Interview mit Ex-“Cindy aus Marzahn“ Warum Ilka Bessin nicht über die AfD sprechen möchte

Düsseldorf · Früher war sie als „Cindy aus Marzahn“ unterwegs, heute steht Ilka Bessin als sie selbst auf der Bühne - weil sie schwierigere Themen anpacken möchte. Über die AfD möchte sie aber nicht sprechen.

 Ilka Bessin - die Frau, die mal Cindy aus Marzahn war.

Ilka Bessin - die Frau, die mal Cindy aus Marzahn war.

Foto: Mathias Bothor / photoselection

Die Autobiografie von Ilka Bessin trägt den falschen Titel. Statt „Abgeschminkt“ hätte „Ungeschminkt“ viel besser gepasst. Schonungslos gegenüber sich und anderen erzählt sie von ihrem Aufwachsen als gehänselte Jugendliche in Brandenburg, ihren Jahren als Hartz-IV-Empfängerin und ihren Allüren, nachdem sie es als „Cindy aus Marzahn“ zu einiger Berühmtheit geschafft hatte. 2016 verabschiedete sie sich von der Figur, um fortan als sie selbst auf der Bühne zu stehen.

Hat Ihnen Cindy aus Marzahn das Leben gerettet?

Ilka Bessin Sie hat mein Leben extrem verändert. Ich hatte wieder Hoffnung, dass da ein neues Kapitel kommt.

Es ist schon irre, wie Sie in der Comedy-Branche gelandet sind. Sie haben beim Quatsch Comedy Club angerufen, um sich dort als Kellnerin zu bewerben. Dann hatten Sie aber den falschen Menschen am Telefon, den, der die neuen Talente sichtete.

Bessin Eigentlich war es die richtigste Person – wenn es dieses Wort gibt - die ich in dem Moment hätte treffen können. Ich glaube an Schicksal. Da sitzt jemand und passt auf einen auf.

2016 haben Sie sich von der Figur Cindy aus Marzahn verabschiedet, auch weil diese nicht über alles reden konnte, gerade über Politik. Nun sind Sie als Sie selbst unterwegs. Worüber möchten Sie denn sprechen?

Bessin Das Problem war: Sie konnte schon alles sagen, man hat sie aber nicht so ernst genommen. Wenn ich politische Themen anspreche, sollen die Leute nicht denken, dass ich mich darüber lustig mache. Dafür ist mir das zu wichtig. Ich wollte aber auch Dinge sagen, die ich so nicht in Ordnung finde. Wo ich der Meinung bin: Das müsste man mal aussprechen.

Welche Dinge sind das?

Bessin Das Schulsystem, Mobbing, obdachlose Kinder. Einfach Themen, die unter den Tisch gekehrt werden. In meinem neuen Bühnenprogramm geht es natürlich um Comedy, aber es sind Dinge, die mich beschäftigen und mich betreffen. Wenn ich älter werde, wer kümmert sich um mich? Wie sieht’s aus mit der Rente? Leuten, die jetzt in Rente gehen, zahlen wir zu wenig Geld. Die haben ein Leben lang gearbeitet und werden dann nicht wertgeschätzt.

Mit welchem Gefühl stehen Sie in der Wahlkabine?

Bessin Wir werden vorher zu wenig aufgeklärt. Wenn ich jetzt schon sehe, wie Frau Kramp-Karrenbauer applaudiert wird. Dabei können wir doch erst applaudieren, wenn wir wissen, was sie überhaupt verändert hat. Und dann bin ich die erste, die applaudiert. Aber wir haben alte Leute, die zu wenig Rente kriegen. Wir haben Löhne, die so gering sind, dass man noch Sozialhilfe beantragen muss. Das geht einfach nicht.

Von welchem Politiker würden Sie sagen, dass er einen guten Job macht?

Bessin Über so etwas rede ich in Interviews prinzipiell nicht. Aber wenn die Politiker einen guten Job machen würden, hätten wir diese Probleme nicht. Alle versprechen, aber es ändert sich nichts.

Eines Ihrer Themen als Cindy aus Marzahn war die Arbeitslosigkeit. Sie haben selbst Hartz IV bekommen. Wie ist es zu erklären, dass Sie mehrere Jahre arbeitslos waren, obwohl Sie vorher immer viel und gerne gearbeitet haben?

