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Düsseldorf Das "tapfere Schneiderlein" bleibt frei

Düsseldorf · Jürgen Schneider, der in den 90er Jahren als krimineller Baulöwe berühmt wurde, muss nicht wieder vor Gericht. Der 81-Jährige, der wegen Betrugs angeklagt war, ist wegen mehrerer Erkrankungen nicht mehr verhandlungsfähig.

Jürgen Schneider - Das "tapfere Schneiderlein" bleibt frei
Foto: dpa

Ein Mann, 81 Jahre alt, wegen Betrugs angeklagt, wegen mehrerer Erkrankungen aber für verhandlungsunfähig erklärt. Prozess zu Ende. Was das öffentliche Interesse angeht, klingt das wie ein Bagatellfall, über den man nicht viele Worte verlieren muss.

Aber kann. Denn der Mann, dem mehrere medizinische Gutachter mangelnde Verhandlungsfähigkeit attestiert haben, heißt Jürgen Schneider. Klingelt da was? Genau. Jürgen Schneider, das ist der Mann, den mancher sozusagen in memoriam Robin Hood als "tapferes Schneiderlein" adelte, der die große Deutsche Bank in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufs Kreuz legte und Deutschlands größtem Geldhaus Hohn und Spott einbrachte. Nüchternere Zeitgenossen verloren darüber allerdings auch niemals den Blick dafür, dass Schneider ein Verbrecher war, ein Betrüger, der andere hinters Licht führte und sich, als die Luft für ihn immer dünner wurde, mit seiner Frau ins sonnige Florida absetzte.

Jetzt sollte Schneider wieder vor Gericht gestellt werden. Er soll 2008 und 2009 potenziellen Geschäftspartnern vorgegaukelt haben, er wolle mit Millionensummen aus dem von ihm verwalteten Vermögen seiner Frau große Investments starten. Das Geld dafür habe er gar nicht gehabt, heißt es, stattdessen habe er von denen, die Darlehen erhalten sollten, Sicherheiten verlangt. Dreimal wurde brav gezahlt. Geschätzter Gesamtschaden: 108 000 Euro.

Das sind natürlich Peanuts im Vergleich zu den 5,4 Milliarden Mark, die Schneider bei seiner Pleite in den 90er Jahren an Bankschulden hinterließ. Womit wir den Schaden nicht kleinreden wollen, aber er ändert nichts daran, dass Schneider offenbar zu krank für ein Strafverfahren ist. Eine Besserung seines Gesundheitszustandes sei nicht mehr zu erwarten, hat ein Gerichtssprecher gesagt. Und damit ist die Akte Schneider geschlossen.

Was bleibt, ist ein bisschen Unverständnis darüber, dass es in den 2000er-Jahren doch wieder Menschen gegeben hat, die Schneider Geld anvertrauten, ohne das zu hinterfragen, was man bei rechtsfreier Auslegung von Schneiders Gebaren als Geschäftsmodell bezeichnen könnte. Der soll mit Hilfe seiner Frau Firmenvertretern Millionenkredite angeboten haben, die er gar nicht gewähren konnte. Zu denen, die seine Forderungen nach Sicherheiten und Gebühren erfüllten, gehörte auch eine Spielbank. In drei Fällen blieb es beim Versuch. Schneiders Frau wurde am Ende nicht angeklagt.

Wenn das alles so gewesen sein sollte, ähnelt es frappierend dem Geschehen aus den 90er Jahren: Ein Mann nimmt Geld von Menschen für Projekte, die er gar nicht bewerkstelligen kann.

Rückblende: Am 18. Mai 1995 endet in Florida die Freiheit des Jürgen Schneider, der Ostern 1994 vor der Polizei und seinen Gläubigern aus Deutschland geflohen ist. In Miami ist es an diesem Donnerstag angenehm warm, wie immer eigentlich. In Deutschland erklärt Klaus Kinkel, dass er nicht mehr als FDP-Chef wiedergewählt werden will; Borussia Dortmund ist auf dem Weg zur ersten Fußball-Meisterschaft seit mehr als drei Jahrzehnten, und Robbie Williams singt noch gemeinsam mit seinen Kumpels aus der Boygroup Take That, die auf Platz eins der deutschen Charts steht. "Back for Good" heißt der Song, und er handelt von einem, der seine große Liebe furchtbar gern zurückhätte.

In deutschen Justiz- und Bankkreisen liebt niemand Jürgen Schneider, aber zurück hätten sie ihn trotzdem gern, um ihn zur Rechenschaft ziehen zu können und wenigstens einen Teil ihres Schadens ersetzt zu bekommen. Doch Schneiders Imperium ist längst zusammengebrochen, ein Konstrukt, bei dem er ein erfolgloses Großprojekt an das andere reiht und es mit immer neuen, immer größeren Bankkrediten finanzieren muss, um alles am Laufen zu halten. Allein für die Frankfurter Zeilgalerie hat ihm die Deutsche Bank umgerechnet mehr als 200 Millionen Euro geliehen. Dafür könnte man auch schon mal auf den unweit der Bank gelegenen Bauzaun schauen. Weil das aber niemand tut, entgeht den Sachbearbeitern des Kreditinstituts, dass die gesamte Fläche nur 9000 und nicht mehr als 20.000 Quadratmeter umfasst, wie im Kreditantrag steht. Dafür ernten die Manager nach dem Auffliegen des Skandals und im Strafprozess gegen Schneider Unverständnis. Der wird kurz vor Weihnachten 1997 zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, muss wegen Anrechnung der Untersuchungshaft aber nur noch gut zwei Jahre im Gefängnis verbringen. Er schreibt Bücher wie das mit dem Titel "Bekenntnisse eines Baulöwen", bei dem man sich unweigerlich an Thomas Manns Romanfigur "Felix Krull" erinnert fühlt; als Autor sonnt sich Schneider noch im bescheidenen Glanz einer kleinen Öffentlichkeit. Ansonsten entrückt Deutschlands berühmtester Immobilienbetrüger weitgehend der Wahrnehmung durch ein breites Publikum, das ihn erst wieder als Angeklagten in einem Strafprozess wahrnimmt - so, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Wer übrigens etwas über Schneider lesen will, kann das auf dessen Homepage tun. Da präsentiert sich Utz Jürgen Schneider, wie der Pleitier von einst mit vollem Namen heißt, als Möchtegern-Stadtführer in Leipzig, lässt die Öffentlichkeit an seinen Bekenntnissen teilhaben und präsentiert stolz große Projekte wie Mädlerpassage und Barthels Hof. Ja, Vergangenheitsbewältigung, das würde als Geschäftsmodell vielleicht tatsächlich taugen.

(RP)
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