Eklat beim Ökumenischen Kirchentag Missbrauchsopfer will Podium stürmen

München (RPO). Eklat auf dem Ökumenischen Kirchentag in München: Eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion zu Fällen sexuellen Missbrauchs wurde am Freitag massiv von einem Opfervertreter gestört. Norbert Denef, Sprecher des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, scheiterte allerdings mit seinem Versuch, den Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, an seinem Vortrag zu hindern.

 Missbrauchsopfer Norbert Denef protestiert beim Kirchentag.

Missbrauchsopfer Norbert Denef protestiert beim Kirchentag.

Foto: ddp, ddp

Mertes will vom Versagen der Kirche sprechen, von Machtmissbrauch und Anmaßung. Als Leiter des Berliner Canisius-Kollegs hat er im Januar Missbrauchsfälle öffentlich gemacht. Seitdem erschüttern immer neue Nachrichten die Kirche. In München begrüßen ihn rund 5.000 Zuhörer mit Applaus, Mertes gilt als Symbolfigur für Offenheit.

Doch dann bricht das Thema wie der Sturm in die Veranstaltung. "Lügentheater" brüllt Norbert Denef. Kameras umringen ihn. Wachsende Spannung im Saal. Mertes und die Moderatorin des Podiums beschwichtigen. Dann wirbt der Jesuit um Verständnis für den Störer: Das Einnehmen der Opferperspektive "kann nicht an die Bedingung geknüpft werden, dass die Opfer lieb und freundlich sind".

Der Missbrauchskandal der katholischen Kirche. Er werde den Kirchentag als dominierendes Thema überschatten, hieß es vorher oft. Das Programmheft war gedruckt, als die Lawine ins Rollen kam. Die Organisatoren hoben Veranstaltungen ins Programm. Und wohl bei jedem der offiziellen politischen Termine am Rande des ÖKT geht es um den Skandal. Der Vertrauensverlust der Kirche macht auch Spitzenpolitikern jeglicher Couleur Sorge.

Buh-Rufe für den Bischof

Doch das Thema eignet sich nicht zum Anstoß einer Kirchentag-typischen Massenbewegung. Bei den Podien am Donnerstagabend und am Freitag sind die Hallen nicht ganz voll. Eher ältere, sehr aufmerksame Zuhörer. Am Donnerstag ruhiges Zuhören bei der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Christine Bergmann. Als dann am Freitag der katholische Missbrauchsbeauftragte, Bischof Ackermann, mit Mertes auf dem Podium sitzt, kochen die Emotionen hoch. Zuerst Denefs Störung. Dann Pfiffe und Buh-Rufe für den Bischof, später auch mal wieder kräftiger Applaus.

Mertes und der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller benennen einen Fragenkatalog in Richtung katholische Kirche: überzogene Disziplinierungen, Sprachlosigkeit beim Thema Sexualität, die Tabuisierung der Homosexualität, "Risikofaktor sexuelle Unreife". Da zeigt sich der Druck im System.

Ackermann, seit nicht einmal drei Monaten Missbrauchsbeauftragter der Bischöfe, sagt: "Wir brauchen eine bessere Debattenkultur innerhalb der Kirche." Er zeigt sich "erschrocken" über die Debatte. "Nicht so sehr wegen der Themen", meint er. Aber das geht fast in Buh-Rufen und Pfiffen unter - der Blick müsse doch den Opfern gelten.

Am Vorabend hockte Ackermann irgendwo zwischen Zuhörern, als es in einer der Messehallen erstmals um Missbrauch ging. Da erinnerte die Regierungsbeauftragte Christine Bergmann daran, dass sexualisierte Gewalt ein Thema der ganzen Gesellschaft sein müsse. All zu viele Kinder würden in ihren Familien zum Opfer. Und Experten beklagen, dass schon für notwendigste Beratung das Geld fehle.

Ein Detail zeigt, wie sehr Kirche beim Thema Missbrauch in der Zwickmühle steckt. Ursula Enders, Leiterin der Kölner Beratungsstelle "Zartbitter", führt Klage, dass die Kirche nun die strikte Anzeigepflicht bei jedem Missbrauchsfall wolle. Das werde die Arbeit der Therapeuten erschweren. Dabei kündigten vor gut zwei Monaten die ersten Bischöfe die strikte Anzeigepflicht an - getrieben vom Druck der Öffentlichkeit, auch von der Bundesjustizministerin.

Als Ackermann am Freitag von der Bühne abtritt, folgt ihm eine Traube von Kameras. Er stellt sich und berichtet von "Optimierungsbedarf" auf kirchlicher Seite. "Ich verstehe, dass die Opfer sagen: Wir wollen gehört werden." Vielleicht könne es eine Anhörung des Runden Tisches geben. Aus dem Rücken des Bischofs meldet sich Norbert Denef. "Sprechen Sie mit uns. Ich bin Sprecher eines Netzwerks", sagt er. Draußen regnet es, Böen im Mai sind herbstlich kalt. Aber der Sturm tobt an diesem Freitag auch in der Halle.

(KNA/awei)
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