Nach Krawallen durch Linksextremisten Lage in Leipzig am Sonntag entspannt
Update | Leipzig/Karlsruhe · In Leipzig ist es nach dem Urteil gegen die Linksextremistin Lina E. am Samstag zu Ausschreitungen gekommen. Diese dauerten bis in die Nacht. Die Polizei war im Großeinsatz – auch aus NRW. Am Sonntag ist es ruhig geblieben.
In der Nacht zum Sonntag ist es in Leipzig erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, über der Stadt kreisten Hubschrauber, an mehreren Orten im Stadtteil Connewitz brannten Barrikaden. Schon am Samstagnachmittag hatte es Krawalle gegeben.
50 verletzte Polizisten, 30 Festnahmen
Bei den Ausschreitungen sind nach Angaben der Polizei etwa 50 Polizisten verletzt worden. Zudem habe es auch Verletzte aufseiten der Demonstranten gegeben, sagte Polizeipräsident René Demmler am Sonntag – die genaue Zahl konnte er aber nicht beziffern. Ermittlungen laufen bei der Polizei etwa wegen schweren Landfriedensbruchs und wegen Angriffen auf Polizisten. Es habe fast 30 Festnahmen gegeben, bei denen nun Haftantrag geprüft werde, teilte Demmler mit. Zudem seien zwischen 40 und 50 Personen in Gewahrsam genommen und bis Sonntagmittag wieder entlassen worden.
Die Stadtverwaltung und die Polizei verteidigten ihr Vorgehen. „Wir müssen leider erleben, dass auch bei einer friedfertig angekündigten Demonstration sich Gewalttäter darunter mischen, dass sie instrumentalisiert wird und es im Ergebnis dann zu Gewaltausbrüchen kommt“, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Es sei daher richtig gewesen, zwei andere Demonstrationen zuvor zu untersagen. Er dankte der Polizei für ihre Arbeit. So sei es möglich gewesen, trotz der „fürchterlichen Vorkommnisse“ die Stadt lebensfähig zu halten.
Polizeipräsident Demmler sprach von „viel sinnloser, extremer Gewalt“. Es sei daher erforderlich gewesen, auch durch Stärke zu deeskalieren. Demmler betonte, dass keine Versammlung aufgelöst wurde. Es sei eine Stunde lang mit dem Versammlungsleiter versucht worden, eine stationäre Kundgebung zu erreichen.
„Massive Ausschreitungen“
Bei der Demonstration unter dem Motto „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig“ mit rund 1500 Teilnehmern waren am Samstag nach einem friedlichen Beginn Steine, Flaschen und ein Brandsatz auf Polizisten geworfen worden. Angemeldet waren 100 Demonstranten. Mehrere Wasserwerfer wurden aufgefahren, kamen aber nicht zum Einsatz.
Die Polizei kesselte am Alexis-Schumann-Platz an der Karl-Liebknecht-Straße rund 1000 der Demonstranten ein und sprach von „massiven Ausschreitungen“. Die Einkesselung fand nach Angaben einer Polizeisprecherin vom Sonntagmorgen zur Feststellung der Identitäten statt. Genaue Angaben zur Dauer der Identitätsfeststellungen machte sie zunächst nicht. Allerdings wurden noch in den frühen Morgenstunden Demonstranten festgehalten.
Die Linksfraktion im sächsischen Landtag will das Vorgehen der Polizei nun zum Thema im Innenausschuss machen. Dazu werde ihre Fraktion am Montag eine Sondersitzung beantragen, teilte die Abgeordnete Kerstin Köditz am Sonntag auf Twitter mit. „Die Hintergründe der Grundrechtsverletzungen, besonders der Kessel, sind aufklärungsbedürftig.“ Das Innenministerium stehe in der Verantwortung.
SPD: „Provozierende Herangehensweise“ der Polizei
Auch von der SPD gibt es Kritik. Die Polizei habe selbst zur Eskalation beigetragen – so sieht es zumindest der sächsische SPD-Innenpolitiker Albrecht Pallas in Leipzig. Der Polizeiführung warf der Landtagsabgeordnete eine „provozierende Herangehensweise“ vor. Die Gewalt einiger Demonstranten sei inakzeptabel, betonte er am Sonntag. Rund 1500 Menschen hätten am Samstag aber friedlich ihr Demonstrationsrecht wahrgenommen.
Die Polizei sei etwa beim Abdrängen umstehender Menschen mit unnötiger Härte vorgegangen und habe viele Menschen stundenlang eingekesselt. „Es gipfelte im Abriegeln des gesamten Stadtteils Connewitz nach zwei Barrikadenbränden“, betonte Pallas. „Die Massivität der Polizeipräsenz oder dadurch bedingte massive polizeiliche Reaktion auf Kleinigkeiten hatten eine eskalierende Wirkung, was überwiegend Unbeteiligte traf.“ Pallas ist von Beruf Kriminalbeamter und war nach eigenen Angaben in Leipzig als parlamentarischer Beobachter selbst vor Ort.
