Auch Politiker sind Menschen Politik und Liebe

Düsseldorf (RP). In Deutschland wird bei Politikern das Recht auf Privatleben durchaus geachtet. Dahinter steht eine simple Einsicht: Politiker sind Menschen.

"Politik ist angewandte Liebe zum Leben." So beschloss Franz Müntefering kürzlich seine Antrittsrede als SPD-Parteichef - und erntete damit Jubel unter den Parteitagsdelegierten. Der Hannah-Arendt-Satz idealisiert das Hauen und Stechen, überhöht das ständige Bohren dicker Bretter und blendet den größten Teil des machtbesessenen Intrigenspiels Politik aus. Aber er führt zwei Begriffe zusammen, die als heikel gelten: Wenn Politiker zu sehr lieben (vor allem wenn es um Freund oder Freundin neben dem Ehepartner geht), dann riecht es nach Schlagzeilen, nach Rücktritt. Doch das ist ein Klischee.

Schon die rheinische Republik kannte die angelsächsischen Liebes-Polit-Thriller nicht. Da mochte in London der Verteidigungsminister über ein Callgirl stolpern, in Washington der Sex des Präsidenten monatelang die Titelseiten beherrschen, in Bonn herrschte öffentlich Flaute, auch wenn es hinter den Kulissen noch so leidenschaftlich zuging. Unter der berühmten Käseglocke, die Politiker wie Presseleute gleichermaßen überwölbte, gab es einen Common Sense: So lange er sein Amt nicht beschädigt, hat der Politiker Anrecht auf ein Privatleben. Auch auf ein Liebesleben. Romanzen machten zwar die Runde, erreichten aber nicht die Öffentlichkeit.

Stürzen sich Briten und Amerikaner begierig auf die Informationen, rümpfen die Deutschen die Nase über die Informanten. Als die Medien 1998 über die rot-grüne Finanzpolitik spekulierten und sich dabei auf Äußerungen von Oskar Lafontaines Ehefrau Christa Müller stützten, fragte der CDU-Politiker Matthias Wissmann im Bundestag, wer denn die Politik bestimme, der Kanzler, der Finanzminister oder dessen Ehefrau. SPD-Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier verteidigte die Genossen mit einem Coming Out: "Herr Wissmann, der ja ein ausgewiesener Spezialist für das partnerschaftliche Zusammenleben von Mann und Frau ist." Als Folge stand nicht Wissmann im Regen, sondern Matthäus-Maier. Die Wiederholung war in geballter und dramatischer Form vergangenes Jahr im Hamburger Senat zu besichtigen, als Ronald Schill mit dem Vorwurf gelebter Homosexualität den Ersten Bürgermeister erpressen wollte. Das Ende der Geschichte: Schill ist politisch erledigt, Ole von Beust Chef einer Alleinregierung.

Abwehrreflexe der Öffentlichkeit

Die Abwehrreflexe der Öffentlichkeit funktionieren sogar, wenn Politiker Nicht-Politiker aufs Korn nehmen. Der Vorwurf der Homosexualität gegen Bundeswehr-General Günter Kießling erwies sich nicht nur als ungerechtfertigt, er fiel auch dem Urheber schmerzhaft auf die Füße: Verteidigungsminister Manfred Wörner kam durch das Handling der Affäre selbst in Bedrängnis.

Liebe unter Männern hat auch in der Öffentlichkeit nichts mehr mit Angreifbarkeit zu tun. Sowohl die deutsche wie die französische Hauptstadt werden von bekennenden Schwulen regiert. Sie werden von ihren Gegnern politisch attackiert, nicht privat. Denn da ist nichts zu holen, seitdem die sexuelle Neigung offensiv und plakativ ("ich bin schwul -und das ist gut so") Wahlkämpfe überstanden hat. Bemerkenswert war im übrigen auch hier das Auseinanderfallen der Wahrnehmungen zwischen britisch-amerikanischen und französisch-deutschen Öffentlichkeiten. In London und Washington wurde für meldenswert gehalten, dass nun ein Homosexueller an der Spitze des Senats stehe, in Paris und Berlin machte man sich mehr Gedanken darüber, dass nun die Kommunisten wieder an der Macht beteiligt sind.

Liebeslust als Politleid - das hat in Bonn tatsächlich auch schon einmal funktioniert. Von Konrad Adenauer wird kolportiert, dass er seinen Vizekanzler Franz Blücher politisch in die Schranken wies mit der Frage, ob denn auch seine Frau von seiner Freundin wisse. Immer wieder geistert auch die Vermutung durch die Hinterzimmer, Willy Brandts Rücktritt sei nur oberflächlich mit der Guillaume-Spionage-Affäre begründet worden, tatsächlich sei er durch diverse Frauengeschichten erpressbar geworden. Die Wahrheit ist wohl, dass Brandt vor allem die Lust am Regieren verloren hatte und ihm die Guillaume-Vorlage gerade recht kam.

Umzug vom Rhein an die Spree

Der Umzug vom Rhein an die Spree fiel zusammen mit einer Wandlung der Medien und mit einer Wandlung der Politikberichterstattung. Information verschmilzt mit Entertainment immer mehr zum Infotainment. Politiker sind für viele Bevölkerungskreise keine herausgehobene Größe mehr, sondern Teil einer Promi-Kaste, in der taktisch und strategisch Profile angelegt werden. Dazu gehören auch so genannte home stories, Blicke in das sorgfältig inszenierte Privatleben. Der Partner/die Partnerin an seiner/ihrer Seite wird Teil des Gesamtproduktes "Politiker", für folgenreiche Anstößigkeiten ist kein Raum mehr.

So war es beim Wechsel von Gerhards Schröders Frau Nummer drei zu Frau Nummer vier, so war es bei Joschka Fischers Partnerin Nummer vier zu Partnerin Nummer fünf. Wenn der verheiratete CDU-Generalsekretär mit Freundin posiert, wenn der verheiratete CDU-Außenpolitiker seine schwangere Geliebte präsentiert - dann ist das kein Anlass für öffentliche Erregung, dann ist das ein illustrer Beitrag für die Seiten, auf denen es "menscheln" darf.

Natürlich verbindet man die Erinnerung an die Abberufung Rudolf Scharpings mit Bildern des verliebt über die Wiese hüpfenden Ministers, mit den nassen Poolspielen des Politikers. Aber das waren keine Enthüllungen von versteckt fotografierenden Paparazzi. Das waren von Scharping und seiner Gräfin selbst veranlasste, ausgesuchte und bewusst für die Veröffentlichung frei gegebene Aufnahmen. Gestolpert ist Scharping über schwierig zu durchschauende Geschäftsbeziehungen - nachdem er durch sein öffentliches Liebesleben zu Zeiten des Krieges Sinn für die optischen Erfordernisse des Augenblickes vermissen ließ.

Politik und Liebe, das ist in Deutschland die angewandte Anerkennung, dass Politiker Menschen sind und Menschen lieben können. Und natürlich lieben dürfen.

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