Hitzacker überflut Größtes Hochwasser seit 111 Jahren

Hitzacker/Wittenberge (rpo). Die Hochwasserlage in Norddeutschland spitzt sich dramatisch zu. Obwohl die Pegel der Rekordflut 2002 bereits an vielen Stellen übertroffen wurden, steigt das Wasser unaufhörlich weiter. Mecklenburg-Vorpommern muss am Elbufer mit dem größten Hochwasser seit 111 Jahren rechnen. Bei den Menschen in den Hochwassergebieten macht sich Hoffnungslosigkeit breit. Allmählich wird klar: Den Kampf gegen die Flut haben viele längst verloren.

Hitzacker unter Wasser
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Das Schweriner Umweltministerium sagte am Freitag für die Elbe bei Dömitz für Sonntag einen Pegelstand von 6,80 Metern vorher. Weiter flussabwärts werden am Montag in Boizenburg 6,90 Meter erwartet. Damit würden die Werte der Jahrhundertflut aus dem Jahr 2002 um mindestens 30 Zentimeter deutlich überschritten. Bisheriger Rekord waren die 6,70 Meter in Boizenburg aus dem Jahr 1895, dem Beginn der Pegelaufzeichnungen.

"Trotz dieser Vorhersagen besteht kein Grund zur Panik", erklärte Umweltminister Wolfgang Methling (Linkspartei.PDS). Die Deiche seien stabil. Schwachstellen aus dem Jahr 2002 seien ausgebessert worden. Gefährlich werden könnte demnach höchstens ein lang andauerndes Hochwasser, das die Deiche aufweicht.

Dieselmotoren tuckern

Dieselmotoren der Notstromaggregate tuckern und die von ihnen gespeisten Pumpen laufen ohne Unterlass. Etwa 250 Häuser stehen am Freitag im niedersächsischen Hitzacker im Elbhochwasser. Die Altstadt samt Markt und Rathaus ist nur mit Gummistiefeln zu erreichen. Bürgermeister Jochen Langen-Deichmann hat gleich im Rathaus übernachtet. Viele der Bewohner der deichlosen Insel zwischen Jeetzel und Elbe, auf der die Altstadt liegt, müssen nun schon zum dritten Mal seit 2002 ihre Häuser mit Planen und Sandsäcken vor den Fluten schützen.

Diesmal könnte es für die Bewohner des Kurorts und Elbstädtchens im Norden Niedersachsens allerdings noch schlimmer als bei der Jahrhundertflut 2002 kommen und natürlich auch schlimmer als beim Hochwasser 2003, als nur der elbseitige Teil der Altstadt überflutet wurde.

Von Donnerstag auf Freitag ist die Elbe bei Hitzacker gleich um 30 Zentimeter gestiegen. Am Freitagmittag steht der Pegel bei 7,44 Meter mit weiter steigender Tendenz. Für den Abend sind 7,55 prognostiziert. Das sind vier Zentimeter mehr als bei der Jahrhundertflut 2002 und genau ein Zentimeter mehr als der historische Elbhöchststand, der in Hitzacker im Jahr 1895 gemessen wurde.

Sanierte DDR-Deiche

Auch wenn viele Keller und so manches Erdegeschoss nun bald zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren renoviert werden müssen und der Schaden beträchtlich sein wird: Die Einheischen haben bereits Routine im Umgang mit den Fluten entwickelt. 210 Helfer von Feuerwehr, Polizei Technischen Hilfswerk und Rotem Kreuz sind am Freitag im Einsatz. Das THW hat für Teile der Altstadt ein zweites von Generatoren gespeistes Stromnetz gelegt. Die Feuerwehr hilft beim Abdichten der Häuser und beim Pumpen. Verletzte gibt es keine, aber einige ältere Leute werden mit Booten in Hotels im Landesinneren untergebracht.

Beim Jahrhunderthochwasser des Jahres 2002 waren es neben der Stadt Hitzacker vor allem die 47 Kilometer alten Deiche im nördlich der Elbe gelegenen Amt Neuhaus, die den niedersächsischen Behörden Sorgen bereiteten und einige Abschnitten von Soldaten, freiwilligen Helfern und Einsatzkräften gerade noch gehalten werden konnten. Die noch zu DDR-Zeiten errichteten Deiche, die Niedersachsen bei der Rückgliederung des Gebietes übernahm, sind heute allerdings in besserem Zustand erneuert.

