mir nehme. Zugegeben: Damit mache ich es mir einfach. Ich bestimme, wann der andere zu Wort kommt und wann nicht. Das verlangt Verständnis, das ich einfordere, welches ich aber auch allen einräume, denen ich Voicemails schicke. Hat der andere Stress, muss meine Nachricht warten. Pech. Ist es dringend, kann man ja immer noch anrufen.

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