Die Pleite als Lebensmotto Hip in Berlin: "Der Club der polnischen Versager"

Berlin (rpo). Versagen als Lebensprinzip hat sich ein Club in Berlin zum Prinzip gemacht. Piotr Mordel, Elektroingenieur aus Lublin, hat nie in seinem Beruf gearbeitet und sieht das als "Glück für die Menschheit" an. Zusammen mit vier anderen Exilpolen hat er den "Club der polnischen Versager" gegründet - mit großem Erfolg.

Die Torstraße ist eine Hauptverkehrsader in Berlin-Mitte, laut und trist. Im "Kaffee Burger" wird dort die mittlerweile legendäre "Russendisko" veranstaltet. Nebenan, vor dem Haus Nummer 66, sticht dem Besucher ein großes V - für Versager - ins Auge. Die Clubräume der Polen wirken wie ein großes Wohnzimmer. Das Bücherregal ist reichlich bestückt, die Einrichtung karg und die Beleuchtung gedämpft. Eine Stehlampe mit Quasten scheint wie aus dem Museum, und zu trinken bekommt der Gast nur Wein, zwei Sorten Bier und Afri-Cola. "Manchmal gibt es auch etwas zu essen, aber nur wenn du Glück hast. Suppe mit Graupen oder Mehl oder Sauerampfer", erklärt Mordel.

Trotz dieser Minimal-Gastronomie strömen jeden Abend polnische, deutsche und internationale Gäste in den Club. Beim wöchentlichen "Frage-Antwort-Spiel" am Montagabend erscheinen junge Autoren und betteln darum, ihren ersten Roman in den Clubräumen vorstellen zu dürfen. Kinoabende, Konzerte, Theaterabende: Die unabhängige Berliner Szene sieht im "Club der polnischen Versager" eine geeignete Bühne.

Einige Monate zog die "Show des Scheiterns" ein großes Publikum an, eine Gastveranstaltung, bei der Zuschauer unter Beifall von der größten Pleite ihres Lebens berichten durften. Auch bei "Boulevard Bio" waren die "Versager" schon zu Gast, auf der RBB-Welle Radio Multikulti bestreiten sie eine Satiresendung.

"Sicherer Ort auf dem Ozean"

In der schlichten Wohnzimmer-Atmosphäre fühlen sich viele Gäste ungezwungen. Anders als in den Schicki-Kneipen in der nahe gelegenen Oranienburger Straße ist Kleidung kein Kriterium. Auch einsame und zahlungsunfähige Existenzen bekommen ab und an ein Glas Wein auf Pump. Manchen Polen - mit etwa 30.000 offiziellen und geschätzten 100.000 inoffiziellen Einwohnern in Berlin die zweitgrößte Ausländer-Gruppe nach den Türken - bietet der Club ein Stück Ersatzheimat. "Es ist ein sicherer Ort auf dem Ozean", sagt Mordel.

Hier spielt es keine Rolle, ob der Gast Karriere gemacht oder nach den Kriterien der Gesellschaft absolut versagt hat. Die wenigsten der etwa 20 Clubmitglieder haben Arbeit in ihrem Beruf gefunden. Viele schlugen sich als Taxifahrer durch oder hielten sich mit anderen Gelegenheitsjobs über Wasser.

"Wir greifen ein Tabuthema auf", sagt Mordel. Gerade in der Wirtschaftskrise fühlten sich immer mehr Deutsche als Versager ohne es sich wirklich eingestehen zu können. "Aber wenn Polen sich offen als Versager outen, dann haben die Deutschen damit irgendwie kein Problem". Nach 15 Jahren in Deutschland sei ihm aber eindeutig klar, dass es unter Polen nicht mehr Versager gebe als anderswo, meint Mordel: "Die Deutschen strengen sich ständig an, aber historisch betrachtet kommt gar nichts dabei heraus."

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