Gastbeitrag von Rafael Seligmann Israel ist ein besonderer Freund

Düsseldorf · Der Publizist und Historiker Rafael Seligmann (67) erinnert sich an sein Leben zwischen Israel und Deutschland. Für ihn ist die Annäherung der beiden Staaten mehr als Geschichte – sie hat Seligmanns Leben geprägt. Ein Rückblick voller Optimismus.

 "Für mich sind die deutsch-israelischen Beziehungen mehr als Geschichte", sagt Rafael Seligmann. "Sie sind mein Leben."

"Für mich sind die deutsch-israelischen Beziehungen mehr als Geschichte", sagt Rafael Seligmann. "Sie sind mein Leben."

Foto: dpa, pst fdt

Der Publizist und Historiker Rafael Seligmann (67) erinnert sich an sein Leben zwischen Israel und Deutschland. Für ihn ist die Annäherung der beiden Staaten mehr als Geschichte — sie hat Seligmanns Leben geprägt. Ein Rückblick voller Optimismus.

Vor einem halben Jahrhundert nahmen die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen auf. 20 Jahre nach dem Ende des Völkermords an den Juden war das für viele in beiden Ländern noch zu früh. Vor allem in Israel protestierte man vehement gegen den Versuch, "die Schuld an der Shoah mit Geld abzuwaschen". Einer der Demonstranten war Reuven Rivlin. Heute ist er Israels Staatspräsident und sagt zu damals: "Ich bereue es nicht, dass ich seinerzeit gegen die offiziellen Beziehungen mit Deutschland protestiert habe. Doch heute liegt mir das Verhältnis zu Deutschland besonders am Herzen."

Für mich sind die deutsch-israelischen Beziehungen mehr als Geschichte. Sie sind mein Leben. Im Frühjahr 1965 war ich 17 Jahre alt. Acht Jahre zuvor waren meine Eltern mit mir aus Tel Aviv nach München emigriert. Für sie war es eine Rückkehr in ihre deutsche Heimat. Doch ich war mit einem Mal Analphabet. Ich sprach zwar mit meinen Eltern zu Hause Deutsch. Doch schreiben und lesen konnte ich es nicht. Unbeholfen malte ich die mir unbekannten lateinischen Buchstaben von der Tafel ab, um sie mir daheim von meiner Mutter erklären zu lassen und so die deutsche Schriftsprache zu lernen.

In Israel war ich ein Kind wie jedes andere gewesen. In Deutschland war ich als Jude ein Fremder. Mitschüler beschimpften mich als "Saujuden". Die anderen beiden Juden in der Klasse versuchten, ihr Judentum zu verbergen. Dennoch wurden sie ebenfalls wegen ihrer Religion gehänselt. Ich dagegen betonte mein Jüdischsein — wie ich es in Israel gelernt hatte.

Unsere Lehrkräfte waren in den Jahren der Naziherrschaft geprägt worden und dachten entsprechend — so auch die Eltern meiner Klassenkameraden. Ich stritt mich oft mit meinen Mitschülern. Das vertiefte mein Interesse an Geschichte und Politik. Bald waren dies die einzigen Fächer, die mich interessierten. Zumindest hier fand ich auch Anerkennung in der Klasse, denn sie wussten, ich las viel und sagte die Wahrheit. Diese Situation änderte sich jedoch im Herbst 1964, in der vierten und letzten Klasse der Mittelschule. Denn unsere neue Geschichtslehrerin hatte eine eigene Sicht auf die jüngste Vergangenheit. Sie hob Hitlers Verdienste hervor. Er habe die Arbeitslosigkeit beseitigt und Deutschlands Ehre wiederhergestellt. Der Zweite Weltkrieg war ihrer Meinung nach Deutschland aufgezwungen worden. Die wahren Kriegsverbrecher waren in ihren Augen Stalin, Churchill und Roosevelt. Ich widersprach heftig. Doch damals galt die Autorität eines Lehrers mehr als die eines Mitschülers — zumal sie oder er die gleiche Meinung vertrat wie die eigenen Eltern. So verlor ich in der Klasse zunehmend meine Glaubwürdigkeit. Das schmerzte mich.

Die fehlenden diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Jerusalem bedeuteten eine Erschwernis. So mussten meine Eltern eine Kaution von 5000 D-Mark im Amt für öffentliche Ordnung hinterlegen, wenn uns ein Verwandter aus Israel besuchte. Dies war absurd, da die Betreffenden bis zu ihrer Emigration Deutsche waren und erst durch das NS-Regime ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatten, die sie aus Stolz nicht mehr beantragen mochten.

Anfang 1965 kam Bewegung in die deutsche Nahost-Politik. Ägyptens Staatschef Nasser lud die Führung der DDR offiziell in sein Land ein. Das wertete die Bundesrepublik als Verstoß gegen die Hallstein-Doktrin. Diese sah vor, dass Bonn mit Ausnahme der Sowjetunion die diplomatischen Beziehungen mit jedem Staat abzubrechen hatte, der offizielle Verbindungen zur DDR aufnahm. Um Bonn bloßzustellen, ließ Ägypten die geheimen Waffenexporte der Bundesrepublik Deutschland nach Israel durchsickern. Bundeskanzler Erhard war entschlossen, reinen Tisch zu machen. Bonn stellte die geheimen Waffenlieferungen an Israel ein und verkündete, man werde diplomatische Beziehungen zu Jerusalem aufnehmen. Die arabischen Staaten drohten, die Beziehungen zu Bonn abzubrechen. Die "Israel-Frage" wurde allenthalben in Deutschland diskutiert — auch in unserer Klasse. Ich wollte, dass sich Deutschland endlich offen zu Israel bekannte — und dass unsere Verwandten uns fortan besuchen konnten, wie jeder Franzose oder Amerikaner. Ich war dermaßen überzeugt und debattierlustig, dass meine Mitschüler mir wieder Glauben schenkten. Im Mai 1965 nahmen Deutschland und Israel endlich offizielle Beziehungen auf.

Das Ansehen Deutschlands in Israel hat sich mit der Zeit vollständig gewandelt. Während der erste deutsche Botschafter in Tel Aviv, Rolf Pauls, zunächst vor aufgebrachten Überlebenden geschützt werden musste, ist Deutschland heute in Israel eines der beliebtesten Länder. Jeder zweite Israeli hat Deutschland besucht. Zugleich erfreut sich das Heilige Land bei immer mehr deutschen Touristen steigender Beliebtheit. Parallel dazu besteht ein reger Austausch in Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft zwischen beiden Staaten. Dies gilt besonders für den Hightech-Bereich, wo Israel nach den USA weltweit eine Führungsrolle einnimmt. Deutsche Spitzenunternehmen wie Siemens und SAP unterhalten in Israel Forschungszentren.

Israels Siedlungspolitik wird von der deutschen Politik und den Medien kritisiert. Doch an der grundsätzlichen Solidarität mit dem jüdischen Staat gibt es keinen Zweifel. Bundeskanzlerin Merkel nannte 2008 vor dem Parlament in Jerusalem Israels Sicherheit deutsche "Staatsräson", und Außenminister Steinmeier erklärte mir dieser Tage: "Israels Sicherheit hat für uns die allerhöchste Priorität."

Ich selbst empfinde den Wandel im deutsch-israelischen Miteinander als Triumph der Ehrlichkeit und der Einsicht.

(RP)
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