50 Jahre Mauerbau Hartmut Richter schwamm in die Freiheit

Berlin (RPO). Als die Grenze in Berlin am 13. August 1961 mit Stacheldraht durchzogen wurde, fand sich der damals 13-jährige Hartmut Richter plötzlich auf der falschen Seite der Sperranlagen wieder. Mit einem Hubschrauber wurden er zu seinen Eltern in den Osten gebracht. Aber in der DDR hielt es der junge Mann nicht aus. Richter schwamm in den Westen – und wurde Fluchthelfer.

 "Die Untersuchungshaft war am schlimmsten": DDR-Flüchtling Hartmut Richter erinnert sich.

"Die Untersuchungshaft war am schlimmsten": DDR-Flüchtling Hartmut Richter erinnert sich.

Foto: dapd, dapd

Berlin (RPO). Als die Grenze in Berlin am 13. August 1961 mit Stacheldraht durchzogen wurde, fand sich der damals 13-jährige Hartmut Richter plötzlich auf der falschen Seite der Sperranlagen wieder. Mit einem Hubschrauber wurden er zu seinen Eltern in den Osten gebracht. Aber in der DDR hielt es der junge Mann nicht aus. Richter schwamm in den Westen — und wurde Fluchthelfer.

Herr Richter, wie haben Sie den Mauerbau erlebt?

Richter Ich komme eigentlich aus Werder bei Potsdam. Am 13. August 1961 war ich als 13-Jähriger bei meinen Verwandten in der Bernauer Straße in Wedding in West-Berlin. Es war heiß und wir wollten schwimmen gehen. Dann kam mein Onkel in die Küche und sagte: 'Die machen die Grenzen dicht!' Das war mir eigentlich egal, ich dachte mir, wenn sie sie dicht machen, machen sie sie irgendwann wieder auf.

Es war Ihnen also nicht klar, dass das langfristig sein würde?

Richter Nein, das war allgemein niemandem klar. Hätte damals jemand vorhergesagt, dass das 28 Jahre dauern würde, den hätte man für verrückt erklärt. Ich dachte, das bleibt maximal eine Woche. Die Erwachsenen diskutierten an diesem Tag, dass das DDR-System am Ende ist und die West-Berliner Polizei befürchtete eine Eskalation und hinderte die Jugendlichen daher, gegen die Grenzschließung vorzugehen. Für mich war das als Kind interessant, aber ich wäre lieber schwimmen gegangen und das haben wir dann auch gemacht.

Was haben Sie gedacht, als der Stacheldraht später durch die Mauer ersetzt wurde?

Richter Das habe ich nicht gesehen. Das Problem war, dass ich nach Werder zu meinen Eltern zurück musste. Die haben mich normal immer von meinem Onkel abgeholt, das ging jetzt nicht mehr. Meine Verwandten hätten mich wohl noch rüberbringen können, aber freiwillig wollten sie nicht dort hinüber. Letztlich hat mich ein Rotes-Kreuz-Auto zurück in die DDR gebracht.

Das klingt alles noch relativ unbeschwert, trotzdem haben sie sich schon früh gegen das SED-Regime aufgelehnt und sind nicht in die Freie Deutsche Jugend (FDJ) eingetreten...

Richter Mit 14 trat man dann eigentlich der FDJ bei und das sollte nach außen alles freiwillig aussehen. Mein Lehrer fragte uns damals und ich sagte, ich möchte den Schritt aus innerer Überzeugung tun. Das war von meiner Seite in dem Sinne kein Widerstand. Es ging nicht darum zu sagen: 'Ich hasse euch!' So weit war ich noch nicht.

Anfang 1966 haben Sie Ihren ersten Fluchtversuch unternommen. Wie kam es dazu?

