Prozess gegen Halle-Attentäter „Sie werden nur als namenloses Irrlicht in Erinnerung bleiben“

Magdeburg · Zum Ende des Halle-Prozesses gibt die Nebenklage dem Angeklagten die volle Breitseite und führt ihm die Konsequenzen seiner gescheiterten Anschlagspläne vor Augen. In ihren Plädoyers stimmen die Anwälte den Angeklagten auf ein bedeutungsloses Leben hinter Gittern ein.

Erste Eindrücke vom Prozessauftakt des Halle-Attentäters in Magdeburg
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Erste Eindrücke vom Prozessauftakt gegen mutmaßlichen Halle-Attentäter

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Foto: AFP/HENDRIK SCHMIDT

Im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle gab der Angeklagte an, er habe eine Art Märtyrer der globalen Rechtsextremisten-Szene werden wollen. Das sei ihm nicht gelungen, resümierten mehrere Anwälte der Nebenklage am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg. „Sie werden nur als namenloses Irrlicht in Erinnerung bleiben, der verschiedenen Verschwörungsmythen aufgesessen ist“, sagte Überlebenden-Anwalt Florian Feige in Richtung Anklagebank. „Der Anschlag wird unvergessen bleiben, allerdings nicht in der Form, die Sie sich vorgestellt haben.“

Am 9. Oktober 2019 hatte ein Terrorist versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge von Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Er scheiterte an der massiven Tür, erschoss daraufhin die Passantin Jana L. und später in einem Döner-Imbiss Kevin S.. Auf der anschließenden Flucht schoss er unter anderem zwei Menschen an. Sie sind Nebenkläger und werden von Feige vertreten.

Der Prozess am OLG Naumburg läuft seit Juli, findet aus Platzgründen aber in Magdeburg statt. Der Deutsche Stephan Balliet hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Verschwörungserzählungen begründet. Die Anklage fordert eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das Urteil wird am 21. Dezember erwartet.

Feige beschrieb die Radikalisierung des Mannes in rechtsextremen Online-Kreisen als „Dorfdeppen-Phänomen“: Früher habe es in jeder Dorfkneipe einen solchen „Dorfdeppen“ gegeben, der jeden Abend allein seine „Verschwörungsmythen“ vor sich hin gemurmelt habe. Ab und zu sei er damit zum Stammtisch gekommen, ausgelacht und dann zurückgewiesen worden. „Im Zeitalter des Internets ist es aber leider so, dass all diese Dorfdeppen sich über alle Grenzen hinweg zusammentun und untereinander bestärken“, so Feige.

Der 28-Jährige aus dem Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt hatte im Verfahren unter anderem rechtsextreme Attentäter aus Norwegen und Neuseeland als Vorbilder genannt. Selbst ihn mit diesen Terroristen in einem Atemzug zu nennen, sei aber der Ehre zu viel, sagte Überlebenden-Anwältin Assia Lewin dem Angeklagten am Dienstag. „Sie haben auf ganzer Linie versagt.“

Auch Lewin, die Überlebende aus der Synagoge vertritt, richtete einen Großteil ihres Plädoyers direkt an den Angeklagten. „Wachen Sie auf, Herr Angeklagter“, sagte die Anwältin. „Der Krieg und die Feinde existieren nur in Ihrem Kopf“. Der Angeklagte hatte im Prozess über den Anschlag mehrmals als Kampf gegen seine Feinde gesprochen.

Lewin kritisierte in ihrem Schlussvortrag außerdem das Verhalten der Familie des Angeklagten. „Die Eltern tragen eine große moralische Verantwortung.“ Der Angeklagte hatte seit Jahren ohne Arbeit in seinen Kinderzimmern in der Wohnung der Mutter und im Haus des Vaters gelebt, sich dort radikalisiert und über Jahre bewaffnet.

Seine Eltern, die vor Gericht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatten, hätten weder von seiner Bewaffnung noch von den Anschlagsplänen gewusst, hatte der Angeklagte beteuert. Viele Nebenklage-Anwälte hielten das für eine Schutzbehauptung. Der Angeklagte hatte vor Gericht immer wieder empfindlich auf Fragen zu seiner Familie reagiert.

Das Leben seiner Eltern, Schwester und seines Neffen habe er mit seiner Tat für immer zerstört, sagte Lewin. Er werde den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen und solle jeden Tag daran denken. „Sie werden damit leben müssen, dass Ihr Neffe sich für Sie schämen wird“.

(mba/dpa)
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