Hildesheimer Doppelmordprozess Geständnis: Warum ein 15-Jähriger seine Großeltern umbringt

Hildesheim (rpo). Es war eine Tat, die fassungslos macht. Im Hildesheimer Doppelmordprozess hat der 15-jährige Hauptangeklagte nun über seine Motive gesprochen, die ihn dazu getrieben hatten, seine beiden Großeltern umzubringen.

Unter Tränen gestand der 15-jährige Schüler vor dem Landgericht Hildesheim, aus Angst um seine missbrauchte Schwester seine Großeltern getötet zu haben. Als alleiniges Motiv gab der Jugendliche nach Angaben seines Anwalts am Mittwoch den sexuellen Missbrauch seiner jüngeren Schwester durch den Großvater an. Er sei aus Angst vor einem neuen Übergriff auf die damals Zehnjährige zu den Morden getrieben worden. Auch die wegen Beihilfe mitangeklagte Freundin des Angeklagten legte ein Geständnis ab, ein Cousin bestritt dagegen die Hauptvorwürfe. Das Urteil wird bereits am kommenden Mittwoch und damit früher als geplant erwartet.

Der Prozess findet wegen des Alters der Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Verteidiger Raban Funk verlas nach eigenen Angaben vor Gericht eine schriftliche Erklärung seines aus Lamspringe im Landkreis Hildesheim stammenden Mandanten. Darin gab dieser an, im Tagebuch seiner Schwester von den Übergriffen durch den Großvater gelesen zu haben. Es habe sich um "schlimmsten, widerwärtigen Missbrauch" gehandelt. Seine 65 Jahre alte schwer behinderte Großmutter tötete der Jugendliche demnach, weil sie tatenlos zugesehen habe. Der Teenager weinte bei der Verlesung des Geständnisses.

Mildes Urteil erwartet

Im Anschluss ergriff der 15-Jährige den Angaben zufolge selbst das Wort und sagte, dass es ihm "sehr leid tut" und er "alles noch viel schlimmer" gemacht habe. Im Gerichtssaal saßen auch die Eltern des Jungen. Der Ablauf der Morde stellte sich im Prozess etwas anders dar, als ihn die Staatsanwaltschaft angenommen hatte. Diese hatte dem Jugendlichen vorgeworfen, seinen Großvater mit einer Eisenstange erschlagen und die Großmutter mit einem Draht erdrosselt zu haben. Anschließend habe er ihnen die Kehlen durchgeschnitten, um sicher zu gehen, dass die beiden tot sind. Tatsächlich lebten die beiden aber zu diesem Zeitpunkt noch.

Funk zeigte sich zuversichtlich, für den Heranwachsenden ein milderes Urteil als die mögliche Höchststrafe von zehn Jahren Jugendhaft erreichen zu können. Seine Hoffnung begründete er neben dem Geständnis auch mit einer in der Kindheit aufgetretenen Hyperaktivität des Jungen. Diese Auffälligkeit sei seiner Auffassung nach bis zur Pubertät falsch behandelt worden. Nachdem mit Beginn der Pubertät die Medikamente abgesetzt worden seien, seien die Aggressionen des Jungen "viel stärker" als vorher zurückgekommen. Diese Krankheitsgeschichte müsse sich ebenfalls strafmildernd auswirken.

In Hand- und Fußfesseln

Polizisten brachten den Jungen mit Hand- und Fußfesseln zu der nichtöffentlichen Verhandlung vor der Jugendstrafkammer. Mit auf der Anklagebank saß wegen Beihilfe seine Verlobte. Die 18-Jährige legte nach Angaben ihres Verteidigers ebenfalls ein umfassendes Geständnis ab. "Sie liebt diesen Jungen, sie ist verzweifelt und macht sich die größten Selbstvorwürfe", sagte Rechtsanwalt Matthias Waldraff über seine Mandantin. Diese habe die Tat mitgeplant. Am Tattag habe sie gewusst, dass ihr Freund die Großeltern umbringen wollte. Heute mache sich die 18-Jährige die "größten Selbstvorwürfe", weil sie wisse, dass sie die Taten hätte verhindern können.

So wie der Hauptangeklagte machten dessen Freundin und der mitangeklagte Cousin einen blassen, niedergeschlagenen Eindruck. Der 17-Jährige bestritt im Gegensatz zu den anderen beiden die gegen ihn gerichteten Vorwürfe im Wesentlichen. Er habe sich nicht an der Tat beteiligen wollen, ließ der Schüler über seinen Verteidiger erklären. Dagegen wirft die Staatsanwaltschaft dem Jungen vor, nur deshalb nicht bei den Taten mitgemacht zu haben, weil seine Eltern ihm am Mordtag Stubenarrest aufgebrummt hatten.

Der Prozess wird am Montag mit der Aussage der Rechtsmediziner fortgesetzt. Am Mittwoch sollen bereits die Plädoyers und das Urteil folgen. Waldraff kündigte an, für seine Mandantin eine Strafe von zwei Jahren auf Bewährung zu fordern. Der Verteidiger des Cousins sagte, er gehe davon aus, dass sein Mandant nur wegen Nichtanzeige einer Straftat belangt werden könne und werde deshalb ein Jahr auf Bewährung fordern.

(afp)
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