Massiver Widerstand gegen Castortransport Polizei: Haben uns vorführen lassen

Lüneburg (RPO). Der elfte Castortransport mit hoch radioaktivem Müll hat in der Nacht das Zwischenlager in Gorleben erreicht. Atomgegner hatten zuvor mit radikalen Aktionen die Ankunft erheblich verzögert. Sowohl Polizei als auch Demonstranten beklagen Verletzte. Polizeivertreter fordern für künftige Einsätze ein Vorgehen ohne Kompromisse. Die Deeskalationsstrategie sei gescheitert.

2008: Wie Atomgegner Widerstand leisten
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Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) zieht eine vernichtende Bilanz. Die Deeskalationsstrategie erklärt sie für rundum gescheitert. Der Staat habe sich von den Atomkraftgegnern "peinlich vorführen lassen", sagte DPolG-Chef Rainer Wendt der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Es habe massenhaft ungeahndete Gesetzesverstöße gegeben. Wendt forderte für die Zukunft eine Null-Toleranz-Strategie.

"Ritualisierte Aggressionen und Gewalt gegen Polizisten während Castor-Transporten haben mit Meinungsvielfalt oder politischem Protest nichts zu tun. Was sich hier abspielt, ist ein unerträgliches Katz- und Mausspiel, das wir uns nicht länger gefallen lassen", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt.

Nach einem Bericht von "Welt Online" hatten sich unter die Demonstranten 800 bis tausend gewaltbereite Autonome gemischt. Das sei dem Lagezentrum der Polizei in Lüneburg gemeldet worden. Ein Polizeisprecher wollte diese Zahl nicht bestätigen. Beide Seiten meldeten mehrere Verletzte als Folge der Auseinandersetzung.

Um 0.19 Uhr beendeten die elf Tieflader mit hoch radioaktivem Müll die mühsame Reise. Wieder hatte es erhebliche Verzögerungen gegeben, erzwungen durch massiven Widerstand von Atomgegnern. So musste die Polizei auf der Straßenstrecke von Dannenberg nach Gorleben erst zahlreiche Blockaden auflösen. Schon am Samstag war der Zug aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague durch eine Ankettaktion an der deutsch-französischen Grenze 14 Stunden aufgehalten worden.

Zwei volle Tage ausgeharrt

Allein vor dem Zwischenlager hatten rund tausend Atomkraftgegner fast zwei volle Tage ausgehalten, ehe die Polizei am Montagnachmittag die Blockade räumte. An anderen Streckenabschnitten mußten Treckerblockaden aufgelöst werden. Die längste Zeit verbrachte die Polizei damit, am späten Montagabend acht Mitglieder der bäuerlichen Notgemeinschaft im Wendland aus Betonpyramiden auf der einzigen Zufahrt zum Zwischenlager zu befreien.

Polizeipräsident Friedrich Niehörster räumte ein, dass der Einsatz länger als geplant gedauert habe. Die Polizei habe den Transport sicher und mit möglichst wenig Verletzten ans Ziel gebracht. Als Beispiel für zurückhaltendes, aber zeitraubendes Vorgehen der Polizei nannte Niehörster die letzte große Blockade vor der Einfahrt zum Zwischenlager: Dort seien die Demonstranten mit aller Ruhe weggetragen worden. Die Polizei berichtete von vier Beamten, die mit Steinwürfen verletzt worden seien.

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg teilte am Montagabend mit, man habe den bislang "längsten Castortransport hingekriegt, bleibt ruhig und gelassen". Der Transport vor zwei Jahren hatte 58 Stunden gedauert, dieses Mal waren es knapp 80. Bei den Protesten und Blockadeaktionen gab es im Wendland am Sonntag und Montag Verletzte auf beiden Seiten. Der friedliche Protest bei einer Kundgebung am Wochenende übertraf mit 15.000 Teilnehmern frühere Veranstaltungen um weit mehr als das Doppelte.

Atomstreit in der Politik neu entfacht

Grünen-Chefin Claudia Roth hatte die Gorleben-Blockierer noch am Nachmittag zum Durchhalten aufgefordert. Sie sagte im SWR, es sei gerechtfertigt, den Transport "so lange wie möglich aufzuhalten" und damit ein deutliches Zeichen gegen eine von Union und FDP geplante Verlängerung von Akw-Laufzeiten zu setzen. Roth sprach sich gegen "Vorfestlegungen" aus, die den Salzstock Gorleben trotz der aktuellen Erfahrungen mit dem maroden Atommülllager Asse zum Endlager machen wollten. Es müsse endlich wissenschaftlich untersucht werden, ob nicht Granit- oder Ton-Gesteine in Süddeutschland für ein Endlager geeigneter seien.

Unionsfraktionsvize Katherina Reiche warf den Grünen erneut vor, sie machten sich unglaubwürdig, da sie als Regierungspartei Proteste gegen Atomtransporte als "Teil des rot-grünen Ausstiegsszenarios" noch abgelehnt hätten. Zudem müssten sie sich von Gewalt und Straftaten im Zusammenhang mit den Protesten deutlich distanzieren.

Zweifel am Standort

Umweltstaatssekretär Michael Müller (SPD) äußerte wie Roth Zweifel am Standort Gorleben. Sowohl die Schweiz als auch Frankreich sagten, dass die dortige Salzformation "nicht unbedingt das Ideale" sei, sagte Müller im ARD-Morgenmagazin.

Das forderte auch die Linke im Bundestag. Der Plan der CDU, "Gorleben als Atomlager ohne ergebnisoffenes Suchverfahren durchzusetzen", sei rückwärtsgewandt und "eine Absage an demokratische Grundwerte", erklärte der energiepolitische Sprecher der Fraktion, Hans-Kurt Hill.

(afp2)
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