Schüsse bei Zeugen Jehovas Mutmaßlicher Täter war Mitglied der Gemeinde

Update | Hamburg · Bei einer abendlichen Veranstaltung der Zeugen Jehovas in Hamburg sind bei einem Amoklauf acht Menschen gestorben. Darunter auch ein ungeborenes Kind.

Hamburg: Schüsse bei Zeugen Jehovas - Fotos vom Polizeieinsatz
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Mehrere Tote und Verletzte nach Schüssen in Hamburg

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Foto: dpa/Jonas Walzberg

Der mutmaßliche Todesschütze von Hamburg ist ein 35 Jahre alter Deutscher. Er sei ein ehemaliges Mitglied der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas gewesen und habe diese vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offensichtlich nicht im Guten verlassen. Das teilten Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde am Freitag in Hamburg bei einer Pressekonferenz mit.

Bei den Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg gab es acht Tote und acht Verletzte, wie Innensenator Andy Grote (SPD) sagte. Zu den Toten zählt die Polizei auch den Täter sowie ein ungeborenes Kind. „Unter den Toten befindet sich im übrigen auch ein ungeborenes Kind im Alter von sieben Monaten, das im Mutterleib getroffen wurde“, sagte Grote.

Er bezeichnete den Vorfall als Amoklauf. „Eine Amoktat dieser Dimension - das kannten wir bislang nicht. Das ist die schlimmste Straftat, das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt.“

Laut Polizeiangaben habe der mutmaßliche Täter noch rund 300 Schuss Munition dabei gehabt. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung seien weitere 200 Schuss Munition gefunden worden. In der Gemeinde seien 50 Menschen zugegen gewesen. Insgesamt seien fast 1000 Beamte im Einsatz gewesen.

Mutmaßlicher Täter hatte Waffenerlaubnis

Bis zum Morgen hatte es nach der Gewalttat über viele Stunden keine Detailangaben zur Zahl der Opfer gegeben.

Eine zunächst über eine Warnapp ausgegebene amtliche Gefahrenwarnung wurde in der Nacht aufgehoben. Der Vorfall ereignete sich im Hamburger Stadtteil Alsterdorf.

Als Extremist war der mutmaßliche Schütze der Polizei zufolge nicht bekannt. Dass sein Name dennoch in den Datenbanken der Sicherheitsbehörden auftauchte, hat dem Vernehmen nach keinen kriminellen Hintergrund, sondern damit zu tun, dass er eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt hatte, die er im Dezember 2022 auch erhielt.

Anonyme Hinweise auf mutmaßlichen Täter

Die Waffenbehörde hat nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung des mutmaßlichen Täters erhalten.

Laut des unbekannten Schreibers sei das Ziel gewesen, das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf den Schützen überprüfen zu lassen, sagte Meyer.

Die unbekannte Person habe ferner geschrieben, dass die psychische Erkrankung von möglicherweise ärztlich nicht diagnostiziert sei, da sich der Schütze nicht in ärztliche Behandlung begebe. Er habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegen die Zeugen Jehovas und auf seinen ehemaligen Arbeitgeber gehegt, sagte Meyer.

Die Einsatzkräfte retteten nach den Worten des Innensenators sehr wahrscheinlich etliche Menschenleben. „Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind“, sagte Grote.

Laut Polizei konnten etwa 20 Personen unverletzt aus dem Gebäude gerettet werden. Auch die Menschen, die verletzt gerettet worden seien, „rechnen wir dem Einschreiten der Polizei zu“, sagte der Leiter der Schutzpolizei, Matthias Tresp.

Bundeskanzler rechnet mit weiteren Opfern

„Wir sind fassungslos angesichts dieser Gewalt“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Demnach könnte die Zahl der Opfer des Amoklaufs in einer Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg weiter steigen. „Es steht zu befürchten, dass weitere Opfer ihren schweren Verletzungen erliegen werden“.

„Die Hamburger Polizei richtete eine spezielle Website ein, auf der „Fotos und Videos zur Tat oder relevanten Ereignissen in diesem Zusammenhang“ hochgeladen werden können.

Polizisten hörten Schuss im Gebäude

Polizeikräfte seien gegen 21.15 Uhr gerufen worden, sehr schnell am Tatort eingetroffen und weit ins Gebäude vorgedrungen, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstagabend dem Sender n-tv. Sie hätten zunächst Tote und Verletzte gesehen und dann einen Schuss gehört. Im oberen Teil des Gebäudes hätten sie eine Person gefunden, die möglicherweise ein Täter sei. Am frühen Freitagmorgen teilte die Polizei mit, sie gehe davon aus, dass es nur einen Täter gegeben habe. Zuvor hatte es umfassende Polizeimaßnahmen in der Umgebung gegeben, um die Beteiligung weiterer Täter auszuschließen.

Die Hamburger Polizei bat eindringlich darum, keine Gerüchte über ein mögliches Tatmotiv oder Vermutungen über den Tathergang und einen angeblichen Täter zu verbreiten.

