2000 Vorfälle durch tierische Attacken Postboten beim Training gegen Hundeangst

Düren · "Achtung bissig" – diese Schilder sollen vor Hunden warnen. Trotzdem passiert es vielen Zustellern, dass sie im Laufe ihrer Dienstzeit gebissen werden. 2000 solcher Vorfälle gab es 2010. Nun geht die Post neue Wege und verordnet Angestellten mit Bisserfahrung ein Training. Ortstermin in Düren.

Bis auf einen Meter wagt sich Manuela Schmidt (40) an den belgischen Schäferhund Jack heran. Der fünfjährige Rüde, der sonst im Polizeidienst Verbrecher verfolgt, liegt knurrend auf der Wiese vor dem Zustellpunkt der Deutschen Post in Düren. Er bellt laut, fletscht die Zähne.

Sabrina Baumann, die am Rand der Wiese steht, zuckt zusammen. "So nahe heranzugehen, würde ich mich nicht trauen", sagt die 21-Jährige und zeigt auf zwei blasse kleine Narben an ihrem Handgelenk – zu lebendig sind die Erinnerungen an September vergangenen Jahres, als ihr, zwei Wochen nachdem sie ihren Job als Zustellerin begonnen hatte, ein Schäferhund biss. "Seitdem fange ich an zu zittern, und mein Herz schlägt ganz schnell, wenn ich einen Hund sehe", sagt die junge Postbotin.

480 Arbeitsunfälle durch Bisse

So wie Sabrina Baumann geht es vielen Postzustellern. Gerade in den ländlichen Regionen ist die Hunde- und damit auch die Beißquote hoch, weiß Dieter Pietruck, Sprecher der Deutschen Post in Düsseldorf. 2000 Vorfälle bundesweit zählte die Post im vergangenen Jahr. 480 davon waren meldepflichtige Arbeitsunfälle – das heißt, die Postboten fielen mindestens drei Tage aus. Viele von ihnen sind noch immer traumatisiert.

"Wir bieten psychologische Hilfe an", sagt Postsprecher Pietruck. Zudem gehen die Niederlassungsleiter verstärkt einen neuen Weg und verordnen ein theoretisches und praktisches Hundetraining für Zusteller mit Bisserfahrung an – damit diese ihre Angst verlieren und künftig besser wissen, wie sie sich verhalten sollten, wenn ein zähnefletschender Hund vor dem Briefkasten wartet.

Alle 20 Männer und Frauen, die an diesem Vormittag in Düren statt Briefe auszutragen Bekanntschaft mit Polizeihund Jack machen, sind schon mindestens einmal gebissen worden. Bei Michaela Meurer waren es sogar vier Hundeattacken im Dienst, die mit Bisswunden endeten – das letzte Mal kurz vor Weihnachten 2010. Ein Schäferhund biss ihr in den Oberschenkel – es folgten Notaufnahme, mehrere Tage Krankschreibung, Schmerzensgeld. "Die Besitzer sagen immer, der tut nichts. Aber wenn ich die Dienstkleidung anhabe, tut er plötzlich etwas", sagt die 42-Jährige, die seit 23 Jahren für die Deutsche Post arbeitet. "Ich bin nicht ängstlich, aber als Postbote ist man einem höheren Risiko ausgesetzt." Über "originelle" Schilder am Gartenzaun wie "Vorsicht vor dem bisschen Hund" kann die Bergheimerin nicht mehr lachen: Denn zwei ihrer Bisswunden verursachten ein Terrier und ein Pudel. "Mir wäre es lieber, wenn die Hundehalter sich an den Leinenzwang halten würden", sagt sie.

Wenn es ernst wird, sollten Postboten versuchen, langsam Abstand zwischen sich und den kleinen oder großen potenziellen Angreifer zu bringen. "Und keinesfalls dem Tier in die Augen gucken", sagt Hundetrainer und Polizist Gerd Breitner (Name geändert). "Es kann helfen, die Post zwischen sich und den Hund zu bringen." Als allerletztes Hilfsmittel gilt laut Breitner Pfefferspray, das viele Zusteller inzwischen bei sich tragen.

Dass auch eine gut gefütterte dunkelblaue Diensthose Gold wert sein kann, weiß Reinhold Olef, der seit 38 Jahren als Zusteller arbeitet, nur zu gut. Als ihn ein Schäferhund bei seiner Tour im Treppenhaus überraschte, schützte die Hose vor schlimmeren Verletzungen, beim zweiten Mal biss ihn ein Hund beim Einscannen des Pakets in die ungeschützte Hand. "Hunde haben schnell das Gefühl, dass man in ihrem Revier wildert", sagt der 52-Jährige.

Oft geht es ganz schnell

Das Schlimmste sei, sagt Zustellerin Christina Wolf, dass man die Gefahr häufig zu spät erkenne. "Auf mich ist ein Rottweiler vom Nachbargrundstück zugestürmt und hat mich ins Bein gebissen. Das ging alles wahnsinnig schnell." Die 46-Jährige kannte ihr Gebiet, doch damit habe sie einfach nicht gerechnet. "Heute gehe ich wesentlich vorsichtiger zu meinen Runden."

Nach dem Prinzip "Good Dog – Bad Dog" dürfen alle Postboten wie Christina Wolf, die zu bellenden Hunden den größtmöglichen Abstand halten, zunächst mit Festus, einem ruhigen Greyhound, Kontakt knüpfen. Festus ist offenbar wirklich lieb – auch gegenüber Postboten. Er lässt sich minutenlang von den Angestellten in gelb-blauer Uniform streicheln.

Dabei verliert auch die Jüngste in der Runde, Sabrina Baumann, ein Stück weit ihre Angst. Als Springerin hat sie jeden Tag mit neuen Zustellbezirken, neuen Empfängern und neuen Hunden zu tun. Wenn ihr die Situation unangenehm werde, steige sie wieder ins Auto ein und warte, bis die Luft rein ist. "Solange müssen die Besitzer dann eben auf ihre Post warten."

(RP/top/jre)
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