CDU: „Gewaltmonopol liegt beim Staat“
Die Linke hatte bereits zuvor Kritik am Vorgehen der Polizei geübt. So warf ihr Parlamentsgeschäftsführer im sächsischen Landtag, Marco Böhme, der Polizei bei Twitter vor, sie habe die Lage durch das „faktische Verbot“ eskalieren lassen. Zudem kritisierte er, dass die Eingekesselten teils über Stunden festsaßen. Die Polizei erklärte, alle betroffenen Personen würden versorgt. Es gebe auch die Möglichkeit, ein mobiles WC zu nutzen.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer verteidigte hingegen den Einsatz: „Das Gewaltmonopol liegt beim Staat! Wer Gewalt ausübt, spürt die Konsequenzen“, so der Politiker via Twitter. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der mit Innenminister Armin Schuster (beide CDU) am Samstagnachmittag das Lagezentrum besucht hatte, dankte der Polizei für ihren Einsatz. „Das Ziel ist Menschen und Sachwerte zu beschützen und Gewalttäter festzunehmen“, erklärte der CDU-Politiker am Nachmittag via Twitter.
„Tag X“-Demonstrationen endgültig verboten, parallel Stadtfest und Grönemeyer-Konzert
In linken Kreisen war bundesweit für die Demonstration am Samstag mobilisiert worden. Anlass war das Urteil gegen Lina E. und drei Mitangeklagte wegen Überfällen auf vermeintliche oder tatsächliche Neonazis, bei denen mehrere Menschen teils schwer verletzt worden waren. Die 28-Jährige war am Mittwoch vom Oberlandesgericht Dresden zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden.
Bis zum Samstagnachmittag war die Lage zunächst friedlich geblieben. Trotz des endgültigen Verbots einer großen „Tag X“-Demonstration der linksradikalen Szene war die Polizei mit einem Großaufgebot in der Stadt präsent. Unterstützt wurde sie unter anderem auch durch Kräfte aus NRW. Zudem fanden in der Stadt das Sachsenpokal-Finale, das Stadtfest sowie ein Konzert von Herbert Grönemeyer statt. An Zufahrtswegen in die Stadt sowie am Bahnhof gab es den ganzen Tag Kontrollstellen.
Am frühen Samstagnachmittag brannten mehrere Fahrzeuge und Mülltonnen. Am späteren Abend mit Einbruch der Dunkelheit verlagerte sich der Protest nach Connewitz. Dort brannten zahlreiche Barrikaden an verschiedenen Orten, die teils mit Wasserwerfern gelöscht wurden. Mehrere hundert Vermummte lieferten sich in dem Stadtteil mit der Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel. Steine flogen auf die örtliche Polizeiwache an der Wiedebachpassage, herausgerissene Pflastersteine lagen herum. Laut Polizei wurden dabei zwei Beamte verletzt, die das Objekt bewachten. Die Polizei zog nach eigenen Angaben in der Gegend um das Connewitzer Kreuz mehrere Hundertschaften zusammen.
Brennende Barrikaden in Connewitz
In dem Stadtteil im Leipziger Süden sollte am Samstagnachmittag eigentlich die „Tag X“-Demo stattfinden. Die Stadt Leipzig hatte diese jedoch verboten, weil ein unfriedlicher Verlauf zu befürchten sei. Mehrere Gerichte bestätigten die Verbote.
Bereits am Freitagabend hatte es in Connewitz Randale gegeben. Vermummte hatten Polizisten angegriffen. Nach dem zunächst friedlichen Verlauf einer Versammlung am Wiedebachplatz im Stadtteil Connewitz wurden aus einer Menge von bis zu 700 Vermummten heraus Steine geworfen und Pyrotechnik gezündet. Sowohl dort als auch in Nebenstraßen brannten Barrikaden aus Mülltonnen und Baustellenabsperrungen. Die Polizei setzte Tränengas ein und wurde nach eigenen Angaben von Hausdächern mit Gegenständen beworfen.
Die meisten brennenden Barrikaden waren kurz nach Mitternacht gelöscht, teils mit Hilfe von Wasserwerfern. Nach ersten Erkenntnissen wurden 23 Beamte verletzt. Einer von ihnen wurde im Krankenhaus behandelt. Ein Journalist wurde den Angaben zufolge von einer unbekannten Person attackiert und leicht verletzt. 17 Einsatzfahrzeuge der Polizei wurden beschädigt. Acht Fahrzeuge waren in Brand gesetzt worden, darunter auch Autos von Anwohnern, hieß es. An einer Bankfiliale wurde Schaden „in hoher fünfstelliger Summe“ verursacht, wie die Polizei mitteilte. Ermittelt wird unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs. Den Angaben zufolge wurden fünf Tatverdächtige festgenommen, drei Menschen kamen in Gewahrsam.
Ruhe am frühen Sonntagabend
Nach den jüngsten Krawallen ist es am Sonntagabend zunächst ruhig geblieben (Stand 21 Uhr). Einer dpa-Reporterin zufolge versammelten sich am Alexis-Schumann-Platz und am Herderplatz im Stadtteil Connewitz zwar einige Menschen. Zu einer Kundgebung kam es aber nicht. Zuvor hatte die Stadt eine für Sonntagabend angemeldete Demonstration verboten.
Anmerkung der Redaktion: Aufgrund eines Redigierfehlers hatte es in einer früheren Version „Brennende Fassaden“ in der Überschrift geheißen. Richtig ist, dass Barrikaden gebrannt haben. Wir haben den Fehler korrigiert.