U-Bahn-Schläger vor Gericht Junge Gangster - milde Richter

Köln (RP). Heute stehen in München der 20-jährige Serkan A. und der 17-jährige Spyridon L. vor Gericht. Die beiden haben einen 76-Jährigen in der U-Bahn brutal zusammengeschlagen und -getreten. Die Anklage lautet auf gemeinschaftlichen versuchten Mord. Es ist unwahrscheinlich, dass sie mit einem ähnlich milden Urteil davonkommen wie der Kölner Deutsch-Türke Edinc S.

Jugendgewalt 2008: Was an einem Tag passiert
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Jugendgewalt 2008: Was an einem Tag passiert

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Foto: AP

Der in der Intensivtäter-Kartei geführte Jugendliche hatte als 17-Jähriger im vergangenen Jahr den 44-jährigen Familienvater Waldemar W. vor den Augen seiner Stiefkinder so heftig geschlagen, dass W. einen Monat lang im Koma lag und für sein Leben lang gezeichnet bleiben wird.

Aber die Richter des Kölner Jugendschöffengerichts ließen S. trotz erwiesener Schuld ohne Strafe davonkommen. Ein Gerichtssprecher sagte, S. habe "die Provokation nicht gesucht, sondern so, wie es im Milieu üblich ist, adäquat gehandelt." Erdinc muss lediglich ein Anti-Aggressionstraining absolvieren. Fällt er in den nächsten zwei Jahren nicht mehr auf, bleibt S. straffrei. Die Staatsanwaltschaft, die dreieinhalb Jahre Jugendstrafe gefordert hatte, ist in Berufung gegangen.

Dem Kölner Urteil folgte eine Welle der Empörung. Zeitungen veröffentlichten ein Bild des Vorsitzenden Richters, Hans-Werner Riehe, der in Köln den Spitznamen "Richter Butterweich" trägt. Das führte zu einer ungewöhnlichen Solidaritätsaktion. Alle sieben Jugendrichter des Kölner Amtsgerichts stellten sich an die Seite des Verdi-Mitglieds Riehe und verwahrten sich in einem offenen Brief gegen Kritik an seinem Urteil.

Die Kölner Richter gelten landesweit als besonders liberal. Auch der Kölner Kriminologe Michael Walter sieht in den Urteil Riehes eine korrekte Anwendung des Jugendstrafrechts. "Schuldvergeltung kommt nur dann zur Anwendung, wenn wegen der besonderen Schwere der Schuld keine andere Möglichkeit besteht", stellt der Professor fest. Erziehung gehe bei jugendlichen Angeklagten vor Strafe. Die Kölner Staatsanwaltschaft dagegen, die S. ins Gefängnis schicken wollte, sei von der gegenwärtigen politischen Großwetterlage beeinflusst. Walter: "Die sollen im Augenblick eine harte Linie fahren."

Aber sendet ein derart mildes Urteil nicht ein verheerendes Signal aus? Richter Riehe hielt dem Angeklagten zugute, dass er inzwischen eine Freundin habe, die ein Kind von ihm erwartet. Könnten andere Gewalttäter solxh ein Wohlwollen nicht als Freibrief sehen? Walter betont, dass dieser Gesichtspunkt im Jugendstrafrecht keine Bedeutung habe. Der Richter müsse bei seiner Entscheidung verdeutlichen, dass es auf die individuelle Kriminalitätsverhütung ankomme. Der Aspekt, ob ein Urteil abschreckend wirke (Generalprävention), stammt aus dem Erwachsenenstrafrecht. Würde ein Richter ihn in seine Urteilsbegründung aufnehmen, wäre das ein Revisionsgrund.

Hans-Jürgen Hülsbeck, Landesbeauftragter für Jugendkriminalität im Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK), hält S. dagegen für einen klassischen Intensivtäter: "Da hätte man schon viel früher ein Zeichen setzen müssen", fordert er. Eine Strafaussetzung oder Bewährung werde von vielen gar nicht verstanden: "Die haben dann nur das Gefühl: ,Mir ist nichts passiert.'"

Während die Gesamtkriminalität konstant bleibt und zum Teil sogar rückläufig ist, stieg der Anteil der unter 21 Jahre alten Gewalttäter von 44,5 Prozent im Jahr 2006 auf 46,1 Prozent 2007. Wie kann man kriminelle Karrieren effektiv stoppen? "Dazu muss man das soziale Umfeld eines Jugendlichen genau kennen", sagt Hilde Benninghoff-Giese, Leiterin des Heims "Ausblick" in Bedburg-Hau für jugendliche Straftäter: "Die Justiz kann diese Aufgabe in der Regel nicht erfüllen." Eine Gefängnisstrafe sieht sie nur in Ausnahmefällen als beste Lösung an: "Sicher gibt es auch Jugendliche, die eingesperrt werden müssen, weil sie eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, aber die Rückfallquote ist in Jugendgefängnissen viel höher als in Einrichtungen der Jugendhilfe."

Auch Kriminalist Hülsbeck plädiert nicht fürs Wegsperren, wohl aber für schnelle und spürbare Sanktionen. "Warum nicht auch für Gewalttäter das Prinzip ,Therapie statt Strafe'?", fragt er. Jugendliche hätten dann die Möglichkeit, einen Teil ihrer Gefängnisstrafe zunächst in einer Jugendhilfeeinrichtung zu verbüßen, in der intensiv mit ihnen gearbeitet wird. "Bewähren sie sich dort, könnte man ihnen das Gefängnis erlassen."

Das Gesetz ist in allen Bundesländern dasselbe. Dennoch wird es unterschiedlich angewendet. So haben, wie Juristen und Polizisten hinter vorgehaltener Hand bestätigen, junge Täter in Köln bessere Chancen, mit einem milden Urteil davonzukommen, als etwa im benachbarten Opladen. "Zudem gibt es in Deutschland ein deutliches Nord-Südgefälle", sagt Hülsbeck: "Ein Urteil wie das gegen Erdinc S. wäre in München unvorstellbar."

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