Gut 40 Millionen Euro hat das Umweltministerium in Hannover in den vergangenen drei Jahren für die Erneuerung von 32 Kilometer Deich im Amt Neuhaus ausgegeben. Für den Abschluss der Deichsanierung stehen dieses Jahr weiter 22 Millionen Euro zu Verfügung. "Ohne die Deichsanierung hätten wir jetzt viel größere Probleme", meinte denn auch der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), der am Freitagnachmittag Hitzacker besuchte. Von den alten Dämmen wurden nur die haltbarsten Abschnitte noch nicht erneuert. Um sie zu verstärken, gab Sander noch 1,2 Millionen Sandsäcke aus der Reserve des Landes frei.

Schöpfwerk soll Wasser in die Elbe heben

In der 5.000-Einwohner-Stadt Hitzacker will das Land sogar 68 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investieren. Dort sollen eine Flutmauer zwischen Elbe und Altstadt und ein Schöpfwerk entstehen, das auch bei geschlossenem Flutwehr dass Wasser der Jeetzel in die Elbe hebt. Zudem werden auch die Deiche an der Jeetzel erhöht. Die Bauarbeiten haben begonnen und sollen Ende 2007 abgeschlossen sein. Allerdings muss noch über ein Klage gegen die Baugenehmigung entschieden werden.

Bei seinem Besuch im Rathaus äußerte Umweltminister Sander denn auch die Hoffnung, "dass hier die Altstadt zum letzten Mal unter Wasser steht". Auch der parteilose Bürgermeister Langen-Deichmann fühlt sich keineswegs von der Landesregierung allein gelassen. Flutmauer und Schöpfwerk seien nach der Jahrhundertflut "so zügig wie möglich vorbereitet worden", meinte er. "Es ist tatsächlich Pech, dass wir so schnell wieder ein derartiges Hochwasser haben", konnte der Bürgermeister nur konstatieren.

"Das Wasser steigt weiter"

Für das schleswig-holsteinische Lauenburg meldete das Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) am Freitagnachmittag einen Pegelstand von 8,82 Meter, zwölf Zentimeter mehr als im August 2002. "Wir gehen davon aus, dass das Wasser weiter steigt", sagte eine WSA-Sprecherin.

Für das Wochenende werde in Lauenburg ein Stand von 8,90 Meter erwartet. Die niedersächsischen Landkreise Lüchow-Dannenberg und Lüneburg sowie Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern riefen den Katastrophenfall aus.

Viel schneller als erwartet

Nach Angaben des niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK) in Lüneburg wird der Scheitel der Elbflut am (morgigen) Samstag an der niedersächsischen Landesgrenze bei Schnakenburg erwartet. Das Hochwasser bewege sich viel schneller als erwartet, sagte NLKW-Sprecher Wolfgang Piepenburg. Man gehe davon aus, dass der Wasserstand bis zu zirka 30 Zentimeter höher als bei der Flut 2002 liegen könne. Die Welle werde voraussichtlich mehrere Tage bis eine Woche für hohe Wasserstände sorgen.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern stiegen die Pegel höher und schneller als erwartet. Am Freitagmittag erreichte der Pegel bei Dömitz 6,53 und näherte sich damit dem Höchststand der Jahrhundertflut 2002. Angesichts stündlich steigender Wasserstände rechneten Experten damit, dass die Höchstmarke von 2002 noch am Freitag erreicht werden könnte.

Die Deichwachen im mecklenburgischen Elbabschnitt wurden den Angaben zufolge auf Grund der angespannten Situation verstärkt. Wie auch der Krisenstab des Landkreises sind die Wachen rund um die Uhr im Einsatz. Es zeichnet sich ab, dass das Wasser für einen längeren Zeitraum einen hohen Stand halten wird, wie Hochwasser-Experten warnten. Bei längerer Extrembelastung bestehe die Gefahr, dass die Deiche aufweichten und durchlässig würden. Vorsorglich seien deshalb Sandsäcke bereitgestellt worden.

(afp2)
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