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Günther Beckstein fällt durch Irmgard Schwaetzer ist neue Präses der EKD-Synode

Düsseldorf · Wie schwierig und schmerzhaft im deutschen Protestantismus die Meinungsbildung oft ist, hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Sonntag in Düsseldorf schmerzlich erfahren – und selbst vorgeführt. Im Mittelpunkt standen eine Sach- und eine Personalfrage: der Streit um die "Orientierungshilfe" der EKD zum Thema Ehe und Familie und die Wahl eines neuen Präses, also eines Vorsitzenden des 126-köpfigen Kirchenparlaments.

 Die ehemalige Bundesbauministerin und FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer (71) ist neue Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Die ehemalige Bundesbauministerin und FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer (71) ist neue Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Foto: dpa, Paul Zinken

Wie schwierig und schmerzhaft im deutschen Protestantismus die Meinungsbildung oft ist, hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Sonntag in Düsseldorf schmerzlich erfahren — und selbst vorgeführt. Im Mittelpunkt standen eine Sach- und eine Personalfrage: der Streit um die "Orientierungshilfe" der EKD zum Thema Ehe und Familie und die Wahl eines neuen Präses, also eines Vorsitzenden des 126-köpfigen Kirchenparlaments.

Die Kontroverse um das 160 Seiten starke Familienpapier ist so alt wie das Papier selbst: Seit seiner Veröffentlichung im Juni hat der Rat, in dessen Auftrag die Schrift entstanden ist, jede Menge Kritik einstecken müssen. Man gebe das traditionelle Leitbild der Ehe auf, war der Kernpunkt der meisten Angriffe vor allem aus dem konservativen Spektrum der evangelischen Kirche — denn die "Orientierungshilfe" fordert unter anderem mehr Akzeptanz für neue Formen des Zusammenlebens; sie nennt Alleinerziehende, Patchworkfamilien und homosexuelle Lebensgemeinschaften. Außerdem sei die theologische Fundierung des Papiers zu schwach.

Einwände dieser Art waren auch in Düsseldorf zu hören. "Ich kann mich an keine theologisch so dünne Positionierung erinnern", sagte etwa der württembergische Synodale Volker Teich. Das Familienpapier habe auch in weiten Teilen der bürgerlichen Mitte zu Desorientierung geführt und einen Vertrauensverlust hervorgerufen. Andere Synodale vermissten Stellungnahmen zur Sexualität und kritisierten, die "Orientierungshilfe" folge zu sehr dem Zeitgeist und eher den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als der Bibel. Es gab aber auch nachdrückliche Unterstützung für das Familienpapier.

 Die scheidende Vorsitzende der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckard (Grüne) erhält von ihrem Vertreter Günther Beckstein (CSU) ein Bild als Abschiedsgeschenk.

Die scheidende Vorsitzende der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckard (Grüne) erhält von ihrem Vertreter Günther Beckstein (CSU) ein Bild als Abschiedsgeschenk.

Foto: dpa, Henning Kaiser

Zuvor hatte der Ratsvorsitzende, der ehemalige rheinische Präses Nikolaus Schneider, das Papier grundsätzlich verteidigt. Schneider legte den Akzent seines Ratsberichts auf die Frage, wie wörtlich die Bibel auszulegen ist. Dabei positionierte er sich klar: "Der bloße Verweis auf den Wortlaut der Bibel ist kein hinreichendes Argument, um theologische Fragen zu klären." Sonst bestehe die Gefahr, "dass wir historische Gegebenheiten der damaligen Umwelt als Gottes geoffenbartes Wort missverstehen". Schneiders Fazit: "Es hat keinen Sinn, sich in der Auseinandersetzung um die Orientierungshilfe auf einzelne Bibelstellen zu berufen, ohne zu reflektieren, was damals konkret gemeint war." Eine solche Auslegungsarbeit sei Kern der evangelischen Theologie.

Schneider: "Nochmal selbstkritisch rangehen"

Erneut trat Schneider der Meinung entgegen, das Familienpapier bedeute eine Abwertung der traditionellen Ehe: "Ich bin überzeugt, dass Ehe und Familie ein Leitbild ist und bleibt." Er räumte allerdings ein, "dass der Rat dem Bedürfnis nach einer theologischen Klärung des Leitbildes Ehe hätte nachkommen sollen". Das Familienpapier habe "in einigen Teilen unsere eigene Verkündigung im Verhältnis zur Bibel zu pauschal reflektiert". Die Aufgabe einer theologischen Ausarbeitung des protestantischen Eheverständnisses soll nun eine weitere Schrift übernehmen. "Wir wollen da noch mal selbstkritisch rangehen", versprach Schneider.

Eine für viele Synodale unliebsame Überraschung gab es dann bei der Präseswahl. Die Neubesetzung war nötig geworden, weil die bisherige Amtsinhaberin Katrin Göring-Eckardt jetzt Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion ist. Der eigentliche Favorit, der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), fiel in zwei Wahlgängen durch und zog daraufhin seine Kandidatur zurück.

Gegen Beckstein sprachen, wie aus dem Kirchenparlament zu hören war, offenbar mehrere Gründe. Ohnehin war klar, dass sich zwischen der eher rot-grün gefärbten Synode und dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Mitglied Beckstein politisch einige Reibungsflächen ergeben würden. Zudem hatte Beckstein sich dem Vernehmen nach intern schroff gegen das Familienpapier ausgesprochen — und vor wenigen Tagen noch eine restriktive Flüchtlingspolitik gefordert, weil "die Aufnahme auch in die deutschen Sozialsysteme uns sehr bald überfordern" würde. Ausgerechnet das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer aber ist ein Thema, das den Synodalen die Herzen besonders schwer macht.

Schwaetzer als einzig übrig gebliebene Kandidatin

Und schließlich hatte Beckstein sich auch noch bei den Anhängern einer sozialethisch und tagespolitisch engagierten evangelischen Kirche in die Nesseln gesetzt, als er in Düsseldorf sagte, man brauche "lutherische Theologie in der EKD und nicht nur Gundlach-Theologie". Thies Gundlach ist Vizepräsident des Kirchenamts der EKD. Beckstein entschuldigte sich zwar für den Satz.

Die Sympathien für ihn waren aber offensichtlich so weit erkaltet, dass er sich in zwei Wahlgängen nicht einmal gegen die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Brigitte Boehme durchsetzen konnte, eine 73-jährige frühere Richterin und bremische Kirchenpräsidentin.

Am späten Abend zog schließlich auch Boehme ihre Kandidatur zurück; einzige Kandidatin für den dritten Wahlgang wurde die ehemalige Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer. Schwaetzer sagte, sie kandidiere "aus vollem Herzen", damit die Synode "mit Würde und möglichst geschlossen" zum Ende geführt werden könne. Mit 91 von 115 Stimmen wurde die 71-Jährige zur neuen Vorsitzenden gewählt. Ihre Amtszeit läuft bis zum Frühjahr 2015.

Die studierte Pharmazeutin Schwaetzer saß von 1980 bis 2002 im Deutschen Bundestag. Sie war von 1987 bis 1991 Staatsministerin im Auswärtigen Amt und von 1991 bis 1994 Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

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