Vor Urteil in Leipzig Wie das Töten von jährlich 45 Millionen männlichen Küken verhindert werden könnte

Leipzig · Das massenhafte Töten von männlichen Küken in der Geflügelwirtschaft kommt am Donnerstag vor Gericht. Dann spricht das Bundesverwaltungsgericht ein mit Spannung erwartetes Urteil: Ist das Kükentöten mit dem Tierschutz vereinbar? Wir zeigen Alternativen auf.

Ein männliches Hühner-Küken sitzt auf einer Hand (Archivfoto).

Ein männliches Hühner-Küken sitzt auf einer Hand (Archivfoto).

Foto: dpa/Peter Endig

Das höchste deutsche Verwaltungsgericht in Leipzig muss darüber entscheiden, ob die in den deutschen Brütereien weit verbreitete Praxis mit dem Tierschutz vereinbar ist. Ein Überblick über den Rechtsstreit, die Gründe für diese Praxis und mögliche Alternativen.

  • Warum werden männliche Küken getötet? Männliche Eintagsküken aus Legehennenrassen werden in der Regel vergast, weil sie keine Eier legen und zu wenig Fleisch ansetzen. Die Agrarbranche hat also schlicht keine Verwendung für sie. Die Unternehmen sehen derzeit wirtschaftlich keine andere Möglichkeit. Rund 45 Millionen männliche Küken werden deshalb jedes Jahr in Deutschland getötet. Ein Verbot des Kükentötens ohne Alternative würde dem Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft zufolge „mittelfristig zu erheblichen Lücken“ bei der Versorgung mit Eiern führen. Die Branche will demnach aus dem „aktuell weltweit praktizierten Kükentöten“ aussteigen, „sobald eine praxistaugliche Alternative vorliegt“.
  • Warum verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über das Kükentöten? Das damals noch von den Grünen geführte Landwirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen wies die örtlichen Behörden im Jahr 2013 an, die Tötung der männlichen Eintagsküken zu untersagen. Dagegen klagten Unternehmen - mit Erfolg. Im Mai 2016 entschied das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen in Münster im Berufungsverfahren, dass das Töten von Eintagsküken mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sei. Nun muss das Bundesverwaltungsgericht im Revisionsverfahren abschließend entscheiden.
  • Was ist der Knackpunkt in dem Rechtsstreit? Die Verwaltungsrichter müssen vor allem die Frage klären, ob es im Sinne des Tierschutzgesetzes einen „vernünftigen Grund“ für eine solche Praxis gibt. Im maßgeblichen Paragrafen eins des Gesetzes heißt es: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Dabei geht es vor allem darum, inwieweit wirtschaftliche Interessen bei dieser Abwägung berücksichtigt werden können. Das Oberverwaltungsgericht sah einen solchen Grund darin, dass die Aufzucht der männlichen Küken im Widerspruch zum Stand der Hühnerzucht und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stehe. Aufgezogene männliche Küken seien für die Unternehmen praktisch nicht zu vermarkten. Eine entscheidende Rolle dürfte auch spielen, dass der Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist. Mit Spannung wird erwartet, wie die Richter die Bedeutung dieses Grundgesetzartikels 20a mit Blick auf den massenhaften Kükentod in deutschen Brütereien bewerten.
  • Welche Alternativen gibt es zum Kükentöten? Gearbeitet wird derzeit unter anderem an Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Brutei. Dadurch sollen männliche Küken gar nicht erst ausgebrütet werden. Das funktioniert, indem aus jedem Ei durch ein winziges Loch etwas Flüssigkeit genommen wird, ohne das Ei-Innere zu berühren. Mit den Proben lässt sich das Geschlecht nachweisen. Doch das Verfahren ist umstritten. Fraglich ist etwa, wann Embryos ein Schmerzempfinden haben. Ausgeschlossen wird dies derzeit nur vor dem siebten Bruttag. Der Deutsche Tierschutzbund lehnt deshalb jede Methode ab, die nach dem sechsten Bruttag angewendet wird. Bei dem derzeit bekanntesten Ansatz - dem sogenannten Seleggt-Verfahren - wird das Geschlecht aber erst zwischen dem achten und zehnten Bruttag bestimmt. Für Tierschützer gilt eine Abkehr von der spezialisierten Zucht und eine Rückkehr zu sogenannten Zweinutzungshühnern als deutlich bessere Alternative. Dabei legen die Hennen Eier, während die Hähne gemästet werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium weist aber darauf hin, dass die Hennen weniger und teilweise kleinere Eier legten und Hähne dieser Rassen langsamer wüchsen.
  • Was können Verbraucher jetzt schon tun? Eine dritte Alternative ist die Aufzucht männlicher Küken. Dies geschieht im Rahmen sogenannter Bruderhahn-Initiativen. Laut Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ist das Prinzip dabei immer gleich: Der Eier-Preis beinhaltet einen Aufschlag, mit dem die teure Mast der Legehennen-Brüder quersubventioniert werden. Entsprechende Initiativen gibt es bundesweit, aber auch regional. Entsprechende Eier in Niedersachsen kosteten bei einem Verbraucherzentrale-Check in Niedersachsen zwischen 3 und 28 Cent mehr pro Stück. Die Verbraucherzentrale NRW bietet einen Überblick über Alternativen beim Eierkauf.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Entscheidung falle in Karlsruhe. Richtig ist aber natürlich Leipzig, denn dort hat das Bundesverwaltungsgericht seinen Sitz und dort wird auch geurteilt. In Karlsruhe ist dagegen das Bundesverfassungsgericht ansässig. Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

(hebu/AFP/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort