Mutter ließ Sohn verhungern Neuneinhalb Jahre Haft im Marcel-Prozess

Mannheim · Weil sie ihren neunjährigen Sohn Marcel verhungern ließ, ist die Mutter des Jungen zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Landgericht Mannheim sprach die Frau am Mittwoch des Totschlags durch Unterlassen in Tateinheit mit der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen schuldig.

 Die Mutter des verhungerten Marcel muss neuneinhalb Jahre hinter Gitter.

Die Mutter des verhungerten Marcel muss neuneinhalb Jahre hinter Gitter.

Foto: dpa, Uwe Anspach

Monatelang habe die heute 30-Jährige ihren sterbenskranken Sohn nicht ernährt und verwahrlosen lassen, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Umstände, mit denen die Mutter zu kämpfen hatte, seien zwar "durchaus bitter" gewesen und es sei offensichtlich, dass sie das Geschehen bereue, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Meinerzhagen. Von "überaus großem Gewicht" sei aber, dass es ihr eigenes Kind war, das im allerhöchsten Maße auf ihre Fürsorge angewiesen war.

Wegen seiner schweren Krankheit konnte Marcel sich nicht mehr äußern. Letztlich habe die Mutter daher aus egoistischen Motiven gehandelt, sagte Meinerzhagen. Bereits Anfang Februar hatte sie gestanden, dass sie ihren Sohn absichtlich verhungern ließ. Sie sagte, sie habe dies getan "damit er sich nicht länger quälen muss".

Das Gericht geht aber davon aus, dass letztlich die vielen familiären Probleme sie zu dem fatalen Plan führten. Ihr drohte nicht nur die Zwangsräumung ihrer Wohnung, sondern auch, dass ihr das Jugendamt ihre Kinder entzieht (Az.: 1Ks 200 Js 14922/10).

Marcel litt an einer erblichen Stoffwechselkrankheit, an Adrenoleukodystrophie. Die seltene Krankheit tritt im Kindesalter auf und führt - sofern sie nicht frühzeitig erkannt wird - von einem schnellen körperlichen Verfall bis zum Tod. Ab 2008 verschlechterte sich Marcels Gesundheitszustand zusehends: Er wurde blind, taub, bettlägerig und hatte Schrei- und Krampfanfälle. Ernährt werden konnte er nur noch über eine Magensonde.

Marcel konnte nicht mehr gerettet werden

Trotz zahlreicher Angebote des Jugendamts bestand die Mutter darauf, ihren Sohn zu Hause zu pflegen. Den Kontakt zum Kinderarzt brach sie ab. Ab Januar 2010 bestellte sie auch keine Rezepte mehr für die Sondenernährung. Erst im April 2010 fand ein Amtsarzt das Kind in der Wohnung der Mutter, nachdem sich Hinweise beim Jugendamt häuften. Marcel wog 14 Kilogramm, hatte verfilzte Haare, war stark verschmutzt und hatte offene, wundgelegene Stellen am Körper.

Der Junge kam sofort in ein Mannheimer Krankenhaus, konnte aber nicht mehr gerettet werden. Die Verwahrlosung hatte sein Immunsystem zu stark geschwächt. Die Monate ohne Nahrung hatten seinen Magen stark verkleinert. Die Wiederaufnahme der Ernährung im Krankenhaus war dadurch sehr schwer. Ende Mai 2010 starb Marcel.

Laut der Anklage hatte die Mutter den Mitarbeitern des Jugendamtes den Zugang zu ihrem Sohn verwehrt. Während der Verhandlung gestand die Frau ein, dass sie mit der Pflege überfordert war. "Ich wollte vermeiden, dass sie sehen, dass ich Schwierigkeiten habe."

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren für die Frau gefordert. Sie habe den Tod ihres Kindes bewusst in Kauf genommen, sagte Oberstaatsanwalt Reinhard Hofmann.

Dagegen plädierte Verteidiger Steffen Lindberg für eine Strafe von nicht mehr als sechs Jahren. Bei der Betreuung der Frau und ihres Sohnes seien den Ärzten und Jugendbehörden Fehler unterlaufen, sagte er. Das Gericht führte in der Urteilsbegründung jedoch aus, dass es keine Anhaltspunkte für das Jugendamt gegeben habe, die auf eine Vernachlässigung von Marcel hingedeutet hätten. Daher sei ein Vorwurf an das Jugendamt absurd, so der Richter. Der Verteidiger sagte nach dem Urteil, dass er eine Revision prüfen werde.

(dpa)
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