Gegen den Blues Der Herbst ist besser als sein Ruf

Düsseldorf · Regen, Dunkelheit, Melancholie? Fragt man die Deutschen nach ihrer liebsten Jahreszeit, rangiert der Herbst weit hinter Sommer und Frühling. Völlig zu Unrecht. Eine Liebeserklärung an die goldene Jahreszeit.

NRW: Die schönsten Herbst-Ausflugsziele
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Die schönsten Herbst-Ausflugsziele in NRW

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Foto: Andreas Krebs / Jana Bauch

Man kann ihn schon riechen. Es ist der Geruch nach nassem Laub, nach Pilzen und Moos und Astern. Er ist auch schon sichtbar, auch wenn die Blätter noch grün sind, denn das Licht hat sich verändert. Die Sonne steht tiefer, die schrägen Sonnenstrahlen lassen Schatten länger werden und illuminieren zugleich Halme und Rispen von hochgewachsenem Gras. Der Wind hat die Sommerhitze aus den Straßen geweht und zurück bleibt die Erkenntnis: Die Erde hat sich weitergedreht und uns in den Herbst geführt.

Fragt man die Deutschen nach ihrer liebsten Jahreszeit, so schneidet der Herbst in diversen Umfragen nicht besonders gut ab – rangiert sogar weit hinter Sommer und Frühling. Warum eigentlich? Der Herbst ist schließlich die Zeit der Ernte und Fülle, er ist bunt und abwechslungsreich und bietet nach stickigen Augusttagen frische Luft zum Durchatmen. Dennoch verbinden viele mit ihm nur den Verfall; das Wetter wird schlechter, die Stimmung kippt.

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Foto: Leika production - stock.adobe.c/Aktion Gesunder Rücken e. V.

Es mag derzeit nur allzu leicht sein, dieser Niedergeschlagenheit nachzugeben. Die allgemeine Weltlage, Frust über Politik und Wirtschaftslage, die ganz persönlichen Probleme und Herausforderungen, die nicht für jeden sichtbar sind. Wie schnell versinkt man da bei grauem Regenwetter in Melancholie. Folgt dem Gedanken: Jetzt wird es jeden Tag früher dunkel, die Zugvögel lassen uns zurück, es wird kälter, nasser, alles stirbt ab. Kurzum: Es geht bergab.

Vielleicht hilft an dieser Stelle ein Perspektivwechsel. Herabfallende Blätter symbolisieren Vergänglichkeit? Die letzte Station vor dem Ableben? Ja, der Sommer ist vorbei. Aber: Der Baum, der seine Blätter verliert, stirbt ja nicht. Man könnte sogar argumentieren, dass er jetzt mehr Energie als im Frühjahr hat. Schließlich hat er zur Vorbereitung auf den Winter seinen Speicher gefüllt. Der Baum ist „pappsatt“, wie Förster Peter Wohlleben sagt. „Mit den Blättern produzieren die Bäume Zucker, der als Wintervorrat in Zweigen, Stamm, Rinde und Wurzeln eingelagert wird. Und wenn das Speichergewebe voll ist, der Baum also sozusagen pappsatt ist, dann wirft er die Blätter ab“, erklärt er in einem Video. Der Wald im Herbst steckt also voller Leben. Es versteckt sich nur ein wenig.

Wer gut hinschaut, kann im herbstlichen Wald die verschiedensten Farbschattierungen entdecken.

Foto: Leah Hautermans

Und ja, auch das: Unzählige Vögel verabschieden sich derzeit in Richtung Afrika. Sammeln sich auf Stromleitungen, Kirchendächern oder Felsvorsprüngen, um dann die Tausende Kilometer lange Reise anzutreten. In den kommenden Monaten werden die Kraniche in beeindruckender Formation über uns hinwegfliegen. Doch auch hier gilt: Es ziehen nicht nur Vögel in den Süden, es kommen auch Vögel aus dem Norden zu uns. Das Wintergoldhähnchen etwa, die Wacholderdrossel, der Bergfink oder der Seidenschwanz überwintern in unseren Gefilden. Und natürlich bleiben auch Amseln, Rotkehlchen, Meisen und Krähen in unseren Gärten und Wäldern.