Gefahrenwarnung aufgehoben

Über eine amtliche Gefahrendurchsage der Behörde für Inneres in Hamburg war zunächst die Rede von einer „extremen Gefahr“. „Am heutigen Tage gegen 21.00 Uhr schoss(en) ein oder mehrere unbekannte Täter auf Personen in einer Kirche“, hieß es in dem Text. Die Entwarnung erfolgte kurz nach 03.00 Uhr.

Bereits am Donnerstagabend hatte ein Polizeisprecher dem Sender ntv gesagt, nach Stand der Ermittlungen sei nicht damit zu rechnen, dass ein Täter flüchtig sei. Entsprechend bestehe keine Gefahr mehr im Umfeld. „Im Moment ist die Lage soweit beruhigt“, sagte der Polizeisprecher.

Hubschrauber in der Luft

Streifenwagen mit Blaulicht hatten den Tatort am Abend weiträumig abgesperrt. Beamte mit Maschinenpistolen sicherten den Bereich zusätzlich ab. Unmittelbar nach den Schüssen waren alle Fenster des Gebäudes hell erleuchtet, ein Hubschrauber war in der Luft, zahlreiche Rettungswagen standen in den Straßen. In der Nacht betraten Entschärfer in schwerer Schutzausrüstung das Gebäude der Zeugen Jehovas. Laut Angaben der Polizei handelt es sich bei dem Vorgehen um Routine.

Auch am Freitagmorgen setzte die Polizei ihre Ermittlungen am Tatort fort. „Im Moment laufen hier die Übergaben. Das ist alles im Fluss“, sagte ein Polizeisprecher dazu. Beamte sicherten vor, hinter und in den dem dreigeschossigen Gebäude weiter Spuren. Im Gebäude maßen die Ermittler den Tatort mit einem 3D-Scanner aus. Der Eingang war dabei mit einem Sichtschutz abgedeckt. Die weiträumigen Absperrungen waren am Morgen zunächst abgebaut und die Straße wieder freigegeben worden.

Bürgermeister und Erzbistum reagieren bestürzt

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich bestürzt. „Die Meldungen aus Alsterdorf / Groß Borstel sind erschütternd“, schrieb Tschentscher bei Twitter. „Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe.“ Auch Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von „schlimmen Nachrichten“ aus Hamburg und einer „brutalen Gewalttat“. Seine und weitere Reaktionen haben wir hier gesammelt.

Die katholische Kirche in Hamburg rief am Abend zu Gebeten für die Opfer und deren Angehörige auf. Auf Twitter schrieb das Erzbistum Hamburg unter anderem: „In Hamburg sind mehrere Menschen Opfer eines brutalen Verbrechens geworden. Vieles ist noch unklar. Wir sind erschüttert. Gemeinsam beten wir.“

Auch die Zeugen Jehovas selbst äußerten sich nach der Gewalttat und zeigten sich „tief betroffen“. „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten“, hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.

Im Gebäude lief Veranstaltung der Zeugen Jehovas

Welche Art von Veranstaltung in der Kirchengemeinde der Zeugen Jehovas abgehalten wurde, war zunächst unklar. Auch Angaben zur Teilnehmerzahl konnte die Polizei in der Nacht nicht machen. „Es sind mehrere Personen in dem Gebäude gewesen während der Veranstaltung“, so ein Sprecher.

Auf der Internetseite der Zeugen Jehovas war für den Donnerstagabend eine von zwei wöchentlichen Zusammenkünften geplant. Dazu ist den Informationen zufolge auch die Öffentlichkeit eingeladen. Bei den Zusammenkünften wird sich demzufolge mit der Bibel befasst und damit wie das, was sie lehrt im Leben berücksichtigt werden kann. Nach Angaben einer Anwohnerin sind die Veranstaltungen der Gemeinde gut besucht.

Die Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas hat weltweit rund 8,3 Millionen Mitglieder, darunter ungefähr 180.000 aktive Mitglieder in Deutschland. Den Namen Jehovas Zeugen verwendet die Religionsgemeinschaft seit 1931. Davor waren sie unter anderem als Ernste Bibelforscher bekannt. In Deutschland erlangte die Religionsgemeinschaft 2006 den Körperschaftsstatus.

Bei dem Tatort handelt es sich um ein dreistöckiges Gewerbegebäude, das an einer breiten Straße und neben einem Malerbetrieb sowie einer Baustelle mit drei großen Kränen liegt. In Hamburg-Alsterdorf leben rund 15.000 Menschen, der Stadtteil im Bezirk Hamburg-Nord ist etwa drei Quadratkilometer groß. Neben Alsterdorf gibt es zwölf weitere Stadtteile in dem Bezirk. In Hamburg-Alsterdorf sind zahlreiche Unternehmen angesiedelt. Durch den Stadtteil verläuft der Fluss Alster.

Dieser Text wird laufend aktualisiert.

(msk/peng/csi/hebu/dpa/Reuters/AFP)
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