Mobbing in der Schule „Weil du dumm bist“

Düsseldorf · Mobbing während der Schulzeit lässt die Betroffenen häufig auch viele Jahre später nicht los. Hier berichtet eine junge Frau, wie sie als Kind zum Ziel körperlicher und psychischer Angriffe wurde - und wie sie heute mit der Erfahrung umgeht.

 Frau an einem See (Symbolfoto).

Frau an einem See (Symbolfoto).

Foto: Malivan_Iuliia/shutterstock.com

Der Bericht über eine elfjährige Schülerin aus Berlin, die sich offenbar wegen Mobbings das Leben genommen hat, hat unsere Autorin an Erlebnisse aus ihrer eigenen Kindheit erinnert. Sie hatte mehr Glück, ihr Leben nahm eine Wendung zum Guten. Doch der Psychoterror von damals beschäftigt sie bis heute. Aus diesem Grund möchte sie anonym bleiben. Hier berichtet sie, was sie Ende der 90er Jahre an einem Gymnasium in NRW erlebt hat.

„Weil du dumm bist“. Das war die Antwort auf meine Frage: „Warum macht ihr das mit mir?“

Jahre später, da meldet ihr euch. „Tut mir übrigens voll leid mit damals“. Was ihr getan habt, werde ich nicht verzeihen. Nie.

Es gibt keinen bestimmten Tag oder eine einzelne Tat, mit der es anfing. Es waren drei, vier Kinder aus einer Klasse. Jungen und Mädchen. Niemand, mit dem man unbedingt befreundet sein wollte, aber auch niemand, den man gerne zum Feind hatte. Ich war damals elf Jahre alt. Im Sport wurde ich zuletzt in die Völkerballgruppe gewählt, in der Umkleidekabine wegen der uncoolen Unterwäsche gehänselt. Mein Handy war das altmodischste von allen, kein Snake drauf – ich war raus.

„Mein Gott“, denken da bestimmt viele. „Da steht man doch drüber.“ Doch sobald es nach draußen ging, bekam ich Kloppe. Nicht von den Mädchen, die waren sich zu fein für sowas. Aber von den Jungs. Hier ein Beinchen gestellt, dort ein Tritt in die Rippchen, und wenn man am Boden lag noch ein bisschen Rotze ins Gesicht. Die Verniedlichungen machen es jetzt, Jahre später, erträglicher davon zu erzählen. Andere Schüler standen teilnahmslos daneben. Wandten sich ab. Waren froh, nicht selbst dort zu liegen. Selbst sogenannte Freunde. Mein Hals schnürte sich zu, ich wollte weinen. Aber das hätte es nur noch schlimmer gemacht, war ich mir sicher.

Meine Noten wurden nicht schlechter. Ich wurde nicht mehr auf Geburtstage oder zum Spielen eingeladen, hatte mehr Zeit zum Lernen. Für meine Eltern und Lehrer bestand also kein Grund zur Beunruhigung. Überhaupt haben sie zu Beginn kaum etwas von dem Psychoterror mitbekommen. Am Anfang traute ich mich nicht, ihnen die Wahrheit zu sagen. Vielleicht lag es ja doch an mir? Ich hoffte, dass es nur eine Phase war. Das wird schon wieder besser, redete ich mir ein.

Doch irgendwann konnte ich es nicht mehr verbergen. Meine Mutter wunderte sich, warum dauernd ein Handschuh fehlte, Sterne auf dem Schulranzen abgerissen waren. Warum ich weniger aß, nachmittags viel schlief und immer trauriger wirkte. Und warum ich plötzlich die neuen roten Turnschuhe nicht mehr tragen wollte. Irgendwann kam es dann raus: „Die anderen sagen, das sind Nuttenschuhe.“

Plötzlich war nicht nur das Kind traurig, sondern auch die Mutter. Meine Eltern nahmen das Problem ernst. Sie sprachen den Psychoterror bei Elternabenden in der Schule offen an. Die Eltern der aggressivsten Kinder wiesen alles von sich. „Mein Kind soll so etwas machen? Niemals.“ Die Lehrerin war überfordert und entschied sich für den wohl leichtesten Weg: „Vielleicht ist es besser, wenn Ihr Kind nicht mit auf die Klassenfahrt fährt.“ Das wäre für ja für alle das Einfachste. Problem gelöst. Schaden gering gehalten. Endlich Feierabend.

