Der Fall Magnus Gäfgen Schmerzensgeld für einen Mörder

Der Kindsmörder Magnus Gäfgen verlangt 10.000 Euro Schmerzensgeld vom Staat, weil ihm bei seiner Vernehmung Gewalt angedroht wurde. Am Mittwoch beschäftigt sich die Justiz erneut mit diesem Fall.

 Der Grabschmuck des Opfers Jakob von Metzler. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2002.

Der Grabschmuck des Opfers Jakob von Metzler. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2002.

Foto: dpa, Frank Rumpenhorst

Magnus Gäfgen will dabei sein, wenn sich am Mittwochvormittag — wieder einmal — ein Gericht mit seinen hanebüchenen Forderungen befassen muss. Der 36-Jährige ist der Mörder des Bankierssohns Jakob von Metzler. Weil ihm vor zehn Jahren bei der polizeilichen Vernehmung Gewalt angedroht wurde, verlangt Gäfgen vom Land Hessen 10 000 Euro Schmerzensgeld.

Rückblende: Elf Jahre ist Jakob von Metzler jung, als er am Morgen des 27. September 2002 — es ist ein Freitag — ganz in der Nähe seines Elternhauses an einer Bushaltestelle entführt wird. Der Täter fordert eine Million Euro Lösegeld, das der Vater, Friedrich von Metzler, in der Nacht zu Montag am angewiesenen Ort deponiert. Die eingeschaltete Polizei kann den Entführer rasch ermitteln: Es handelt sich um den Jurastudenten Magnus Gäfgen. Doch dieser streitet die Tat ab, behauptet, er habe das Geld für einen Unbekannten abgeholt.

Nach stundenlangem Verhör gibt er zu verstehen, dass Jakob noch lebe. Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner fürchtet, dass der Junge ohne Nahrung und Wasser nur noch bis Dienstag überleben kann. Er beschließt, dass Gäfgen notfalls durch Androhung von Gewalt zur Preisgabe des Verstecks gezwungen werden müsse.

Gäfgen behauptet, der Junge befinde sich in einer Hütte am Langener Waldsee. Doch dort findet man ihn nicht. Jetzt weist Daschner Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit an, Gäfgen abermals zu verhören und ihm mit Gewalt zu drohen. Darüber fertigt der gewissenhafte Beamte sogar eine Aktennotiz an (angeblich soll Gäfgen angedroht worden sein, dass er seine Zelle mit zwei kräftigen Schwarzen werde teilen müssen).

Erst jetzt legt Gäfgen ein umfassendes Geständnis ab. Doch zu diesem Zeitpunkt lebt Jakob nicht mehr — er ist erwürgt worden. Seine Leiche wird in einem Weiher gefunden.

Monate später berichtet Gäfgen bei der Vernehmung erstmals davon, dass ihm bei der Vernehmung Schmerzen angedroht worden seien, woraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Daschner und Ennigkeit eingeleitet wird.

Am 18. Februar 2003, einen Tag vor Beginn des Prozesses gegen Gäfgen, spricht dessen Verteidiger von "unerträglichen Foltermethoden" und fordert — vergebens — die Einstellung des Verfahrens. Gäfgen wird im Juli 2003 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Doch für Daschner und Ennigkeit hat das Verfahren noch ein juristisches Nachspiel: Beide werden wegen schwerer Nötigung angeklagt. Der damalige hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) — inzwischen Ministerpräsident des Landes — enthebt Daschner des Amtes und versetzt ihn nach Wiesbaden. Im Prozess wird Daschner Ende 2004 für schuldig befunden, einen Untergebenen zur Nötigung im Amt verleitet zu haben; Ennigkeit wird der Nötigung im Amt für schuldig gesprochen.

Der Fall wühlt die Nation auf: Durfte die Polizei in der damaligen Situation so handeln? Oskar Lafontaine, damals noch in der SPD, verteidigt Daschner im Fernsehen: "Nach meiner Auffassung hat er nach elementarsten sittlichen Geboten unseres Rechtsstaats gehandelt." Doch das Gegenlager spricht von Folter. Kopfschütteln ruft der frühere Vorsitzende der NRW-FDP, Joachim Schultz-Tornau, hervor, der sich zum Betreuer des Mörders ernennen lässt.

Außerdem macht er sich für die von Gäfgens neuem (und publizitätsaffinen) Anwalt Michael Heuchemer betriebene "Magnus-Gäfgen-Stiftung" stark, die er für ein "sinnvolles Zeichen von Reue" hält. Laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ist der Jurist Schultz-Tornau nicht nur designierter Stiftungsvorstand, sondern auch Berater der Kanzlei von Heuchemer.

Gäfgen, der im Gefängnis sein Jurastudium abschließen wird, zieht mit Hilfe Heuchemers alle Register. Er legt wegen der Folterdrohung Verfassungsbeschwerde ein und wendet sich 2005 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Der EGMR nimmt die Beschwerde gegen die Bundesrepublik an, weil es Hinweise gebe, dass deutsche Behörden gegen das Folterverbot und gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen hätten. 2010 äußert sich der EGMR auf Veranlassung von Gäfgens Anwalt erneut zu jenen Vorgängen und bezeichnet die Folterandrohung als "unmenschliche Behandlung".

Gegen Daschner, der 2008 als verbitterter Mann in den Ruhestand wechselt, wird Gäfgen Jahre später Strafanzeige stellen. Der Kindermörder bekommt sogar staatliche Kostenbeihilfe für seinen Schmerzensgeldprozess gegen das Land Hessen. Im August 2011 werden ihm vom Landgericht Frankfurt/Main wegen "schwerer Verletzung der Menschenwürde" 3000 Euro plus Zinsen zugesprochen. Das Geld soll allerdings einbehalten werden und zur teilweisen Begleichung der dem Staat entstandenen Kosten des Mordprozesses dienen.

Doch das Land Hessen legt Berufung ein. Gäfgens Anwalt sagt, sein Mandant, der im Gefängnis ein Buch geschrieben hat, wäre auch mit 2000 Euro zufrieden, die er für karitative Zwecke spenden wolle. Regierungschef Bouffier winkt ab: "Wir machen keinen Vergleich mit einem Kindsmörder."

Heute wird über die Forderung nach Schmerzensgeld vor dem Ersten Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main verhandelt. Unklar ist, ob im Saal E 11 schon jetzt eine Entscheidung verkündet wird.

(hüw)
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