Riesending-Schachthöhle Johann Westhauser: Happy End nach 274 Stunden unter der Erde

Berchtesgaden · Über elf Tage nach seinem Unfall in Deutschlands tiefster Höhle erblickt Forscher Johann Westhauser endlich wieder das Tageslicht. Die beispiellose Rettungsaktion findet ein gutes Ende. Ganz am Schluss gab es noch einmal eine Nervenprobe.

Johann Westhauser — Rettung nach 274 Stunden unter der Erde
Foto: dpa, nar wst

Stunde um Stunde warteten am Donnerstag oben am Höhleneingang in 1800 Metern Höhe Ärzte und Helfer, unten kämpften sich die Retter mit dem schwer verletzten Forscher Johann Westhauser Meter um Meter in Richtung Tageslicht. Um 11.44 Uhr kam dann die erlösende Nachricht: Westhauser ist gerettet - gut 274 Stunden nach seinem Unfall in der Riesending-Schachthöhle, tief in den Berchtesgadener Alpen.

Schon am späten Mittwochabend oder in der Nacht zum Donnerstag wollte der Trupp am Höhlenausgang ankommen, aber dann musste das Team doch noch eine längere Pause machen. "Nicht vor 7 Uhr" lautete in der Nacht die neue Prognose für die Ankunftszeit, am Morgen hieß es dann: "Im Laufe der nächsten Stunden".

Dabei war am Vortag alles viel schneller gegangen als gedacht - in der Einsatzzentrale sah man fast entspannte Gesichter, die Helfer waren zuversichtlich. Von Anfang an hatte die Bergwacht aber auch betont: Eine exakte Vorhersage für den Ablauf der Rettung sei nicht möglich. Der Zustand des Patienten, enge, verwinkelte Stellen, durch die die Helfer die Trage ziehen und schieben mussten - es gab einfach zu viele Unwägbarkeiten. Sehr vorsichtig und möglichst ohne Stöße musste der 52-Jährige nach oben gebracht werden.

Bei einem Steinschlag hatte ihn am Pfingstsonntag in 1000 Metern Tiefe ein Brocken am Kopf getroffen, der Helm konnte den heftigen Schlag nur dämpfen. Westhauser erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma - und hätte eigentlich sofort auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Doch bis der Transport aus der Tiefe beginnen konnte, vergingen Tage. Erst am vergangenen Freitag konnten die Helfer ihn auf eine Trage legen und starten. Sechs lange Tage waren sie mit ihm unterwegs.

Steinschlag ist nie ausgeschlossen

Westhausers Kopf war beim Transport geschützt, Bilder aus der Höhle zeigten ihn mit einem weißen Helm. Zwar bereiteten Dutzende Helfer den langen Weg nach oben bestens vor: Neue Seile wurden gezogen, Metallstifte als Tritte in den glitschigen Fels gebohrt, zusätzliche Haken gesetzt. Sie hielten Gischt aus Wasserfällen mit Planen ab, räumten loses Geröll weg. Aber Steinschlag ist nie ausgeschlossen.

Schon für einen gesunden, trainierten Höhlenkletterer ist der Weg schwierig. Videoaufnahmen aus der Höhle zeigten, wie die Trage zwischen Felsen aus einem engen Spalt auftauchte. Dann wieder wurde sie frei schwebend an Seilen über einen dunklen Abgrund gezogen.

Rund 15 Helfer und mindestens ein Arzt stellten den Bergungstrupp um Westhauser. Sie bedienten ein für den Laien unübersichtliches Gewirr unter anderem aus Seilen und Karabinern. Italienische, deutsche und englische Befehle schallten durch die Höhle. Obwohl unterschiedliche Nationalitäten zusammenarbeiteten, klappte die Arbeit, als hätten die Retter eine solche Aktion schon lange vorher eingeübt. Viele kennen sich - der Kreis extremer Höhlenkletterer und -forscher ist klein.

Es war eine beispiellose Hilfsaktion. "Vergessen Sie alles, was Sie bei Rettungseinsätzen je erlebt haben", hatte der Höhlenretter Norbert Rosenberger schon zu Beginn gesagt. Binnen kürzester Zeit, teils schon einen Tag nach dem Unglück, reisten Teams aus verschiedenen Ländern an: Deutsche und Österreicher, dann Schweizer und Italiener. Am Schluss stießen Retter aus Kroatien dazu. Europaweit gibt es nur wenige Höhlenretter, die dieser Höhle gewachsen sind. Ein Land alleine hätte gar nicht genügend Einsatzkräfte gehabt. Viele Helfer nahmen Urlaub oder ließen sich von ihren Arbeitgebern freistellen - viele arbeiteten ehrenamtlich.

Einige spezialisierte Ärzte aus mehreren Ländern reisten an. Bis ein Mediziner zu dem Verletzten vordringen konnte, vergingen vier Tage. Aber erst Medikamente machten den Transport möglich - denn bei einem solchen Unfall droht unter anderem eine Hirnschwellung.

Die letzte Etappe ist noch einmal haarig

Die letzte Etappe hatte es noch einmal in sich. Etwa 180 Meter mussten die Retter die Trage an Seilen frei schwebend nach oben ziehen. Ohne Pause. Die war in dieser Passage nicht möglich. Nur mit Muskelkraft, der Einsatz einer Motorseilwinde war zu gefährlich. Retter hängten sich als Gegengewichte ins Seil und zogen die rund 100 Kilo schwere Trage nach oben. Pendelzug nennt sich die Methode.

Nach der Ankunft war die Medizin an der Reihe. Zuerst wurde Westhauser oben am Berg in einer mobilen notfallmedizinischen Station behandelt. In welches Krankenhaus er gebracht werden sollte, war zunächst unklar. Er kommt wohl erst einmal auf eine Intensivstation: Endlich können Ärzte dann Röntgenbilder und eine Computertomografie machen, um zu sehen, was genau mit seinem Kopf geschah. Dann beginnt für Westhauser der lange Weg der Genesung.

(dpa)
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