Doch mit der offensichtlichen Unterstützung der Schule fühlte sich die Mobbergruppe nur noch stärker. Der Höhepunkt der Erniedrigungen war eine Nachricht auf der Mailbox. Darin hieß es, ich hätte nicht mehr lange zu leben. Die Gefühle, die ich die ganze Zeit heruntergeschluckt hatte - Hass, Traurigkeit, Hilflosigkeit - konnte ich jetzt nicht mehr zurückhalten. 34 Sekunden reine Verzweiflung. Schließlich offenbarte ich mich ganz meinen Eltern. Ohne lange nachzudenken rief mein Vater die Nummer an, von der die Nachricht kam. „Wenn wir bis morgen früh, 10 Uhr, keine Mitteilung über deinen Namen bekommen und keine Entschuldigung erhalten, gehen wir zur Polizei und erstatten Anzeige.“ Es konnte so nicht weitergehen, das war mir jetzt klar.

Am nächsten Morgen waren wir bei der Polizei und erstatteten Anzeige wegen der Morddrohung, die die Eltern der mobbenden Kinder später „Streich“ nennen sollten, als ich eine SMS bekam. Um 10.10 Uhr. Geschrieben angeblich von der ganzen Klasse.

Wir ließen die Anzeige fallen und fuhren zur Schule. Die Lehrer, die dem Psychoterror von Anfang an wenig entgegengesetzt hatten, waren mit ihrem Latein am Ende. Ich selbst war auch der Meinung, dass man die Situation nicht mehr kitten konnte. Selbst wenn die Hänseleien, die Tritte und die Ausgrenzung aufgehört hätten – wollte ich mit solchen Monstern noch jahrelang Zeit in einem Raum, in einem Gebäude, in der gleichen Schule verbringen? Zu groß war der Hass auf all diejenigen, die mir das angetan haben. Gut gemeinte Ratschläge, ich solle mich nicht in die Opferrolle begeben, konnten sich die Vertrauenslehrer sparen.

Gemeinsam mit meinen Eltern entschied ich mich für einen Schulwechsel. Neues Umfeld, neue Chance, normale Kindheit. Es gab kein Schuldeingeständnis, kein Lehrer räumte sein Versagen ein. Für mich war es der letzte Ausweg. Als es zur Anmeldung in die neue Schule ging, wurde der Kloß im Hals immer größer. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Als ich wieder im Auto meiner Eltern saß, liefen mir die Tränen übers Gesicht. Die ganze Anspannung der vergangenen zweieinhalb Jahre fiel mit einem Mal von mir ab.

Damals habe ich mich oft gefragt: Was habe ich falsch gemacht? Warum haben die sich so auf mich eingeschossen? Später wurde mir klar, dass es nicht an mir lag. In der Klasse gab es mehrere Kinder, die vor und nach mir das Gleiche durchmachen mussten. Manche haben es bis zum Abitur ausgehalten, andere wechselten ebenfalls die Schule. Meine Eltern schrieben Briefe ans Schulministerium. Nach einiger Zeit bekamen sie Antwort. Die Probleme in der Schule, auch in der Klasse, seien bekannt. Es handele sich bei mir nicht um den ersten Fall von Mobbing dort. Man lege mir dennoch letztlich einen Schulwechsel nahe. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit Wochen auf einem anderen Gymnasium.

Heute denke ich nur noch selten an die Zeit zurück. Geprägt haben mich die Taten dennoch sehr. Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen, fällt mir wahnsinnig schwer. Obwohl ich ein offener, fröhlicher Mensch bin, vermute ich tief im Inneren in anderen Menschen immer etwas Böses. Warum Kinder so mit ihren Mitschülern umgehen, werde ich nie verstehen.

Und die Mobber? Schreiben mir Jahre später eine Facebook-Nachricht. „Tut mir voll leid mit damals.“

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