Mehr als 39.000 Taten Polizei registriert immer mehr Fälle von Kinderpornografie

Berlin · Hinter Darstellungen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen steckt viel Leid. Die Polizei erfasst immer mehr Taten – und längst nicht immer sind die Verdächtigen erwachsen.

 Eine Ermittlerin sitzt im NRW-Landeskriminalamt am Hinweistelefon vor Monitoren mit unkenntlich gemachten Fotografien, die teilweise sexuellen Missbrauch zeigen.

Eine Ermittlerin sitzt im NRW-Landeskriminalamt am Hinweistelefon vor Monitoren mit unkenntlich gemachten Fotografien, die teilweise sexuellen Missbrauch zeigen.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Im vergangenen Jahr hat die Polizei in Deutschland deutlich mehr Missbrauchsdarstellungen an Kindern erfasst als 2020. Mehr als 39.000 Fälle wurden den Behörden 2021 bekannt, wie aus einer Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Das entspricht einem Anstieg um 108,8 Prozent der Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen.

Die bekannten Fälle wiederum von sexuellem Kindesmissbrauch sind demnach im vergangenen Jahr um 6,3 Prozent auf über 15.500 gestiegen.

Was die Statistik abbildet – und was nicht

Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst nur Fälle, die der Polizei bekannt werden, und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Das sogenannte Dunkelfeld dürfte riesig sein, zumal die Täter häufig aus dem Umfeld des Kindes kommen. Nach Schätzungen sind den Angaben zufolge pro Klasse ein bis zwei Schülerinnen und Schüler von sexueller Gewalt betroffen.

Taten werden zudem erst gezählt, wenn die Polizei ihre Ermittlungen beendet hat. Etwa ein Viertel der für das vergangene Jahr erfassten Fälle wurden laut dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, bereits 2020 oder noch weiter verübt. Und wie immer gilt: Je aktiver die Polizei nach Tätern fahndet, desto mehr findet sie auch.

„Es ist ein Skandal, dass uns diese Zahlen zum Dunkelfeld bis heute nicht vorliegen“, sagte die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus. Das führe dazu, dass Ermittlungserfolge stets aufs Neue Erschrecken auslösten, was zu „Wellen der Aufmerksamkeit“ führe. Stattdessen brauche es aber „beharrliche Kontinuität“ und „ein systematisch und wissenschaftlich fundiertes Gesamtbild“. Sie forderte die Einrichtung eines eigenen Forschungszentrums zur Erhebung solcher Daten.

Jugendliche als Täter

Die größte Tätergruppe, die Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht, sind erwachsene Männer. Allerdings ist gerade beim Besitz, der Beschaffung oder Verbreitung von Kinderpornografie der Anteil minderjähriger Tatverdächtiger erheblich – er liegt bei rund 40 Prozent. All diese Tatbestände gelten seit einer Gesetzesverschärfung im vergangenen Jahr als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis. „Das ist ein echtes Thema mittlerweile“, sagte Münch. Über den Umgang damit müsse im Kreis der Innenminister noch einmal diskutiert werden. Einmal, weil es sich bei Jugendlichen, die solche Inhalte mit dem Smartphone weiterreichen, nicht um „klassische Verbrecher“ handle - zum anderen, weil die Verfolgung durch die Polizei zu viele Ressourcen binde.

Claus sagte, Kinder und Jugendliche müssten lernen, dass der Umgang mit Missbrauchsdarstellungen strafbar sein könne. „Deswegen ist es wichtig, dass es klar definierte Grenzen gibt und dass tatsächlich dann eben auch in Schulen sichtbar wird: Hey, hier ist was in einem Klassenchat, das funktioniert nicht, und deswegen ist auch die Polizei da. Und deswegen werden auch erst mal alle Handys eingesammelt.“ Es gehe vor allem um Aufklärung.

Ein Corona-Effekt?

Die Zahl der Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist gestiegen in den vergangenen beiden Jahren. „Ein direkter Zusammenhang mit der Pandemie ist nicht auszuschließen, aber aus der Datenlage auch nicht direkt ableitbar“, so BKA-Chef Münch. Auf wenn die Corona-Auflagen 2021 milder ausgefallen seien als noch im Jahr davor, seien doch Menschen teils über längere Zeit auf engem Raum gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern Zuhause geblieben. Wenn es eine Neigung zur Gewalt gebe, könne dies sie verstärken - während gleichzeitig soziale Kontakte abnahmen und damit auch Möglichkeiten für Betroffene, auf ihre Lage aufmerksam zu machen.

Die Grenzen der Ermittler

Auf Münchs Wunschliste weit oben steht schon seit Längerem die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Dabei werden Anbieter gesetzlich verpflichtet, die Telefon- und Internetverbindungsdaten der Nutzer zu sichern, so dass Ermittler später darauf zugreifen können. 2100 strafrechtlich relevante Hinweise hätten die Ermittler im vergangenen Jahr nicht bis zum Ende verfolgen können, weil die IP-Adressen, mit denen sich ein Rechner identifizieren lässt, nicht mehr gespeichert war. Trotz deutlicher Hinweise hätten deshalb in den vergangenen fünf Jahren die Ermittlungen in 19.150 Fällen eingestellt werden müssen.

Die Vorratsdatenspeicherung liegt wegen eines anhaltenden Rechtsstreits in Deutschland seit 2017 auf Eis. Die Ampel-Koalition will, dass Provider künftig im sogenannten Quick-Freeze-Verfahren Daten bei einem Anfangsverdacht für eine bestimmte Zeit speichern.

(jma/dpa)
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