Säure-Schiff im Rhein Havarierter Tanker lockt Touristen

St. Goarshausen (RP). Seit zehn Tagen liegt das mit 2400 Tonnen Säure beladene Schiff "Waldhof" vor der Loreley im Rhein auf Grund. Die Vorbereitungen zur Bergung laufen weiter. Vor allem am Wochenende zieht es zahlreiche Schaulustige an die Unglücksstelle.

Säure-Schiff im Rhein: Havarierter Tanker lockt Touristen
Foto: dapd, dapd

Manfred Kurtenacker radelt jeden Tag zur Unglücksstelle. "Man hat schon ein mulmiges Gefühl", sagt der 64-Jährige, und schaut kritisch hinüber zum mit Stahlseilen gesicherten Wrack der "Waldhof". Am 13. Januar ist das mit 2400 Tonnen Schwefelsäure beladene Tankschiff vor St. Goarshausen aus bisher ungeklärter Ursache gekentert. Zwei der vier Besatzungsmitglieder werden immer noch vermisst. Erst seit Mittwochabend dürfen wieder Frachter vorsichtig an dem Wrack vorbeimanövrieren — vorerst nur stromaufwärts. Stromabwärts wäre das wegen der starken Strömung zu gefährlich. Kurtenacker schüttelt den Kopf. "Man muss sich das vorstellen", sagt er, "ein ganzes Schiff, das nur an ein paar Drähten hängt."

Der 64-Jährige sorgt sich angesichts der immer noch drohenden Umweltkatastrophe vor allem um seinen Wohnort. St. Goarshausen liegt direkt am Rhein, eingerahmt von der Burg Katz, der Burg Maus und der Loreley. Ein Touristenmagnet. Im Januar herrscht dort jedoch normalerweise wenig Betrieb. Fast alle Restaurants und Hotels sind geschlossen. Nur das "Café am Rheinsteig" von Carmen Schmidt hat geöffnet. Und in diesem Januar ist alles anders. "Das Geschäft läuft gut", sagt sie. "Erst das Hochwasser, jetzt das Schiff. So schlimm das für die betroffenen Menschen ist, wir profitieren davon." Vor allem am Wochenende strömen die Besucher in den Ort. Wie beim Weinfest sei das, erzählt Kurtenacker, die Menschen pilgerten von überall an den Rhein.

Dabei gibt es nicht viel zu sehen. Noch nicht. Zwei Schiffskräne der niederländischen Bergungs-Spezialfirmen Mammoet, "Atlas" und "Grizzly", warten im Loreleyhafen, kommen aber noch nicht zum Einsatz. Die "Waldhof" liegt einfach da, auf der Seite, fest vertäut. Ein gestrandeter Koloss, 110 Meter lang, samt Ladung 3000 Tonnen schwer.

Schiff muss gedreht werden

Klaus Dieter Scheuerle, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, war gestern vor Ort. "Zunächst wollen wir wissen, in welchem Zustand sich die Schwefelsäure befindet, dann muss das Schiff gedreht werden", sagt er. Wann was passiert, ist unklar. "Einen genauen Zeitplan können wir nicht nennen." Sicher ist: Die Rheinstraße (B 42) und die dahinterliegende Bahnstrecke werden während der Bergung gesperrt. Das Risiko, dass eines der fünf Zentimeter dicken, unter Spannung stehenden Stahlseile reiße, sei zu hoch. Ab wann gesperrt wird, weiß niemand. Auch das Schicksal der zwei vermissten Besatzungsmitglieder ist unklar. Scheuerle verspricht: "Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um sie zu finden." Am späten Nachmittag erschien auch Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) am Unglücksort, informierte sich über die Bergungsarbeiten und lobte die Sorgfalt der Einsatzkräfte.

Kein fertiges Konzept für Bergung

Martin Mauermann, Leiter des Bingener Wasser- und Schifffahrtsamtes, sagt: "Für die Bergung gibt es kein fertiges Konzept. Alles ist neu für uns." Heute wollen Spezialisten versuchen, das Wrack umzudrehen. Vorher wird geprüft, ob sich Säure aus den sieben Tanks abpumpen lässt, um die Gefahr einer Explosion und das Gewicht zu minimieren. "Für das Abpumpen müssten wir ein Spezialschiff heranziehen", so Mauermann. Das wiederum würde den Start der Bergung weiter verzögern. Aus Sicht der 380 Schiffe, die sich an der Unglücksstelle gestaut hatten, ist das nicht unbedingt schlecht. Denn die Bergung der "Waldhof" wird wieder für einen Engpass auf dem Rhein sorgen — und erneute Wartezeiten bedeuten. Schon jetzt sei großer wirtschaftlicher Schaden entstanden, sagt Staatssekretär Scheuerle, die Höhe lasse sich nicht beziffern.

In einem sind sich alle einig — die Bergung dauert Wochen. "Das ist ein sehr langsamer Prozess", so Mauermann, "bei dem man von Außen nicht viel sehen wird." Das sagt er wohl in Richtung der Schaulustigen. Reiner Degen ist extra aus der Eifel angereist, um die "Waldhof" zu sehen. "Dass ist trotz moderner Technik zu solchen Unfällen kommen kann, verstehe ich nicht", meint er. "Gut, dass die Schiffe wieder fahren dürfen. Der Rhein ohne Schiffe ist nicht der Rhein."

Flussabwärts wird der Rhein voraussichtlich noch mindestens zwei Wochen komplett gesperrt bleiben. Stromaufwärts konnten am Freitag 92 weitere Schiffe den Havaristen umfahren. Knapp 200 Schiffe lagen am Samstagmorgen immer noch fest. Dadurch wurde auch die Versorgung einiger Industriebetriebe beeinträchtigt, die vergeblich auf die Fracht der Rheinschiffe warteten.

(RP/dapd)
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