Erdrutsch-Drama in Sachsen-Anhalt "In NRW ist das Risiko sogar noch größer"

Nachterstedt/Kreis Neuss (RP). Sachverständige befürchten, dass sich in NRW ähnliche Szenarien wie in Sachsen-Anhalt abspielen könnten. Laut BUND entstehen nach dem Ende der Tagebaue Garzweiler, Hambach und Inden gigantische Löcher mit unabsehbarem Schadenspotenzial. Das Wirtschaftsministerium sieht keine Gefahr.

Häuser rutschen in Erdkrater
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Nachterstedt/Kreis Neuss (RP). Sachverständige befürchten, dass sich in NRW ähnliche Szenarien wie in Sachsen-Anhalt abspielen könnten. Laut BUND entstehen nach dem Ende der Tagebaue Garzweiler, Hambach und Inden gigantische Löcher mit unabsehbarem Schadenspotenzial. Das Wirtschaftsministerium sieht keine Gefahr.

Idyllisch sollte der Concordia-See im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt) sein, das "Harzer Seeland" in Sichtweite des Brockens. Seit dem frühen Samstagmorgen gibt es diese Idylle nicht mehr. Zwei Häuser sind bei einem Erdrutsch am Rand eines Tagebausees in die Tiefe gerissen worden. Die Ursache des Unglücks ist bislang unklar. Dennoch hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bereits auf "ähnliche Risiken" durch den Braunkohletagebau im Rheinland hingewiesen.

Ähnliche Szenarien im Rheinland vorstellbar

Auch Peter Immekus, Sachverständiger für Bergbau und Bergschäden, hält solche Szenarien im Rheinland für vorstellbar. "Das Risiko, dass es in Nordrhein-Westfalen nach Beendigung des Tagebaus solche Erdrutsche geben wird, ist sogar noch größer", sagt er. "Im Vergleich zu den riesigen Abbaustellen in NRW sind das in den neuen Ländern Spielzeug-Tagebaue." Die Abbaugebiete in NRW seien tiefer, damit steige das Risiko für Erdrutsche, sobald die Abbaustellen stillgelegt und die Erdlöcher mit Wasser gefüllt sind. Betroffen wären Dörfer an den Rändern der Tagebaugebiete wie Jackerath, Wanloo, Kaulhausen, Kückhoven, Venraht und Katzem.

Der Boden hat keinen halt mehr

"Wenn die Tagebaulöcher von Garzweiler, Inden und Hambach mit Wasser gefüllt werden, führt das zu Verflüssigungen des Bodens", erklärt Immekus. Denn um Braunkohle abbauen zu können, hat RWE Power den Grundwasserspiegel gesenkt. "Dadurch ist der Boden ausgetrocknet und hat sich abgesetzt", erklärt Immekus. "Wenn er wieder Wasser aufnimmt, lockert sich das Sand-Kies-Gemisch." Der Boden habe keinen Halt mehr. "In Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen hat es in den vergangenen zehn Jahren wegen stillgelegter Braunkohleabbaugebiete häufiger Erdrutsche gegeben." In NRW aber seien alle Tagebaugebiete aktiv, deshalb sei das Thema noch nicht akut geworden.

Regelmäßige Kontrollen

Joachim Neuser, Sprecher von NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben, sieht kein Risiko für das "Rheinische Revier". Am Rande der Braunkohletagebaue gebe es keine Bebauung mehr, alle Leute seien umgesiedelt worden. Zudem gebe es regelmäßige Kontrollen. Auch der Neusser Kreisdirektor Jürgen Petrauschke hält Einschätzungen wie die von Immekus oder dem BUND für "Panikmache": "Bisher kennt man noch nicht die Ursache für das Unglück", sagt er. "Schließlich können alte Stollen den Erdrutsch ausgelöst haben, und der Tagebau hat nichts damit zu tun." Und selbst wenn es sich um eine Folge des Braunkohleabbaus handele, bedeute das nicht, dass es dieses Risiko in NRW gebe. "Schließlich weiß man nicht, welche Unterschiede in der Bodenbeschaffenheit bestehen und wie nah die Häuser am Rand des Sees standen."

"Nicht übertragbar aufs Rheinische Revier"

Lothar Lambertz, Sprecher von RWE Power, versucht, zu beruhigen: Ereignisse wie das in Nachterstedt seien stark von lokalen Gegebenheiten geprägt: "Die geologischen, hydrologischen Verhältnisse und die Abbau- und Verkippungsverfahren sind nicht übertragbar auf das Rheinische Revier." Die Sicherheit der Tagebau-Böschungen sei sowohl während der Betriebsphase als auch bei einer Restsee-Gestaltung durch regelmäßige Untersuchungen gewährleistet. RWE Power achte darauf, dass es entlang der Abbaugrenzen Sicherheitszonen gebe, in der sich Personen nicht dauerhaft aufhalten dürften und die für die Errichtung und Nutzung von Wohngebäuden verboten seien. Man müsse abwarten, was die Ermittlungen der Behörden zur Unglücksursache ergäben.

Rainer Priggen, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, mahnt dennoch zur Vorsicht. Was in Sachsen-Anhalt geschehen sei, müsse analysiert, Tagebau-Pläne für NRW womöglich überdacht werden. "Wenn es ein Risiko gibt, kann man an so eine Seenkante kein Hotel setzen", sagt Priggen. Aktuell seien die alten Abbaugebiete zwar trocken, aber irgendwann würden sie mit Wasser gefüllt. "Dann darf es kein Risiko geben."

(RP)
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