Es mag paradox klingen, aber man kann den Herbst auch als eine Zeit des Neuanfangs sehen. Nicht den Neujahrsmorgen oder den beginnenden Frühling, sondern die Zeit, wenn die Luft wieder klar ist und das Laub seine Farbe ändert. Die Welt wird bunt. Es gibt dann so viel wahrzunehmen: die wechselnden Gelb-, Orange- und Rottöne, die trockenen Blätter, die unter den Schuhen rascheln, den morgendlichen Nebel, der jede Umgebung mysteriös erscheinen lässt und uns für einen Moment zu Protagonisten eines Schauerromans macht. Durch die fallenden Blätter können wir plötzlich wieder mehr vom Himmel sehen.

Und dann das Essen – frische Walnüsse und Haselnüsse! Äpfel, gerade erst vom Baum gepflückt und noch warm von der Sonne! Selbst gesammelte Esskastanien und natürlich der Klassiker: Kürbis, als Suppe oder im Backofen geröstet.

Zugegeben, diese Jahreszeit wartet auch oft genug mit finsteren Tagen auf, an denen der Himmel grau verhangen bleibt und vor der Tür ein Regenschleier wartet. An solchen Tagen kann man sich der Melancholie auch einmal hingeben, Simon & Garfunkel oder Radiohead oder „Autumn Leaves“ von Nat King Cole hören und an liebe Menschen denken, die nicht mehr bei uns sind. Denn schließlich ist auch das Teil des Lebens, all das Traurige und Vergängliche. Und ohne Vergangenes gibt es keinen Neuanfang.

Wie eine andere Welt: Nebel lässt alles mystisch erscheinen.

Foto: Leah Hautermans

Der Herbst kann motivieren und dazu inspirieren, etwas Neues zu beginnen. Vielleicht stammt das Gefühl noch aus früheren Zeiten, als das Leben nach dem akademischen Jahr ausgerichtet war. Auch heutige Schüler und Studierende zeigen in den sozialen Medien unter dem Hashtag #backtoschool jedes Jahr, wie sie sich für das neue Schuljahr oder das neue Semester neu erfunden haben. Alles neu macht der Herbst.

Die kühleren Temperaturen eröffnen auch wieder Möglichkeiten, die Zeit in den eigenen vier Wänden zu genießen. Mit einer weichen Decke auf dem Sofa in einen Roman eintauchen, Kerzen anzünden, mit Freunden einen selbstgebackenen Apfel- oder Pflaumenkuchen essen, nach einem langen Arbeitstag ein Schaumbad einlassen und ein Hörbuch hören. Vielleicht auch dem Knistern eines Kaminfeuers lauschen oder mit seinen Lieblingsmenschen Fäden aus blubberndem Käsefondue ziehen. Viele nutzen die Zeit auch für den heimischen Nestbau – Wohnung oder Haus werden aufgehübscht, neu eingerichtet, gemütlicher gemacht.

Und wen es trotz alledem in die Ferne zieht: Der Herbst ist eine gute Reisezeit; Unterkünfte sind günstiger, Temperaturen angenehmer und Städte und Ortschaften nicht so überlaufen.

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Foto: https://unsplash.com/@surajgattani

Wer nun noch immer klagt, warum denn nur der Sommer schon vorbei sei, dem sei dazu geraten, an einem frischen Herbstmorgen im Wald spazieren zu gehen. Wenn der Himmel tiefblau ist, die goldenen Blätter leuchtend in der tief stehenden Sonne winken. Einem Specht zu lauschen, der auf einen hohlen Stamm klopft, einem Eichhörnchen beim Knacken von Bucheckern zuzusehen. Und den Duft nach Pilzen und nassem Laub und Moos einzuatmen.

Dann stimmt man womöglich den Worten zu, die die kanadische Autorin Lucy Maud Montgomery einst ihre Romanheldin Anne Shirley verzückt ausrufen ließ: „Ich bin so froh, dass ich in einer Welt lebe, in der es Oktober gibt!“