Kommentar zum „Spiegel“-Skandal Der Fall Relotius und die Folgen

Meinung | Düsseldorf · Der Skandal um den „Spiegel“-Reporter Claas Relotius ist nicht nur ein Fall für den Verlag selbst, sondern ein Thema für uns alle. Ein Kommentar unseres Chefredakteurs.

 Das Verlagsgebäude des Spiegel-Verlags am Rande der Hafencity in Hamburg (Archivfoto).

Das Verlagsgebäude des Spiegel-Verlags am Rande der Hafencity in Hamburg (Archivfoto).

Foto: dpa/Christian Charisius

Dass ein Reporter des wichtigsten Nachrichtenmagazins der Republik über Jahre unerkannt Geschichten fälscht und dafür auch noch mit Preisen überhäuft wird, ist der GAU für eine Zunft, die längst auch mitten im Bürgertum mit dem Vorwurf der tendenziösen und einseitigen Berichterstattung, schlimmer noch: mit dem Vorwurf der Lügenpresse konfrontiert wird.

Die Verantwortlichen beim Spiegel gehen schonungslos, umfassend und transparent an die Aufklärung, was Respekt abnötigt. Kriminelle Energie gibt es überall, Betrüger auch. Man kann den Menschen nicht hinter die Stirn gucken. Die Branche muss diesen Vorfall trotzdem als  Mahnung begreifen, um ihre Qualitäts- und Sicherungsmechanismen zu überprüfen. Das können wir mit Selbstbewusstsein tun, weil unsere Tätigkeit eben eine besondere in einer freiheitlichen Demokratie ist und Tausende Journalisten dieser Verantwortung auch durch akkurates und gewissenhaftes Recherchieren, Schreiben und Senden gerecht werden.

Aber eben auch mit Selbstreflexion. Der Drang nach schnellen Erfolgen, der vermeintlichen Exklusivität der Geschichten und der immense Druck einer Branche, die Journalisten zusehends als Botschafter ihrer eigenen Marken begreift, verschiebt die Prioritäten in eine gefährliche Richtung. Das Ego darf nicht das Ergebnis beeinflussen. Die glänzende Formulierung ist keine Alternative zum tatsächlich Erlebten. Journalismus ist das Gegenteil von Belletristik, nicht der literarische Bruder im Geiste.

Journalisten sammeln nach klar definierten handwerklichen Methoden Informationen und verarbeiten diese. Wir haben nicht die Wahrheit gepachtet, wollen aber der Wahrheit in jeder Geschichte möglichst nahe kommen. Wir sind Handwerker des Erzählens, keine Erfinder. Schon die erlogene vermeintliche Kleinigkeit beim szenischen Einstieg in die Reportage kann großen Schaden anrichten. Wie bringen wir es unseren Kindern bei? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Der Journalismus kann nur wirken, wenn er glaubwürdig ist. Vielleicht ist der Fall Relotius im Rückblick deshalb sogar heilsam für die Branche. Wir sollten uns auf unser Handwerk besinnen!

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