Richter Freunden ist relativ einfach die Flucht über die CSSR nach Österreich gelungen und das wollte ich auch. Ich habe mich sicher sehr blöd angestellt, weil ich mit meinen langen Haaren und meinen Habseligkeiten im Zug sehr auffällig war. Zudem hatte ich Schulzeugnisse und sogar meine Geburtsurkunde dabei. Es war so offensichtlich, dass ich fliehen wollte, dass ich gar nicht bis in die CSSR gekommen bin. Ich wurde nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil ich Reue geheuchelt habe. Wenn die Flucht damals gelungen wäre, hätte ich sicher angenehme Heimaterinnerungen gehabt.

Wann wurde Ihnen klar, dass die DDR ein Unrechtsstaat ist?

Richter Spätestens im Knast mit 18 Jahren, als ich gesehen habe, wie man dort als Andersdenkender behandelt wird. Da konnte ich auch an einen menschlichen Sozialismus nicht mehr glauben. Ich sah, dass es ein verbrecherisches Regime ist, das versucht, sich nach außen rechtsstaatlich darzustellen. Als ich auf Bewährung aus dem Gefängnis kam, habe ich mich bewährt, indem ich durch den Teltow-Kanal schwamm und tauchte.

Wie sind Sie auf diese Flucht-Idee gekommen?

Richter Das habe ich im Gefängnis gehört. Dort wohnte niemand, es war nicht so gut beleuchtet und man konnte sich der Grenze nähern, ohne beobachtet zu werden. Man musste durch die Bewährungsstrafe noch mehr heucheln und die Stiefel küssen von denen man getreten wurde. Wenn ich von Werder in die nächste Stadt hätte fahren wollen, hätte ich um Erlaubnis bitten müssen. Ich war damals sehr traurig. Man musste sich die Frage stellen: ´Wie lange willst du das mitmachen?´ Ich habe mich von zwei Freunden verabschiedet, die mich von meinem Vorhaben noch abbringen wollten. In dieser Nacht hatte ich eine schützende Hand über mir. Als ich um 4.30 Uhr morgens auf der West-Seite ankam, bin ich ohnmächtig geworden.

Wie schnell ist die Idee gereift, anderen Menschen zur Flucht zu verhelfen? Insgesamt haben Sie 33 Personen in den Westen geholt.

Richter Die war gleich am nächsten Tag da, die Frage war nur wie. Aktiv helfen konnte ich ab 1972 zur Zeit der Entspannungspolitik. Es gab eine große Amnestie für ehemalige Verbrecher wie mich. Ich konnte daher wie ein normaler Bundesbürger in die DDR reisen. Hinzu kam das Transitabkommen, das eine große Erleichterung war. So entstand die Idee, Menschen im Kofferraum herauszuschmuggeln. Ich hätte von der Masse der Menschen her täglich fahren können. Ich habe aber auch mal eine Woche ausgesetzt, das war ja eine riesige Nervenanspannung. Mir war klar, lange geht das nicht gut.

Wie wurden Sie letztlich erwischt?

Richter Als ich meine Schwester 1975 herausholte, sollte das der Abschluss sein. Dabei haben mich die Grenzsoldaten erwischt. Ich kam an die Grenze und wurde in eine Garage geschickt. Ich habe kurz überlegt Gas zu geben, wusste aber, dass sie sofort schießen würden. Es kamen zehn Soldaten mit Maschinenpistolen und Hunden in die Garage. Als der Hund auf den Kofferraum sprang, flog ich an die Wand und wurde zwischen die Beine geschlagen. Ich habe nur gerufen: 'Schießt doch ihr Verbrecher!' Das war es dann.

Sie wurden zu 15 Jahren Haft verurteilt und nach fünf Jahren von der BRD freigekauft. Wie waren die Haftbedingungen?

Richter Das Schlimmste war das eine Jahr Untersuchungshaft. Dort gab es subtile Foltermethoden: wochenlange Isolation, Desinformation, ständige Lichtkontrollen, Spitzelsystem. Daraus haben sie eine Wissenschaft gemacht. Ich habe dafür gebetet, endlich angeklagt zu werden, denn es war klar, dass es im Strafvollzug eine gewisse Erleichterung war. Ich habe auch Schläge bekommen. Das tat weh, war aber nicht so schlimm wie die subtileren Methoden.

(apd/csi)
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