Bessin Irgendwann hat man sich daran gewöhnt, zuhause zu sein. Das kennt man ja aus dem Urlaub. Da bin ich in diesen Strudel geraten. Okay, heute ist Donnerstag, dann mache ich das Montag.

Was hätte der Staat leisten müssen, um Sie da rauszuholen?

Bessin Dafür kann man niemand anderen verantwortlich machen. Der wichtigste Mensch in meinem Leben bin ich. Deshalb muss ich auch dafür sorgen, dass es mir gut geht. Und wenn mir jemand die Hand gibt, muss ich sie nehmen. Das habe ich in dem Moment gemacht, als ich im Quatsch Comedy Club angerufen habe und gefragt wurde, ob ich auftreten möchte.

Folgt man Ihrem Buch, hat Ihnen beim Arbeitsamt niemand die Hand gereicht. Ihre Betreuerin schlug Ihnen zum Beispiel vor, Ski-Animateurin zu werden.

Bessin Da habe ich mich hilflos und verlassen gefühlt.

 Ilka Bessin hat ein Buch über ihr Leben geschrieben.

Ilka Bessin hat ein Buch über ihr Leben geschrieben.

Foto: Heyne Verlag

Ihre Laufbahn als Comedian wollte das Arbeitsamt erst nicht fördern. Ist das nicht sogar verständlich? In den meisten Fällen wird doch daraus nichts.

Bessin Das ist aber nur eine Vermutung. Man sollte erstmal zuhören, was die Person vorhat. Bevor der Arbeitslose noch ein halbes Jahr zuhause sitzt, würde ich ihm sagen: Lass es uns mal ein Jahr probieren. Ich hatte schon Auftrittstermine, und trotzdem bekam ich zu hören: So eine Hampelei finanzieren wir nicht.

Die AfD ist in Brandenburg, Ihrer Heimat, nach Umfragen mit die stärkste Partei. Macht Ihnen die Popularität der Partei Sorgen?

Bessin Ehrlich gesagt rede ich über so was nicht öffentlich.

Warum nicht?

Bessin Prinzipiell rede ich nicht gerne über Parteien, mit denen ich nichts anfangen kann. Sonst biete ich denen nur eine Plattform – gerade, was die AfD betrifft.

Ich kam nur darauf, weil Sie in Ihrem Buch berichten, dass Sie auf der Bühne schon mal als Cindy aus Marzahn Verständnis für die Situation von Flüchtlingen gefordert hätten – und es applaudierte genau eine Person.

Bessin Das Thema Flüchtlinge ist eben noch ein großes Thema. Und ich habe gefragt: Wie wäre das eigentlich, wenn man selbst in der Situation wäre? Wenn man selbst nicht wüsste, wo man hin kann. Wenn ich dann nicht willkommen bin, finde ich das schwierig und traurig. Wir sind Gastgeber und wollen Menschen ein neues Zuhause geben. Aber wenn sie zu uns kommen, müssen wir gucken, dass die sich auch wohlfühlen. Wobei man auch nicht sagen darf: Ihr könnt alle zu uns kommen.

Gestatten Sie mir noch eine Frage zu diesem Thema: Können Sie nachvollziehen, warum Leute verstärkt AfD wählen?

Bessin Das Thema hatten wir jetzt schon. Da kippt gerade die Stimmung bei mir.

Dann lassen Sie uns das Thema wechseln. „Ihr seid ja nicht hier, um Shakespeare zu hören“, haben Sie mal in einem Programm von Cindy aus Marzahn gesagt - wofür kommen die Leute?

Bessin Ich hoffe, dass die Leute wegen dem Humor von Ilka Bessin kommen und einfach, um mich näher kennenzulernen. Wie tickt diese Frau? Da bin ich gespannt, wie sie auf meinen Humor reagieren, der sich nicht großartig von dem von Cindy aus Marzahn unterscheiden wird, aber schon ein bisschen anders sein wird.

Inwiefern?

Bessin Es kommen noch Sachen dazu. Ich werde auch mal schwierigere Themen anpacken.

Müssen Sie sich differenzierter ausdrücken als Cindy aus Marzahn, die Politiker auch mal pauschal abgewatscht hat?

Bessin Ich habe mir viel mehr Gedanken darüber gemacht, wie ich auf der Bühne sprechen soll. Rede ich jetzt hochdeutsch? Rede ich ganz ordentlich? Dann habe ich gemerkt: Nee, ich muss ganz normal reden. Sonst bin das einfach nicht ich.

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