Mordfall Lena in Emden Innenminister: Polizeipanne hat Konsequenzen

Berlin · Kopfschütteln bei Experten, harte Fragen aus der Politik: Die Polizei steht wegen Ermittlungspannen zum Mord an der elfjährigen Lena in der Kritik. Der mutmaßliche Täter war bereits im November zur Polizei gegangen und hatte auf seine krankhaften Neigungen hingewiesen.

Fall Lena: Chronologie der Ereignisse
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Foto: dpa, Carmen Jaspersen

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat nach der schweren Ermittlungspanne vor dem Mord an der elfjährigen Lena in Emden Konsequenzen angekündigt. "Dass das nicht ohne Folgen bleiben kann, ist für mich klar", sagte Schünemann im ZDF-"Morgenmagazin" am Mittwoch. Jetzt müssten die polizeiinternen Ermittlungen schonungslos geführt werden.

"Es muss lückenlos aufgeklärt werden, warum es offensichtlich bei der Polizeiinspektion Aurich/Wittmund nach der Einleitung eines Verfahrens zu einer schleppenden Sachbearbeitung durch einzelne Ermittlungsbeamte gekommen ist", sagte Schünemann.

"Nachdem es der Mordkommission in Emden in kurzer Zeit gelungen ist, den mutmaßlichen Täter zu ermitteln, macht es mich jetzt umso betroffener, dass unmittelbar nach diesem Fahndungserfolg im Hinblick auf weitere Tatvorwürfe Versäumnisse festgestellt wurden", sagte Niedersachens Innenminister weiter.

Selbstanzeige des Täters

Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), forderte am Mittwoch ebenfalls eine genaue Aufklärung der Versäumnisse. Die Polizei hatte am Dienstag eingeräumt, dass der geständige Tatverdächtige sich im November wegen pädophiler Neigungen selbst angezeigt hatte, ein Durchsuchungsbefehl gegen ihn aber nicht umgesetzt worden sei. Uhl sagte, der Durchsuchungsbeschluss hätte von der Polizei unverzüglich umgesetzt werden müssen.

"Das kinderpornografische Material auf seinem Computer hätte sichergestellt werden müssen. Komplizen und Kontaktpersonen hätten ermittelt werden müssen", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Es muss minutiös aufgeklärt werden, was die Polizei in dem Vierteljahr seit der Selbstanzeige getan hat, oder ob sie geschlampt hat."

Polizeigewerkschaft warnt vor Gerüchten

Der GdP-Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut sagte am Dienstag im ZDF-"heute journal", er maße sich nicht an, ein Vorurteil oder Gerücht in die Welt zu setzen. Zunächst gelte es, die Vorgänge gründlich aufzuarbeiten. Dann könnten Konsequenzen gezogen werden.

Dagegen machte der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle von Bund und Ländern, Rudolf Egg, der Polizei schwere Vorwürfe. Wenn schon jemand zur Polizei komme und sage, er habe eine pädophile Neigung und wolle einen Schlusspunkt setzen, dann sei das auch eine Art Hilferuf, sagte Egg in den ARD-"Tagesthemen". "Im Interesse des Opferschutzes kann man so jemanden nicht einfach gehen lassen", kritisierte er.

"Polizei erstaunlich passiv"

Der Kriminologe Christian Pfeiffer kritisierte, die Reaktion der Polizei auf die Selbstanzeige des 18-Jährigen sei erstaunlich passiv gewesen. "Jeder weiß, gerade in diesen jungen Jahren ist man noch sehr therapiefähig", sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in der Fernsehsendung "NDR aktuell".

Wenn die Polizei konkret beispielsweise nach dem Therapeuten des Jungen gefragt hätte, "dann hätte etwas in Gang kommen können, das die ganze Geschichte gedreht hätte", sagte Pfeiffer. Ob eine Hausdurchsuchung den Tod Lenas verhindert hätte, sei allerdings keineswegs sicher.

Lynchaufrufe gefährlicher als Vorratsdatenspeicherung

Die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband, warnte vor den Folgen der Online-Hetzkampagne gegen einen zu Unrecht des Mordes an Lena verdächtigten 17-Jährigen. "Die größere Bedrohung der Freiheit im Netz sind nicht Vorratsdatenspeicherung, Zugangsbeschränkung oder ACTA - sondern dieser Umgang miteinander", sagte Weisband der "Berliner Zeitung".

Sie halte auch die Praxis für gefährlich, dass Internetnutzer Politiker in Hunderten Mails beschimpfen. Die Freiheit des Internets bringe auch mehr Verantwortung mit sich.

Nach dem Mord hatte es Lynchaufrufe im Internet gegen den ersten Verdächtigen gegeben. Etwa 50 Menschen versammelten sich vor dem Polizeirevier, um es zu stürmen.

(APD)
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