Verfassungsschutzaffäre Offenbar weitere Aktenvernichtungen

Köln · Nach den skandalösen Aktenvernichtungen im Zusammenhang mit den Ermittlungen um die Neonazi-Organisation NSU sind im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) offenbar mehr Akten als bisher bekannt vernichtet worden.

Die ARD-Sendung "Monitor" berichtete am Donnerstag vorab, aus einem aktualisierten Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz an das Bundesinnenministerium gehe hervor, dass einige Tage nach dem 11. November 2011 noch einmal V-Mann-Akten vernichtet worden seien.

Die rechtsextreme Terrorzelle NSU war Anfang November aufgeflogen. Der inzwischen zurückgetretene Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm ordnete am 8. November 2011 an, alle Unterlagen auf einen Zusammenhang mit den mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Bönhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos zu untersuchen. Dennoch wurden danach mehrere Akten zu V-Leuten in der rechtsextremen Szene vernichtet.

"Monitor" berichtete nun, einige Tage nach dieser Aktenvernichtung habe ein Verfassungsschutzmitarbeiter zufällig einen weiteren Aktenordner gefunden. Dessen Vorgesetzter habe nach kurzem Durchblättern angeordnet, den Ordner sofort zu vernichten.
Deshalb sei mittlerweile das Disziplinarverfahren gegen den zuständigen Referatsleiter ausgedehnt worden mit dem Vorwurf, eine zweite rechtswidrige Aktenvernichtung ohne vorherige Prüfung der Akten vorsätzlich veranlasst zu haben.

Viele Mitarbeiter offenbar informiert

"Monitor" berichtete weiter, über die anstehende Vernichtung von Akten seien viele Mitarbeiter im Verfassungsschutz informiert gewesen. Der zuständige Referatsleiter habe per E-Mail nicht nur alle Mitarbeiter des Referats 2B unterrichtet, sondern auch seinen vorgesetzten Gruppenleiter.

Wegen der Verfassungsschutzaffäre mussten bereits drei Behördenchefs den Hut nehmen. Nach den Pannen bei der Verfolgung der NSU hatte zunächst Verfassungsschutzchef Heinz Fromm den Verzicht auf sein Amt zum Ende des Monats bekannt gegeben. Auch der Thüringer Amtschef Thomas Sippel musste seinen Posten räumen.

Am Mittwoch schließlich trat Sachsens Verfassungsschutzchef Reinhard Boos zurück. Grund war laut Innenminister Markus Ulbig eine neu aufgetauchte Geheimakte beim sächsischen Verfassungsschutz zur NSU, die bei der parlamentarischen Untersuchung zu den Ermittlungen fehlte.

Die Dokumente über eine Telefonüberwachung im Jahr 1998 zum rechtsterroristischen NSU-Komplex seien offenbar wegen des "eklatanten Fehlverhaltens einzelner Mitarbeiter" erst jetzt gefunden worden, sagte Ulbig am Mittwoch im Dresdner Landtag. Das sei unverzeihlich. Es handele sich vorwiegend um Protokolle einer Überwachung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die nun aufgetauchten Unterlagen sollen am Donnerstag (12. Juli) in einer PKK-Sondersitzung behandelt werden.

Friedrich will Neuorganisation der Behörde

Die Affäre rund um den Verfassungsschutz hatte bei Politik und Verbänden große Kritik ausgelöst. So plant Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) als Folge eine Neuorganisation des Verfassungsschutzes. Er sei entschlossen, die Organisation "ohne jedes Tabu" zu überprüfen, kündigte der Minister vor wenigen Tagen an.

"Die jetzt aufgetretenen Mängel zeigen, dass es in unserem Verfassungsschutz-Verbund dringenden Reformbedarf gibt", sagte Friedrich der "Bild am Sonntag". Er sei "entschlossen, die Organisation ohne jedes Tabu zu überprüfen und wo notwendig zu verändern".

Zu der Vernichtung der Akten sagte der Innenminister: "Ich bin fassungslos über diesen Vorgang." Bislang gebe es nur Erklärungsansätze für das Verhalten des verantwortlichen Mitarbeiters. "Durch die Aktenvernichtung wird allen Vorurteilen und Verschwörungstheorien gegen den Verfassungsschutz Nahrung gegeben", sagte Friedrich weiter.

Die Angehörigen, die ja zum Teil selbst unter Verdacht standen, erwarten zurecht, dass alles genau untersucht wird." Fehlleistungen einzelner dürften nicht dazu führen, "dass das ganze Amt in Verruf kommt. Mir kommt es darauf an, dass wird den zahlreichen Verschwörungstheorien den Boden entziehen."

(dapd/das)
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