Bundeswehr sichert Geldtransport Luftwaffe schützt von Uedem aus auch den Euro

Uedem · Wenn Geldscheine in Milliardenwert über Deutschland unterwegs sind, überbewacht auch die Bundeswehr ihren Flugweg – eine der vielen Aufgaben des Führungszentrums in Uedem. Es ist für die gesamte Sicherheit im Luftraum zuständig, soll Terroristen abschrecken und hilft sogar Passagierjets in Not.

 So sieht eine Abfangaktion der Luftwaffe aus: Eine Phantom begleitet in einer Übung einen Learjet (links).

So sieht eine Abfangaktion der Luftwaffe aus: Eine Phantom begleitet in einer Übung einen Learjet (links).

Foto: Luftwaffe

Wenn Geldscheine in Milliardenwert über Deutschland unterwegs sind, überbewacht auch die Bundeswehr ihren Flugweg — eine der vielen Aufgaben des Führungszentrums in Uedem. Es ist für die gesamte Sicherheit im Luftraum zuständig, soll Terroristen abschrecken und hilft sogar Passagierjets in Not.

 In der Kommandozentrale dominieren riesige Bildschirme die Wände.

In der Kommandozentrale dominieren riesige Bildschirme die Wände.

Foto: Luftwaffe

Die Flugsicherung schlägt Alarm: Der Funkkontakt zu einer estnischen Boeing 737 auf dem Weg von London nach Kopenhagen mit 135 Passagieren an Bord ist abgebrochen. Der Jet fliegt Schlangenlinien über der Nordseeküste und ist schließlich vom Radarschirm verschwunden. Ein Fall für das Nationale Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum (NLFZ SiLuRa) in Uedem am Niederrhein. Die knapp 100 militärischen und zivilen Mitarbeiter haben tief im Bunker auf dem Paulsberg den kompletten Überblick über den deutschen und den europäischen Luftraum — dank eines Netzes von 45 Radaranlagen der Flugsicherung und der Bundeswehr sowie den Daten von Awacs-Frühwarnflugzeugen.

"Mit den militärischen Radargeräten haben wir den Jet über dem Meer entdeckt und zwei Abfangjäger losgeschickt. Alle Systeme an Bord der Maschine inklusive Funk waren ausgefallen, sie drohte abzustürzen", berichtet Oberstleutnant Michael Urban, der Leiter Einsatzbetrieb in Uedem. Dank des Eingreifens des NLFZ blieb es bei einer Beinahe-Katastrophe: "Unsere Phantom-Jäger haben die Boeing zum Flughafen Hamburg geführt und im Funkkontakt zu den Fluglotsen dem estnischen Piloten auch den direkten Landeanflug vorgeflogen. So konnte die Maschine sicher aufsetzen."

Ziviler Einsatz für die Kampfjets

Die Rettung des Passagierjets ist ein Beispiel dafür, dass die Führungszentrale auch in zivilen Notlagen helfen kann. So wurde der Sucheinsatz von Tornado-Jets mit Wärmebildkameras nach dem entführten Jungen Mirco aus Grefrath 2010 vom Paulsberg aus gesteuert. Gegründet wurde die Einrichtung nach der Terrorkatastrophe in den USA im September 2001. Im NLFZ beobachten seit 2003 2007 Soldaten, Bundespolizisten, die Deutsche Flugsicherung und jetzt auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gemeinsam rund um die Uhr den Luftraum. Der Hauptauftrag: terroristische Bedrohungen durch entführte Flugzeuge aufzuklären und abzuwehren.

Selbst auf den großen Leinwänden im Lagezentrum ist das Gewusel kleiner weißer Kreise über den Umrissen der Bundesrepublik eindrucksvoll: 1600 bis 1800 Maschinen von der kleinen Cessna bis hin zum Jumbo-Jet fliegen gleichzeitig durch den deutschen Luftraum; mehr als 10 000 Flugbewegungen sind es pro Tag. Auch drei gelbe Kreise sind zu erkennen: ein Tankflugzeug und zwei Abfangjäger kurven über Bayern. Ein rotes Dreieck ist nicht zu sehen — es wäre der Alarmfall "Renegade" (englisch etwa für Abtrünniger): Terroristen haben sich eines Flugzeugs bemächtigt.

Einsatz im Staatsnotstand

Deutsche Gesetze verbieten zwar einen Abschuss, doch könnte zum Beispiel im Fall eines Anflugs auf ein vollbesetztes Fußballstadion rechtlich der sogenannte Staatsnotstand greifen, erläutert Oberst Hermann Hornung, der Leiter der Führungszentrale Nationale Luftverteidigung. Verschlüsselt erhält deshalb die politische Führung innerhalb weniger Minuten aus Uedem ein komplettes Lagebild als Entscheidungsgrundlage, zugleich werden Abfangjäger gestartet.

