Grauenhafte Details kommen ans Licht Gericht arbeitet Foltermord von Siegburg auf

Düsseldorf (RPO). Der Mord von Siegburg schockierte die ganze Republik. Der 20-jährige Häftling Hermann H. wurde im dortigen Gefängnis von Zellengenossen gefoltert, erniedrigt und vergewaltigt. Ein Höllenknast. Im November wurde er erhängt aufgefunden. Seine drei mutmaßlichen Peiniger stehen ab Mittwoch vor Gericht.

 Bei dem psychiatrischen Sachverständigen sei kein parteiliches Vorgehen festzustellen, so der Vorsitzende.

Bei dem psychiatrischen Sachverständigen sei kein parteiliches Vorgehen festzustellen, so der Vorsitzende.

Foto: ddp, ddp

Am Ende seines stundenlangen Martyriums sollen ihn seine Peiniger am Abend des 11. November 2006 gezwungen haben, sich an der Toilettentür in der Zelle selbst zu erhängen. Knapp neun Monate nach einem der brutalsten Verbrechen der deutschen Justizvollzugsgeschichte beginnt am Mittwoch vor dem Landgericht Bonn der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter. Die 17, 20 und 21 Jahre alten Angeklagten haben den Mord weitgehend gestanden.

Mit Spannung wird erwartet, ob das Gericht bei der juristischen Aufarbeitung des Verbrechens auch den Justizvollzug auf die Anklagebank setzen wird. Denn immerhin löste der Foltermord von Siegburg eine Debatte über die Zustände in den Gefängnissen und vor allem im Jugendvollzug aus. Der nach der Bluttat ausgebrochene Streit um die politische Verantwortung, in dessen Verlauf NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) mächtig unter Druck geriet, wird seit Mai in einem U-Ausschuss des Düsseldorfer Landtags ausgetragen. Auch setzte Müller-Piepenkötter eine unabhängige Kommission zur Gewaltprävention im Strafvollzug ein, die vergangene Woche ihren Abschlussbericht vorlegte.

Doch auch die darin erhobenen Forderungen nach Ausbau des offenen Vollzugs und die Kritik von Experten an Überbelegung und Personalmangel in den Gefängnissen können kaum über die Ratlosigkeit hinwegtäuschen, die der Mord hinter Gefängnismauern hervorgerufen hat. Die unfassbare Brutalität der jungen Täter, von der sich selbst hartgesottene Ermittler schockiert zeigten, spiegelt sich in den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft: Gleich mehrfach haben Ralf A., Danny K. und Pascal I. nach Auffassung der Strafverfolger den Tatbestand des Mordes erfüllt - indem sie ihren Mitgefangenen auf grausame Weise, aus Mordlust, aus niedrigen Beweggründen und zur Verdeckung einer Straftat umbrachten.

Grauenerregende Details

Die Ermittlungen förderten grauenerregende Details zu Tage. So musste H. vor seinem Tod Wasser mit scharfem Pulver und Salz trinken, eine Tube Zahnpasta essen und aus dem Halter der Toilettenbürste Urin und Spucke trinken. Laut Anklage notierten die Angeklagten vor dem Mord auf einer Liste, was für und was gegen eine Tötung des 20-Jährigen spricht. Dabei vermerkten sie als Nachteil, dass vier Leute auf einer Zelle mehr einkaufen dürften als drei. Als Vorteil stuften sie ein, dass sie nach der als Selbstmord getarnten Tat psychische Probleme vortäuschen und so auf eine frühere Haftentlassung hoffen dürften. Auch fand sich auf der Liste der Eintrag "Tote können nichts mehr erzählen". Einer der Beschuldigten sagte, man habe sehen wollen, wie ein Mensch stirbt.

Für ein schuldhaftes Verhalten von Justizbeamten fanden die Staatsanwälte dagegen keine Anhaltspunkte. Zwar hatten die Ermittler neben dem nach dem Mord versetzten Gefängnisleiter zwei seiner Mitarbeiter ins Visier genommen, die für die Zusammenlegung der mutmaßlichen Täter mit dem Opfer verantwortlich waren. Auch wurde gegen zwei Beamte ermittelt, die am Tattag die Vierer-Zelle zu Kontrollzwecken betreten und vom Martyrium des Opfers angeblich nichts bemerkt hatten. Allerdings habe es keine Hinweise auf eine "hohe konkrete Gefährlichkeit" der Zellengenossen von H. gegeben, befanden die Strafverfolger. Zudem habe H. noch am Tag vor seiner Ermordung einer Sozialarbeiterin gesagt, er sei mit der Situation in der Zellengemeinschaft "sehr zufrieden".

Das Bonner Gericht will an insgesamt acht Verhandlungstagen bis zum 28. August 34 Zeugen vernehmen, darunter Kripobeamte, Gefängnispersonal und Mitgefangene. Außerdem sollen ein Gerichtsmediziner und ein Psychiater gehört werden - letzterer unter anderem zu der Frage, ob im Falle eines Schuldspruchs auch bei den beiden 21- und 20-jährigen Angeklagten das Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Sollte das Gericht dies bejahen, drohen den beiden wie ihrem 17-jährigen Mitangeklagten jeweils bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe. Anderenfalls müssen die beiden Älteren mit lebenslanger Haft rechnen.

(afp)
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