Schlechter Benimm im Gottesdienst Pfarrer beklagen Sittenverfall bei Kirchgängern

Zunehmend mehr katholische Pfarrer in NRW klagen über das schlechte Benehmen von Gottesdienstbesuchern bei Trauungen, Taufen und Beerdigungen. Zuletzt hat ein Pastor in Haltern am See eine Hochzeitsmesse frühzeitig abgebrochen, weil die Gäste die Liturgie nicht kannten.

Schalten Sie jetzt bitte Ihre Handys aus! Immer öfter muss Pastor Heinrich Bücker die Gäste eines Gottesdienstes mit dieser Aufforderung begrüßen. "Die meisten haben einfach keine Ahnung mehr, wie sie sich in der Kirche zu verhalten haben", sagt der 75-Jährige. Mit Handzeichen, manchmal auch mit leicht erhobener Stimme bittet er sie dann höflich, sich zu erheben. "Man muss ihnen auch erklären, wann sie sitzen, knien oder stehen müssen." Besonders schlimm seien jedoch Trauungen. "Da ist der Lärmpegel extrem hoch. Dann weiß ich: Vor mir sitzen Menschen, die nichts mit der Kirche zu tun haben und nur Party machen wollen", sagt Bücker, der in der Katholischen Gemeinde Recklinghausen predigt — davor war er 17 Jahre Pfarrer in Moers. "Man darf diese Menschen aber nicht maßregeln, sondern muss auf sie eingehen."

Nicht alle Seelsorger reagieren so verständnisvoll wie Pastor Bücker. In Haltern am See verweigerte ein Pastor am Pfingstwochenende während einer Trauung die Kommunion auszuteilen, weil die Gemeinde seiner Ansicht nach weder Liturgie noch Kirchenlieder kannten. Nach der Trauung brach er die Messe kurz vor der Eucharistiefeier zum Entsetzen des Brautpaares und vieler Anwesender ab. Er habe bemerkt, dass sehr vielen die Liturgie fremd sei. In dieser Atmosphäre könne er die Heilige Messe nicht feiern, erklärte er den Eheleuten, ehe er nach Fürbitten, Friedenslied und Schlusssegen die Hochzeitsmesse frühzeitig beendete.

Über sein Verhalten hatten sich anschließend einige Hochzeitsgäste bei der Bistumsleitung in Münster beschwert. Der Pfarrer entschuldigte sich daraufhin schriftlich bei den Eheleuten. Das Paar nahm die Entschuldigung an. "Er hat sein Fehlverhalten eingesehen. Damit ist für uns die Sache vom Tisch. Er hat keine Konsequenzen zu befürchten", sagt ein Bistumssprecher. "Auch wenn seine Reaktion aus menschlicher Sicht möglicherweise nachvollziehbar ist, darf er das nicht machen."

Ähnliche Fälle sind auch aus dem Bistum Köln bekannt. So kam es in Königswinter im vergangenen Jahr zum Eklat bei einem Erstkommunionsgottesdienst, bei dem sich der Pfarrer über lärmende Kinder aufregte. Aus Protest verließen daraufhin viele Gäste mit ihren Kindern die Kirche. In Frechen kam es zu einem Zwischenfall bei einer Patronatsmesse. Weil der Pfarrer sich über das Verhalten der Besucher in der Kirche beschwerte, verließen die Vereinsabordnungen seine Predigt. "In solchen Fällen kommt es immer stark auf die einzelne Situation und die Persönlichkeit des Pfarrers an, der Ton macht halt die Musik", sagt eine Sprecherin des Bistums Köln. Viele Menschen seien einfach nicht mehr an das Geschehen im Gottesdienst gewöhnt. "Sie wissen nicht mehr, dass ein Kirchengebäude ein Ort mit einer besonderen Würde ist — ohne Kaugummis und Handys."

Pastoraltheologe Herbert Haslinger von der Theologischen Fakultät Paderborn kann verstehen, dass durch den zunehmenden Sittenverfall manchen Pfarrern der Geduldsfaden reißt. Er selbst berichtet von Fällen, bei denen Brautpaare Hunde mit in die Kirche brachten, Gäste auf den Bänken aßen und tranken. "Als Prediger ist es da schwer, sich zu zügeln", sagt er. Dennoch dürfe die Kirche diese Menschen nicht abstempeln. "Es müssen andere Wege gefunden werden, sie in die Liturgie einzubinden. Man darf sie nicht durch Abbruch einer Messe noch weiter vor den Kopf stoßen", sagt Haslinger. Das sei kontraproduktiv und würde der Kirche eher schaden als nutzen.

Pfarrer Klaus Hurtz aus Mönchengladbach-Rheydt stimmt die Entwicklung traurig. "Die große Unkenntnis über die Kirchenliturgie verwehrt den seltenen Gästen die Chance, sich auf eine Begegnung mit Gott einzulassen", sagt der Seelsorger. Er selbst blicke während Beerdigungs- und Hochzeitsmessen oft in hilf- und ratlose Gesichter. "Dabei kann doch gemeinsames Beten und Singen Trost spenden und Freude schenken."

Der Recklinghausener Pfarrer Heinrich Bücker führt das Fehlverhalten auch auf stetig abnehmenden Religionsunterricht in Schulen zurück. "Woher sollen die jungen Menschen heute auch wissen, wie sich sich richtig verhalten müssen, wenn es ihnen keiner mehr beibringt", sagt Bücker. Er selbst rät einigen Brautpaaren wegen mangelnder Kenntnis über die Kirche auch von einer Messe ab. "Stattdessen gibt es dann einen Wortgottesdienst ohne Kommunion — dann sind alle zufrieden."

(RP/pst/das/csi)
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