Zugkollision in Sachsen-Anhalt Nach Unglück wächst Kritik an Bahn-Infrastruktur

Halberstadt/Berlin (RPO). Nach dem schweren Zugunglück mit zehn Toten in Sachsen-Anhalt wächst die Kritik an der Bahn. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) warf dem Unternehmen am Wochenende vor, auf Investitionen in Streckennetze im Osten zugunsten prestigeträchtiger Projekte verzichtet zu haben.

Januar 2011: Viele Tote bei schwerem Zugunglück
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Tillich kritisierte in der Zeitschrift "Super Illu" scharf den Investitionsstau der Bahn im Osten. "Es kann nicht sein, dass bei der Sicherheit der Fahrgäste gespart wird, um auf einer Schnellstrecke wie zwischen München und Berlin einer Verkürzung der Fahrzeit um zwölf Minuten den Vorzug zu geben", sagte Tillich in einem am Sonntag vorab veröffentlichten Interview. Bahnchef Rüdiger Grube müsse "schnellstens handeln". In Sachsen seien derzeit noch etwa tausend Kilometer eingleisiger Bahnstrecken nicht mit dem automatischen Bremssystem PZB ausgestattet.

Das Zugunglück hatte sich am 29. Januar spätabends ereignet, nachdem ein Nahverkehrszug des Harz-Elbe-Expresses in der Nähe des Ortes Hordorf auf einer eingleisigen Strecke frontal mit einem Güterzug zusammengeprallt war. Gegen den Lokführer des Güterzuges ermittelt die Staatsanwaltschaft. Möglicherweise übersah er ein Haltesignal. Die PZB-Technik, mit der Züge beim Überfahren von Haltesignalen automatisch gestoppt werden, fehlte an der Unglückstelle zwischen Magdeburg und Halberstadt.

Wie der "Spiegel" am Wochenende berichtete, waren die Gefahren auf der Unfallstrecke dem Bund seit Jahren bekannt. Bereits nach einem ähnlichen Unglück im Juni 1996 in Nordthüringen sei das Bundesverkehrsministerium zu dem Schluss gekommen, die Bahnstrecken im Osten dringend mit PZB auszurüsten. Zwar verpflichtete sich die Bahn demnach im Oktober 2000, 1500 Kilometer Haupt- und 10.000 Kilometer Nebenstrecke damit auszustatten. Das Programm zur Schließung der PZB-Lücken sei jedoch versandet.

Ramsauer stellt sich vor Bahn

Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) schloss indes ein Versagen der Bahn bei dem Unglück aus. "Hätte der Güterzug die Haltesignale nicht - wie es scheint - überfahren und wäre er dem Aufruf zum Nothalt gefolgt, wäre dieser Unfall nicht passiert", sagte Ramsauer der "Mitteldeutschen Zeitung" vom Samstag. Die Bahn sei "seit geraumer Zeit dabei, zahlreiche Strecken mit dem Sicherheitssystem PZB nachzurüsten", verteidigte der Minister den Konzern. Die Deutsche Bahn erhalte jährlich 2,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln, um das Netz zu erhalten und zu modernisieren, hob er hervor.

Bei einer Trauerfeier im Dom von Halberstadt wurde am Samstag der Opfer des Zugunglücks gedacht. "Wir alle in unserem Land sind darüber erschüttert", sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU). Er verwies auch auf die Solidarität und Anteilnahme, die Angehörigen und Verletzten nach dem Unglück zuteil geworden war. So sei Hordorf nicht nur ein Ort des Erschreckens, "sondern auch ein Ort der gelebten Mitmenschlichkeit". Die evangelische Landesbischöfin Ilse Junkermann sagte: "Dieses Unglück erinnert uns, wir sind fehlbare Menschen. Die perfekte Welt - sie gelingt uns nicht." Niemand sei vor dem Versagen gefeit.

(AFP/jre)
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