Analyse Jüdisches Sportfest in Hitlers Sportpark

Berlin · Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet heute Abend die "European Maccabi Games" in Berlin. Die Veranstaltung ist von historischer Bedeutung für Deutschland und seine Juden: ein Sieg über die Geschichte.

Es ist das letzte Wort, das die Geschichte über das Hitler-Regime spricht: Im Olympiapark, wo der nationalsozialistische Diktator 1938 sein Regime feiern ließ, in Berlin, von wo der Holocaust ausging, starten morgen 2300 jüdische Sportler die europäischen Makkabi-Spiele, eine alle vier Jahre stattfindende Europa-Variante der jüdischen olympischen Spiele. Es war auch aus Sicht mancher jüdischer Sportfunktionäre ein Wagnis. Doch die Begeisterung im Vorfeld verdrängt die Skepsis. Die Premiere der Nachfahren der Opfer im Land der Täter ist ein gesellschaftliches und politisches Signal von historischer Bedeutung.

Wie sensibel das Vorhaben weltweit behandelt wird, zeigt bereits die Aufmerksamkeit, die den vorangegangenen European Maccabi Games (EMG) 2011 in Wien zuteil wurde - weil damit die Wettkämpfe jüdischer Sportler erstmals an einem Ort stattfanden, der zum Großdeutschen Reich gehört hatte. Und nun geht es mitten hinein nach Berlin. Das zeigt die Wucht, mit der die nachwachsende Generation jüdischer Sportfunktionäre mit den Beklemmungen der Geschichte aufräumen will.

Die vor zwei Jahren am Rande der zentralen Makkabi-Spiele in Israel getroffene Entscheidung war umstritten, und sie fiel auch nicht einstimmig. Für die Gegner kamen die EMG in Deutschland viel zu früh, jedenfalls solange Holocaust-Überlebende sich dadurch verletzt fühlen könnten. Die Befürworter argumentierten umgekehrt: Es sollten noch möglichst viele Holocaust-Überlebende genau das erleben - und diese Sichtweise setzte sich durch. So wird heute bei einer den eigentlichen Spielen vorgeschalteten Gedenkzeremonie im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen vor den Toren Berlins neben Justizminister Heiko Maas auch die Shoah-Überlebende Margot Friedlander zu den Besuchern sprechen.

Der Umbruch im Umgang mit Deutschland war optisch vor vier Jahren in Wien deutlich geworden, als die deutsche Nationalmannschaft erstmals nicht in traditionellen blau-weißen Trikots antrat, sondern sich bewusst für Schwarz-Rot-Gold entschied. Makkabi-Deutschland-Chef Alon Meyer sprüht regelrecht vor Begeisterung, wenn er als Signal dieser EMG in Berlin vorhersagt: "Wir werden deutlich zeigen, dass Juden in Deutschland eine Zukunft haben, dass hier jüdisches Leben pulsiert und wir nicht mehr Juden in Deutschland, sondern deutsche Juden sind."

Zwei Entwicklungen hatten seit der vorletzten Jahrhundertwende zum Entstehen der Makkabi-Bewegung beigetragen. Auf der einen Seite drängte der anschwellende Antisemitismus Juden aus bestehenden Sportvereinen hinaus. Auf der anderen Seite gewann eine national-zionistische Einstellung immer mehr Anhänger. Das Wort Makkabi knüpfte an die Erfolge der Makkabäer in ihrem Kampf gegen griechische Fremdherrschaft in Judäa an. Der erste deutsche Makkabi-Dachverband entstand 1903, die Weltsportunion 1921, und von da an sollte es regelmäßig Weltspiele geben - die Makkabiade war entstanden. 1929 kam in Prag die Europa-Variante hinzu. Die zweite Makkabiade im April 1935 war jedoch bereits die letzte vor dem Weltkrieg; die nächste folgte erst 1950.

1961 gründeten Heimkehrer den ursprünglich 1926 entstandenen Sportclub Maccabi Düsseldorf neu - er wurde zur Keimzelle für eine nationale Wiederbelebung: 1965 kam es ebenfalls in Düsseldorf zur Neugründung des deutschen Makkabi-Dachverbandes. Heute versammeln sich darunter rund 4000 Sportler in 37 Ortsvereinen. Sie legen Wert darauf, dass sie grundsätzlich für alle Religionen und Nationalitäten offen sind.

Ein Jahr nach dem blutigen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern mit schlimmen antisemitischen Slogans auch auf deutschen Straßen ("Hamas, Hamas - Juden ins Gas") spielt die Sicherheit für die 2300 Gäste und Hunderte von freiwilligen Helfern eine besondere Rolle. Schließlich waren es auch die Olympischen Spiele in Deutschland, bei denen palästinensische Terroristen 1972 einen Anschlag auf die israelische Mannschaft verübten. Die Berliner Polizei schweigt zu den Sicherheitsvorkehrungen. Der israelische Geheimdienst soll als Berater zur Verfügung stehen - möglicherweise auch mehr als das.

Aus Sicherheitsgründen platzte jedenfalls Meyers Traum, die Spiele heute Abend festlich-spektakulär am Brandenburger Tor zu eröffnen, also in direkter Beziehung zum benachbarten Holocaust-Mahnmal. Der Auftakt mit Bundespräsident Joachim Gauck wurde in die besser zu schützende Waldbühne verlegt - rückt damit zugleich aber auch schon näher an den Olympiapark heran.

Sicherheitsaspekten fällt zudem der erhoffte Charakter unbeschwerter Spiele zum Opfer. Die meisten Sportler sind im Hotel Estrel an der Sonnenallee in Neukölln untergebracht. Dieser Bezirk ist durch einen besonders hohen Anteil arabischer Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet. Zudem liegt die Al-Nur-Moschee nur 900 Meter entfernt und damit ein Ort, der als Anziehungspunkt für Islamisten gilt. Jugendlichen Teilnehmern wurde daher eine Ausgangssperre nahegelegt, allen anderen Sportlern empfohlen, auch in Gruppen beim Schlendern durch die Berliner Straßen auf Davidstern und Kippa zu verzichten.

Meyers Strategie - raus aus den Hinterhöfen, hin zu einer größtmöglichen Öffnung der Spiele - sind daher Grenzen gesetzt. Stattdessen versuchen es die Organisatoren mit viel Ironie. Überall im Stadtbild hängten sie Werbeplakate auf, um die Verankerung des Jiddischen im deutschen Sprachgebrauch aufzugreifen. In Berlin sei "die ganze Mischpoke am Start", ist auf diese Weise zu lesen, sei "die schnellste Ische Europas" zu erleben, und schließlich würden "bei Gold alle meschugge".

(may-)
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