Einrichtungen erleben Comeback Mehr Frauenmilchbanken in Deutschland

Magdeburg · Blutspenden kennt jeder, aber Milch? Frisch gebackene Mütter können überschüssige Milch spenden. Besonders Frühchen profitieren davon. Die Idee von Milchbanken ist schon 100 Jahre alt. Nun erleben die Einrichtungen ein Comeback.

 Flaschen mit Muttermilch.

Flaschen mit Muttermilch.

Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Der Grund dafür, dass Jana Bartsch zu einer besonderen Spenderin wurde, liegt mit hellen Strubbelhaaren in einem Babybett. Vor wenigen Monaten kam Emil als Frühchen mit 34 Wochen zur Welt. Operationen waren nötig, er konnte nicht an die Mutterbrust. Bartsch entschied, die Milch abzupumpen bis zu jenem Tag, an dem ihr Sohn selbstständig trinken könnte. „Erst füllte sich unser Gefrierschrank, dann der der Schwiegereltern“, erzählt die 29-Jährige. Auch in der Uniklinik Magdeburg, wo ihr Sohn neun Wochen lag, füllte sich ein Fach. Schließlich spendete Jana Bartsch ihre Milch für andere Babys - so wie inzwischen immer mehr Frauen in Deutschland.

Die Idee von Frauenmilchbanken, die schon 100 Jahre alt ist, bekommt in Deutschland gerade neuen Schwung. Noch 2016 gab es laut dem Leiter der Frauenmilchbank Magdeburg, Ralf Böttger, bundesweit 15 solche Einrichtungen. Inzwischen seien es 23 - und weitere entstehen. Dafür engagiert sich seit vorigem Jahr eine bundesweite Frauenmilchbank-Inititative, die Böttger mitgegründet hat. „Wir setzen uns dafür ein, dass in fünf Jahren jedes Bundesland mindestens eine Frauenmilchbank haben wird und in Zukunft alle bedürftigen Frühgeborenen Zugang zu Spenderinnenmilch aus einer Frauenmilchbank haben werden“, sagt Anne Sunder-Plaßmann von der Initiative.

Muttermilch sei die beste Nahrung für Früh- und Neugeborene, betont Böttger. In handelsüblicher Frühgeborenennahrung steckten zwar viele ähnliche Inhaltsstoffe, es könne aber bei weitem nicht jeder Bestandteil imitiert werden. Vorteile habe Muttermilch etwa für die Entwicklung des Immunsystems und den Schutz vor Infektionen. Diverse Erkrankungen seien bei Frühchen, die natürliche Milch bekämen, seltener. „Muttermilch bietet Schutz“, bilanziert Böttger.

 Milchspenderin Jana Bartsch mit ihrem Sohn Emil.

Milchspenderin Jana Bartsch mit ihrem Sohn Emil.

Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

„Es gibt Mütter, die zu viel Milch haben“, sagt der Neonatologe. Und es gebe im Gegenzug Mütter, die das Stillen aus verschiedenen Gründen nicht schafften - da mache der Kopf nicht mit oder es fehlten die körperlichen Voraussetzungen. Damit deren Kinder dennoch gut gedeihen, bekommen sie die Milch der Spenderinnen. Das funktioniere etwa über eine Sonde, wenn Frühchen noch nicht allein saugen könnten.

Bei Jana Bartsch steht die Milchpumpe griffbereit im Bad. Das Schuhkarton-große Gerät erzeugt einen Unterdruck und pumpt die Milch von der Brust durch einen Trichter und einen Schlauch in eine Flasche. „Hier setze ich mich nachts hin“, sagt die junge Mutter und zeigt auf einen Stuhl neben dem Waschbecken. Nachdem sie ihren Sohn gestillt habe und er eingeschlafen sei, dauere das nur wenige Minuten. Die Menge der Milch hat inzwischen schon deutlich abgenommen im Vergleich zum Anfang. „Damals habe ich eineinhalb Liter pro Tag produziert“, berichtet die Krankenschwester. „Das wollte ich nicht wegkippen.“

Böttger hat in der 2014 wiedereröffneten Frauenmilchbank Magdeburg schon mehr als 300 kleinen Patienten mit gespendeter Milch geholfen. Insgesamt hätten sie 1230 Liter von knapp 80 Spenderinnen erhalten. „Wir haben derzeit ausreichend Milch für unsere eigenen Patienten“, sagt Böttger. Eine Milchspende läuft ähnlich ab wie eine Blutspende. Es muss klar sein, dass die Frau gesund ist, ein Fragebogen und ein Bluttest gehören dazu. Zudem wird die Milch auf Keime untersucht.

Die Geschichte der Magdeburger Frauenmilchbank reicht 100 Jahre zurück: Am 19. Mai 1919 wurde sie als erste Frauenmilch-Sammelstelle Deutschlands eingerichtet. Die Kinderärztin Marie-Elise Kayser war selbst Mutter geworden, hatte zu viel Milch und wusste um deren Wert. Das sprach sich herum und so brachten bald viele Frauen ihre überschüssige Milch in die Klinik. Auch in anderen Städten entstanden Frauenmilchbanken.

Während die DDR an den Einrichtungen festhielt, wurden sie in der Bundesrepublik in den 1970er Jahren geschlossen. „Ich denke, in der BRD waren es in erster Linie die verbesserte Industrienahrung und die massive Werbung für sie, die dazu führten, dass die letzten Frauenmilchbanken in den Siebzigern geschlossen wurden“, erläutert Anne Sunder-Plaßmann von der Frauenmilchbank-Initiative. „Das war noch vor HIV. In vielen anderen Ländern war es das HI-Virus, das den Frauenmilchbanken den "Todesstoß" gab.“

Und so zeigt eine von der Initiative erstellte Karte der heutigen Frauenmilchbanken Deutschlands ein klares Ost-West-Gefälle: 15 sind in Ostdeutschland, nur 8 im Westen. Neueröffnungen gab es der Initiative zufolge 2018 in Augsburg und Vechta sowie 2019 in Hannover. Vorbereitungen laufen demnach für zwei weitere Einrichtungen, in Frankfurt am Main und in Wolfsburg.

Bislang tragen Kliniken, die eine Frauenmilchbank aufbauen wollen, die Kosten weitgehend selbst. Laut Frauenmilchbank-Initiative ist Niedersachsen das erste Bundesland, das Kliniken dabei unterstützt. „In anderen Bundesländern scheitert der Aufbau von Frauenmilchbanken noch oft daran, dass Kliniken alle Kosten allein schultern müssen“, erklärt Sunder-Plaßmann. Zwar könne Spenderinnenmilch für Frühgeborene überlebenswichtig sein - dennoch übernähmen die Krankenkassen die Kosten für diese Ernährung nicht.

(lukra/dpa)
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