Wunsch nach Abstand bedeutet nicht weniger Interesse Junge Liebe braucht auch Freiheit

Wuppertal/Berlin (rpo). Wenn die Liebe noch ganz jung ist, wollen viele Jungen und Mädchen das Gefühl festhalten. Manchmal allerdings auch den Partner. Die Gefahr des Einengens besteht und plötzlich möchte einer in der Beziehung mehr Freiheiten haben. Der andere ist dann meistens geschockt.

 Zweisamkeit ist schön, aber zu viel Nähe kann auf Dauer einer Beziehung auch schaden.

Zweisamkeit ist schön, aber zu viel Nähe kann auf Dauer einer Beziehung auch schaden.

Foto: Jens Schierenbeck, gms

Oftmals fürchtet der Partner, es sei alles vorbei. In den meisten Fällen ist das unbegründet. Hat der Wunsch nach Abstand aber doch etwas mit schwindendem Interesse zu tun, sollte der freiheitsliebende Partner ihn nicht ausnutzen, um die Beziehung langsam einschlafen zu lassen.

Die richtige Balance zwischen Nähe und Abstand, Verbindlichkeit und Freiheit: Sie gehört zu den Grundvoraussetzungen einer Liebe, egal ob in jungen Jahren oder später. Wird diese Balance gestört, gerät auch die Beziehung selbst aus dem Gleichgewicht. "Die Liebe wird förmlich zur Fessel", umschreibt Reinhold Ruthe, Psychotherapeut aus Wuppertal das Problem.

Wenn es um Beziehungen geht, unterscheidet Ruthe Menschen grob in zwei Typen: "Da ist zunächst der nähebedürftige Typ, der ständig Kontakt mit anderen Menschen braucht und familiär veranlagt ist." Die Mitglieder der zweiten Gruppe, die Distanzierten, kämen jeweils gut mit sich allein zurecht und hätten schon in der Kindheit weniger Spielkameraden gebraucht. Mögliche Folgen: "Die einen werden extrem beziehungsabhängig, die anderen eher Einzelgänger."

Keinen Druck ausüben

Fordert einer von zwei Liebespartnern plötzlich mehr Abstand, darf der andere das laut Frank Naumann nicht als Anfall von Lieblosigkeit verstehen. "Auch eine persönliche Beleidigung will das Gegenüber damit sicher nicht aussprechen", erklärt der Psychologe aus Berlin. Vielmehr stecke in den meisten Fällen der Wunsch nach mehr Zeit und Raum für die eigenen Interessen dahinter.

Wichtig ist es auf jeden Fall, den Partner nicht unter Druck zu setzen. Sätze wie "Wenn Du mich wirklich lieben würdest, dann..." erzeugen meist nur das Gegenteil. "So gern man dem Freund oder der Freundin auf diese Weise ein schlechtes Gewissen machen möchte - es funktioniert nicht. Dann geht das Gegenüber erst recht auf Distanz", verdeutlicht Frank Naumann.

Sinnvoller ist es nach Ansicht des Psychologen, wenn sich der möglicherweise zu sehr klammernde Partner selbst eigene Freiheiten schafft. Wer selbst ein Hobby hat, das ihm Spaß macht, wird schnell merken, dass ein wenig Abstand zum Partner eine gute Sache sein kann. "Lässt der eine dem anderen diese Form der Freiheit, schafft das Vertrauen und stärkt so die Beziehung", sagt Naumann.

Grundsätzlich sollten sich Liebende nach Ansicht von Reinhold Ruthe über eines im Klaren sein: "Wer denkt, alles mit dem Partner teilen und erleben zu müssen, der hat die Liebe missverstanden." Denn trotz aller Bindung in einer Partnerschaft bleibe jeder Mensch ein Individuum mit seinen speziellen Wünschen und Bedürfnissen. "Sobald man sich nur noch auf seinen Partner konzentriert, wird das gesamte Lebenskonzept verschoben", sagt auch Ruthe.

Für Andreas Engel, Psychologe aus Hof (Bayern), ist darum eines klar: "Man sollte ganz offen und ehrlich auf seinen Partner zugehen und um Freiheiten bitten." Der Kontakt zu Freunden und den Kumpels aus dem Sportverein oder auch das Zurückziehen in die eigenen vier Wände sei wichtig. "Nur wenn man diese Offenheit zulässt, gewinnt die Liebe an Bedeutung."

Zu viel Nähe führt zu Ablehnung

Aber wie viel Freiheit und wie viel Zusammensein sind nun richtig? Eine Regel dafür festzulegen, ist nach Reinhold Ruthes Worten schwer. "Eine Beziehung, bei der sich die Liebenden jeden Tag sehen, halte ich aber für bedenklich. Irgendwann kommt der Punkt, an dem das einer der Partner nicht mehr mitmacht." Und auch Frank Naumann ist der Auffassung, dass zu viel Nähe auf Dauer zu Ablehnung führt.

Die Gefahr, dass der Partner die gewonnene Freiheit nutzt, um sich nach einer nach einer neuen Liebe umzuschauen, halten die Experten für nicht allzu groß - ausgeschlossen ist sie aber nicht. In manchen Fällen könne der Versuch durchaus nahe liegen, sagt Christine Flinks von der Beratungsstelle von Pro Familia in Potsdam. "Das kommt immer auf die Beziehung an."

Jungen und Mädchen, die allerdings tatsächlich nur deshalb mehr Freiheiten haben wollen, weil sie mit ihren Beziehung nicht mehr zufrieden sind, rät Flinks zu Fairness dem Partner gegenüber. "Ist die Partnerschaft wirklich am Ende, hilft nur das klare Gespräch. So hat der andere eine Chance, sich darauf einzustellen." Wer sich davor drücke und versuche, die Bezienung langsam zum Einschlafen zu bringen, betrüge sowohl den anderen als auch sich selbst.

(gms)
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