Fernbeziehung "Sex auf Vorrat" ist unmöglich

Hamburg (rpo). Nur noch wenige Minuten, der Abschiedsschmerz schnürt die Kehle zu. Für viele Paare endet die Wochenendbeziehung am Sonntagabend. Dann stehen sie am Bahnhof, halten ein letztes Mal Händchen, küssen sich innig. Wenn der Zug die Bahnhofshalle verlassen hat, beginnt wieder die Zeit des Wartens. Fünf endlose Tage lang.

 Glück dabei, Probleme danach: Der Terror von verletzten Verflossenen oder Langzeit-Liebessüchtigen ist nicht allein ein Prominenten-Problem.

Glück dabei, Probleme danach: Der Terror von verletzten Verflossenen oder Langzeit-Liebessüchtigen ist nicht allein ein Prominenten-Problem.

Foto: CP, AP

"Beziehungsalltag in Deutschland", sagt Peter Wendl, Kommunikationstrainer für Paare und Diplom-Theologe. "Eine harmonische Wochenendbeziehung ist alles andere, als ein Selbstläufer", hat der 35jährige festgestellt. Liebe sei die Basis, alles andere nach den ersten Schmetterlingen im Bauch durchaus als harte Arbeit zu bezeichnen. Nach Gesprächen mit mehr als tausend so genannten Wochenend-Paaren weiß der Autor des Buches "Gelingende Fern-Beziehungen. Entfernt zusammen wachsen", dass die meisten Männer und Frauen an mangelnder Kommunikation und zu hohen Erwartungen scheitern.

 Wenn der Zug den Bahnhof verlassen hat, beginnt wieder die Zeit des Wartens.

Wenn der Zug den Bahnhof verlassen hat, beginnt wieder die Zeit des Wartens.

Foto: AP, AP

"Eine gute Partnerschaft basiert immer auf drei Säulen. Der Liebe, einer ausgefüllten Sexualität und der Kommunikation", erklärt er. Die Schwierigkeit bestehe darin, eine Balance zwischen den drei Aspekten zu finden. Und das, obwohl man sich oft nur von Freitagabend bis Sonntagnachmittag sehe und ansonsten Nähe über E-Mail-Kontakt oder Telefon aufrechterhalten werden müsse.

Paaren rät der Experte, der in Sachen Fernbeziehung an der Universität Eichstätt-Ingolstadt forscht, sich Zeitinseln zu schaffen. Anstatt zwei Tage lang den Spagat zwischen Zweisamkeit, Freundeskreis, Verwandtenbesuchen und Einkaufsmarathon zu machen, sei es besser, jedes Wochenende unter ein Motto zu stellen. Alle vier bis sechs Wochen böten sich verlängerte Wochenenden an. "Dann kann man sich schon am Donnerstag streiten und am Samstag herrscht wieder Harmonie", meint er mit einem Augenzwinkern. Denn Auseinandersetzungen gehörten ebenfalls dazu und seien völlig normal.

Sich ein gemeinsames Lebensthema zu suchen, rät Joachim Lask seinen Kunden. Der Leiter des WorkLife-Instituts in Mühltal/Darmstadt unterstützt Paare, die in Fernbeziehungen leben, mit speziellen Seminaren. Dort sollen Männer und Frauen den Umgang mit Nähe und Distanz individuell lernen und einen gemeinsamen Weg finden. Ob Kirche oder Politik, Hobbys oder Sammelleidenschaft - als Lebensthema biete sich vieles an. Motto: "Miteinander auch in der Zeit der Trennung im Gespräch bleiben, auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten", erklärt Joachim Lask. Vorraussetzung auch hierfür, so der 43-Jährige: "Die generell erhöhten Erwartungen möglichst realistisch runterbrechen."

Dass übersteigerte Erwartungen oft zu Unzufriedenheit oder Trennung bei Wochenendpaaren führen, hat auch Alexandra Berger festgestellt. Die Autorin des Buches "Liebe aus dem Koffer" führt selbst eine Wochenendbeziehung München/Hamburg und hat im Flugzeug zahlreiche Leidensgenossen kennen gelernt. Ihr Fazit nach zahlreichen Recherchegesprächen: "Paare, die sich am Wochenende nicht so viel vornehmen sind am glücklichsten." Ihr Tipp: "Reden, reden, reden. Und das nicht nur über die großen Dinge des Lebens. Gerade im Gespräch über die kleinen Erlebnisse, Angewohnheiten und Sorgen kann man den anderen an seinem Leben beteiligen." Absolute Stolperfalle für Fernbeziehungen, so die 41-Jährige: "Wer glaubt, jedes Wochenende mehrmals hervorragenden Sex haben zu müssen, wird zwangsläufig an der Realität scheitern."

Lange Abschiede vermeiden

"Man kann nicht auf Vorrat miteinander reden oder Liebe machen", dämpft auch Peter Wendl zu hohe Erwartungen. Die Idee, dass man bereits am Freitagabend all die Zärtlichkeiten nachholen könne, die man die ganze Woche über vermisst habe, sei ein Irrglaube. Ein erfülltes Liebesleben nach Stundenplan könne nicht funktionieren. Ein Grund für die Unlust sei oft die bevorstehende Trennung, die über allem schwebe. "Viele fühlen sich deshalb geradezu beklemmt, sind traurig. Das mindert die Lust und ist völlig normal", sagt Wendl.

Damit nicht jedes Wochenende im Blues endet, sollten lange Abschiede am Bahnhof vom Programm gestrichen werden. Eine zärtliche Umarmung und ein Kuss ersetzten tränenreiche Minuten auf öffentlichen Plätzen. Kleine Liebesbotschaften unter der Woche machten stattdessen Vorfreude auf das kommende Wochenende und, so Peter Wendl: "Was gibt es Schöneres, als eine Postkarte zu bekommen, auf der steht: ,Ich freue mich auf dich'?".

(afp)
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