Per Knopfdruck können Atomkraftwerke in Reichweite des entführten Flugzeuges gewarnt werden, um eine Schnellabschaltung durchzuführen und sich durch Nebelanlagen unsichtbar zu machen. Ist die Bevölkerung gefährdet, kann sie vom NLFZ aus unter anderem über die Nachrichtenlaufbänder in Privatfernsehprogrammen gewarnt werden. Eine Alarmierung über die Funkrauchmelder in privaten Haushalten, Büros und Fabriken wird zurzeit getestet. Das ist noch eine technische Untersuchung und ich kann nicht beurteilen, ob wir durch Bekanntgabe mglw. wirtschaftliche Interessen der Entwickler berühren. Mein Vorschlag wäre: Weitere innovative technische Lösungen zur Alarmierung der Zivilbevölkerung werden derzeit untersucht.

220mal im Jahr sind Flugzeuge ohne Funkverbindung über Deutschland unterwegs, was schlimmstenfalls einen solchen Entführungsfall bedeuten könnte. Die scheinbar hohe Zahl ist für die Führungszentrale eher ein Grund zur Freude. Denn seit ihrer Gründung sind diese Problemfälle um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Helmut Wöckel, der Koordinator Flugsicherung im NLFZ, verfolgt bei den Fluggesellschaften detektivisch jeden einzelnen Fall, und gegebenenfalls droht ein Bußgeld, um eine Wiederholung auszuschließen.

Menschliches und technisches Versagen

"In der Regel handelt es sich um menschliches Versagen", berichtet Wöckel. "Zum Beispiel hat ein Co-Pilot bei der Rückgabe des Frühstückstabletts an die Stewardess versehentlich den Schalter getroffen und den Funk abgestellt." Bei neuen Boeing-Baureihen sei der Lautstärkeregler auf dem Instrumentenbrett versetzt worden, was ebenfalls zunächst für Pannen sorgte.

Die 24 Stunden in Bereitschaft stehenden Abfangjäger im bayerischen Neuburg (Donau) und im ostfriesischen Wittmund stiegen auch bei einem spanischen Urlauberjet auf, zu dem der Kontakt abgebrochen war. Der Pilot hielt daraufhin einen handgeschriebenen Zettel mit den technischen Problemen gegen das linke Cockpit-Fenster — leider unleserlich für die begleitenden Jagdflieger. Daraufhin ließ das Zentrum in Uedem testen, was man in einer solchen Situation noch lesen kann. Jetzt wissen es alle Verkehrspiloten: "Maximal fünf Buchstaben, womit im Notfall durch Abkürzungen schon viel mitgeteilt werden kann", sagt Michael Urban.

Nicht alle Fälle sind ähnlich harmlos: Ein von einem Mann mit einer Bombe entführter türkischer Airbus von München nach Istanbul kehrte plötzlich um; in nur elf Minuten hatte Uedem die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Bayern über die Details informiert. Der Airbus landete wieder in München und wurde dort mit Autos blockiert, um einen Weiterflug zu verhindern. Der Fall endete ungewöhnlich. Urban: "Ein beherzter Passagier stieß den Entführer aus der Tür, der verletzte Mann wurde festgenommen."

Überwachung von Flugverbotszonen

Das Uedemer Zentrum überwacht auch die Flugverbotszonen bei Großveranstaltungen. "Der Papst und Hunderttausende Gläubige, das ist schon ein gefährdetes Ziel, das es zu schützen gilt", meint Urban. Am Beispiel des Nato-Gipfels in Straßburg im April 2009 macht er die Komplexität solcher Einsätze deutlich: "Zu koordinieren waren die Hubschrauber der Staatsgäste, Polizei- und Rettungshelikopter, den Luftraum über dem Schwarzwald und den Vogesen sichernde Jagdflugzeuge und ihre Tanker und schließlich noch die französische Kunstflugstaffel."

Was kaum jemand weiß: Das NLFZ ist in den Schutz des Euro eingebunden. Rund 80 Flüge führt allein die Bundesbank jährlich durch, um jeweils zweistellige Milliardensummen in kleinen Scheinen von den Druckereien zu den Banken zu schaffen. "Der Lufttransport ist der sicherste Weg", erläutert Michael Urban. Im Lagezentrum könnte der Erste Polizeihauptkommissar Richard Erhart, der gerade den Arbeitsplatz des Innenministeriums besetzt, sofort Alarm auslösen, wenn er etwas Verdächtiges bemerkt. Das sei aber noch nicht vorgekommen.

"Doch müssen die Flugwege ständig kontrolliert werden, damit die Bundespolizei vor Ort weiß, dass ein Jet zu früh am Zielort eintrifft oder wegen schlechten Wetters umgeleitet wird" ergänzt Urban. Die fliegenden Geldtransporte führen quer über Europa, wird doch zum Beispiel der Fünf-Euro-Schein in Rom, der 20-Euro-Schein in Finnland gedruckt. Darum prüft zurzeit die Europäische Zentralbank, ob das Zentrum in Uedem den gesamten "Euro-Luftschutz" übernehmen kann.

(RP/felt/pst)
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