Grundschule - und wie weiter? Gymnasium oder nicht?

Leichlingen/Wesel(RP). Die Eltern von 179 654 Viertklässlern in NRW müssen in diesen Wochen bestimmen, auf welche weiterführende Schule sie ihr Kind ab dem kommenden Herbst schicken. Hier berichten sie von der schwierigen Entscheidung – und dem Bangen um einen Platz an der Schule ihrer Wahl.

 Familie Schmidt aus Leichlingen: Vater Eckart, Tochter Miriam, Mutter Christiane und Tochter Katharina, die aufs Gymnasium will.

Familie Schmidt aus Leichlingen: Vater Eckart, Tochter Miriam, Mutter Christiane und Tochter Katharina, die aufs Gymnasium will.

Foto: Ralph Matzerath

Leichlingen/Wesel(RP). Die Eltern von 179 654 Viertklässlern in NRW müssen in diesen Wochen bestimmen, auf welche weiterführende Schule sie ihr Kind ab dem kommenden Herbst schicken. Hier berichten sie von der schwierigen Entscheidung — und dem Bangen um einen Platz an der Schule ihrer Wahl.

 Familie von der Linden aus Wesel: Vater Arnd, Sohn Hauke, Tochter Skadi und Mutter Ragnhild. Hauke steht vor dem Wechsel zum Gymnasium.

Familie von der Linden aus Wesel: Vater Arnd, Sohn Hauke, Tochter Skadi und Mutter Ragnhild. Hauke steht vor dem Wechsel zum Gymnasium.

Foto: Ekkehart Malz

Bevor ihre Tochter Katharina in die vierte Klasse kam, war für Familie Schmidt aus Leichlingen alles klar: Das älteste ihrer beiden Mädchen würde 2011 aufs Gymnasium gehen. "Katharinas Noten waren gut, sie war motiviert, wollte neue Sprachen lernen", sagt ihre Mutter Christiane. In den Sommerferien hatten sie und ihr Mann sich mit Katharina zusammengesetzt und alles besprochen. Doch dann begann die vierte Klasse. "Katharina schrieb auf einmal deutlich mehr Tests, übte trotz Nachmittagsbetreuung auch zu Hause", erinnert sich Christiane Schmidt. "Und trotzdem waren ihre Noten schlechter als am Ende der Klasse drei." Gymnasium oder nicht? Auf einmal war alles wieder offen. Die Schmidts standen vor der gleichen schwierigen Entscheidung wie zehntausende Eltern in NRW.

179 654 Viertklässler gehen derzeit in NRW zur Schule, 179 654-fach müssen ihre Eltern bis Februar bestimmen, ob sie ihr Kind für das kommende Schuljahr auf einer Haupt-, Real- oder Gesamtschule oder auf einem Gymnasium anmelden. Was die Wahl für sie schwieriger macht als für die Familien der jetzigen Fünftklässler: Die Bildungsempfehlung der Grundschule ist nicht mehr verbindlich. Eltern können ihr Kind also ohne weitere Tests an der Schule anmelden, die sie für geeignet halten. Das bedeutet mehr Entscheidungsfreiheit, aber auch mehr Verantwortung — und Verunsicherung.

"Natürlich haben wir in den Gesprächen mit Katharina versucht, neutral zu bleiben", erzählt Christiane Schmidt. Sie selbst ist Chemikerin, Katharinas Vater ebenfalls. "Wir haben uns dann doch für das Gymnasium entschieden, weil Katharina selbst mit den steigenden Anforderungen immer motivierter wurde", sagt die 43-Jährige. Und weil Katharinas Grundschullehrer bei einem Gespräch im November eindeutiges Feedback gegeben hat. Er sah in der Zehnjährigen klar eine Kandidatin fürs Gymnasium. "Wie weit es Eltern überhaupt gelingen kann, in der Frage nach der richtigen Schulform neutral zu bleiben", fügt Christiane Schmidt dann hinzu, "die Frage lässt sich wohl nicht klar beantworten."

Das sieht auch Ragnhild von der Linden aus Wesel so. Ihr Sohn Hauke wechselt im nächsten Jahr aufs Gymnasium — weil er gute Noten hat, aber auch ein klares Ziel vor Augen, das sie und ihr Mann ganz automatisch mitgeprägt hätten. "Wir haben beide Abitur, die meisten unserer Bekannten haben Abitur — klar, dass die Kinder das automatisch als Ziel sehen", sagt die 42-Jährige. Wie sehr sich viele Eltern das Gymnasium für ihr Kind wünschen, erlebt Ragnhild von der Linden auch immer wieder als Klassenpflegschaftsvorsitzende, erzählt sie.

Elternvertreter sehen das kritisch. "Den Eltern wird eingeredet, für ihr Kind müssten ,gymnasiale Standards' gelten, wenn es eine Zukunft haben will", sagt Regine Schwarzhoff, Vorsitzende des Elternvereins NRW. "Viele blenden aus, dass auch Spätstarter Abitur machen können." Eine Umfrage des Gesamtschulverbandes NRW an etwa der Hälfte der 221 Gesamtschulen im Land hat ergeben: 70 Prozent der Abiturienten waren ursprünglich für eine Real- oder Hauptschule empfohlen worden. In einer Broschüre des Schulministeriums wird betont: Stellt sich am Ende der Klasse sechs heraus, dass ein Kind Klassenarbeiten mit durchschnittlich 2,0 besteht, schlägt die Schule den Eltern eine andere Schulform vor. 624 Schüler wechselten in NRW allein im letzten Jahr von der Realschule aufs Gymnasium.

Sein Kind im Nachhinein auf eine Schule mit höheren Anforderungen zu schicken, sei im Zweifelsfall sinnvoller als den umgekehrten Weg zu gehen, betont Elternvertreterin Regine Schwarzhoff. "Kinder sollten vor allem Aussicht auf Lernerfolge haben." Zudem würde der große, ungefilterte Ansturm auf das Gymnasium die Qualität des dortigen Unterrichts verwässern — und Eltern die Suche nach einem Platz am Gymnasium ihrer Wahl erschweren.

Während die Weselerin Ragnhild von der Linden optimistisch ist, ihren Sohn Hauke als Geschwisterkind an dem Gymnasium unterzubringen, an dem schon seine Schwester Skadi seit anderthalb Jahren gerne lernt, hat Christiane Schmidt lange gebangt. Sie wollte Katharina von Anfang an weite Wege ersparen und sie deshalb am liebsten aufs Städtische Gymnasium in Leichlingen schicken. Als der Direktor im November auf einer Infoveranstaltung sagte, er würde Leichlinger Kinder auf jeden Fall annehmen, "war das eine totale Erleichterung", erzählt Christiane Schmidt. Nicht nur deswegen kann sie jetzt gelassen der Anmeldung im Februar entgegensehen. Die Schule bietet Ganztagsbetreuung an, was für die berufstätigen Schmidts wichtig ist, einschließlich der Fördermaßnahmen, nur für alle Fälle. Mit dem Paket, so Christiane Schmidt, "sind wir ganz zuversichtlich, dass wir das Gymnasium packen".

(RP)
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